Tschechiens Premier Andrej Babis
Reuters/Bernadette Szabo
Osteuropa

Viele Davids verbünden sich gegen Goliaths

Nicht nur in Österreichs Innenpolitik herrscht derzeit Ausnahmezustand, auch in manchen Nachbarländern. In Tschechien verlor Premier Andrej Babis seine sicher geglaubte Mehrheit. Grund dafür ist eine zuletzt beliebt gewordene Strategie, die auch in anderen osteuropäischen Staaten sichtbar ist: Um die allzu mächtigen Regierungschefs aus dem Amt zu hebeln, übt die bisher gespaltene Opposition den Schulterschluss.

Die Wahl verloren, der verbündete Präsident nicht handlungsfähig: Das Wochenende war für den erfolgsverwöhnten Babis nicht das beste. Obwohl Babis’ Partei ANO bei der Parlamentswahl am Samstag knapp Zweite geworden ist, hätte er vor Kurzem noch damit rechnen können, weiterhin Premier zu bleiben. „Mein Platz ist in der Regierung“, sagte er nach seiner Niederlage. Staatspräsident Milos Zeman hatte Babis auch schon zum Gespräch gebeten. Nur der Präsident kann das Mandat zur Regierungsbildung geben, er hätte wohl Wahlverlierer Babis beauftragt. Nun aber befindet sich Babis’ Vertrauter Zeman im Spital auf der Intensivstation. Am Dienstag kündigte Babis dann den Gang in die Opposition an.

Vorwürfe schadeten Babis nicht

Zuvor hatte sich die Opposition gegen Babis, einen der reichsten Männer Tschechiens, zusammengetan. Das Bündnis Spolu (Gemeinsam) hatte bei der Wahl den ersten Platz ergattert, zusammen mit dem linksliberalen Oppositionsbündnis unter Führung der Piratenpartei kommt es auf eine Mehrheit von 108 der 200 Sitze im Parlament. Mit Babis, der bisher in einer Minderheitsregierung aus ANO und den Sozialdemokraten mit Duldung durch die Kommunisten regierte, will nun keine Partei mehr koalieren.

Analyse: Unklare politische Lage in Tschechien

ORF-Korrespondent Ernst Gelegs kommentiert die politische Lage in Tschechien, wo Präsidenten Zeman auf der Intensivstation liegt. Nach den Wahlen gibt es noch keine Regierung, die ihre Arbeit aufnehmen kann.

Babis ist auch mit zahlreichen Anschuldigungen konfrontiert, zuletzt mit den Enthüllungen im Rahmen der Pandora-Papers. Dieses Mal steht der Vorwurf der Geldwäsche im Raum. Babis wies die Anschuldigungen als Verleumdungskampagne zurück. Alle Vorwürfe konnten dem Populisten Babis politisch aber nicht schaden. Nun besteht durch Spolu die Möglichkeit, Babis tatsächlich abzulösen. Spolu-Chef Petr Fiala erklärte sich aufgrund seines „starken“ Mandats zur Bildung der nächsten Regierung bereit. „Der Präsident wird dies berücksichtigen müssen.“

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

„In den zentral- und osteuropäischen Staaten passierte nach 1989 das Gleiche wie zuvor in Westeuropa: Die Parteienlandschaft splitterte sich stark auf“, so Stefan Lehne von der Brüsseler Denkfabrik Carnegie Europe, zu ORF.at. Daher bestehe die einzige Chance, eine starke Regierungspartei zu stürzen, darin, dass sich die Opposition vereine. „In Tschechien ist die ANO allerdings eine Partei von vielen, dort hat sich nie eine Gruppe derart dominant festgesetzt“, so Lehne.

Auch wenn es Gemeinsamkeiten mit Polen und Ungarn gebe – etwa die rechtspopulistische Positionierung der Regierungsparteien – so habe die ANO in Tschechien nicht denselben Machtanspruch wie FIDESZ in Ungarn oder PiS in Polen. In Prag sei nun tatsächlich ein Regierungswechsel gut möglich. „In Polen oder Ungarn wäre das hingegen schon sensationell.“ In beiden Ländern sei die Rolle der jeweiligen Regierungspartei sehr dominant. „Hier würde ein Wechsel wirklich das Bild in Zentraleuropa verändern.“

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban
AP/Olivier Matthys
Ungarns Premier Viktor Orban

Eine Kandidatur für sechs Parteien

Doch auch in Ungarn und Polen versucht jeweils die Opposition, die Reihen gegen die allzu mächtigen Gegner zu schließen. Ungarn wählt kommendes Frühjahr. Hier will ein Bündnis aus sechs Parteien mit einer gemeinsamen Liste, gemeinsamen Direktkandidaten und einem gemeinsamen Spitzenkandidaten oder -kandidatin antreten. Dazu werden derzeit Stichwahlen abgehalten, zur Auswahl stehen noch die Sozialdemokratin Klara Dobrev und der liberalkonservative Peter Marki-Zay. Entweder Dobrev oder Marki-Zay soll dann im Namen des Bündnisses Premier Viktor Orban herausfordern.

Orban ist dann seit zwölf Jahren im Amt, und auch hier wirft die Opposition dem Premier einen autokratischen Führungsstil und Korruption vor. Seine Regierung steht auch in der EU seit Jahren wegen rechtsstaatlicher Verfehlungen in der Kritik. Orbans FIDESZ baute in den vergangenen Jahren zahlreiche Institutionen und Medien um, an der Schalthebeln der Macht sitzen seine Vertrauten.

Wohlwollende Umfragen

Auch in Ungarn war die Opposition lange Zeit nicht in der Lage, der übermächtigen Regierungspartei etwas entgegenzusetzen. Nun aber scheint sich doch eine Chance aufzutun. Schon bei den Kommunalwahlen 2019 schmiedeten die Oppositionsparteien auf lokaler Ebene Bündnisse. In der Folge verlor FIDESZ mehrere große Städte, darunter die Hauptstadt Budapest.

Nun stehen auch die Umfragen für das Frühjahr 2022 gut für die Opposition. Laut dem Meinungsforschungsinstitut Republikon liegt man bei 40 Prozent der Stimmen, deutlich vor FIDESZ. „Wenn die Opposition einen glaubhaften Kandidaten aufstellt und zusammenbleibt, ist die Chance aufrecht“, so Lehne.

Vereint zunächst im Protest

In Polen, dessen Regierung ebenfalls mit Brüssel im Dauerclinch ist, formierte sich nach dem jüngsten Spruch des Verfassungsgerichts eine Protestbewegung. Das Höchstgericht hatte geurteilt, dass der EU-Vertrag der polnischen Verfassung untergeordnet sei – eine Haltung, die die national-konservative PiS unter Vorsitz von Jaroslaw Kaczynski seit Jahren vertritt.

Polnischer Politiker Jaroslaw Kaczynski
AP/Czarek Sokolowski
PiS-Chef Kaczynski

100.000 Menschen gingen am Wochenende in mehr als 100 Städten und Gemeinden Polens auf die Straße. Dort versucht, der ehemalige Ministerpräsident und frühere EU-Ratspräsident Donald Tusk, die Regierungsgegner zu kanalisieren. Er führt die liberal-konservative Partei Bürgerplattform an und will sich gegen Kaczynski mit der oppositionellen Linken und der Bauernpartei PSL sowie den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Szymon Holownia von der Bewegung Polska 2050 verbünden – zunächst nur für die Proteste, denn reguläre Parlamentswahlen stehen erst 2023 wieder an.

Dann dürften sich viele Themen um das Verhältnis Polens zur EU drehen. Die Regierung baut das Justizwesen seit Jahren um, die EU wirft ihr vor, Richter unter Druck zu setzen. Die Kommission eröffnete bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Warschau und reichte Klagen beim EuGH ein. Trotz aller Konflikte mit der EU betont die PiS, es gebe keine Pläne für einen EU-Austritt des Landes, denn die große Mehrheit in Polen will EU-Mitglied bleiben.

„Demokratie nicht verordenbar“

Laut einer aktuellen Umfrage sehen gut 88 Prozent die Mitgliedschaft ihres Landes in der Staatengemeinschaft positiv. Die Opposition hingegen wirft der Regierung „Polexit“-Pläne vor – ein Thema, das die zersplitterten Parteien gegen die PiS vereinen könnte.

Hunderte Menschen mit polnischen und EU-Fahnen halten bei einer Demonstration leuchtende Mobiltelefone in die Höhe
AP/Czarek Sokolowski
Rund 100.000 Menschen demonstrierten am Wochenende gegen den EU-Kurs der polnischen Regierung.

Die Konflikte zwischen Polen und Ungarn mit der EU hält Lehne für „die größte Problematik der Union im Augenblick. Das kann noch zu einer großen Blockade führen.“ Auch in der EU-Kommission hoffen deshalb viele auf einen demokratischen Wandel in den Ländern selbst. „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kann man eben nicht in Brüssel verordnen. Das ist eine Angelegenheit von Generationen und muss aus den Ländern selbst kommen“, so Lehne.