Europäischer Feldhamster
picturedesk.com/Vienna Wildlife/Karl Leitner
UNO-Konferenz

Warnung vor dramatischem Artensterben

Die Weltnaturschutzkonferenz berät diese Woche über Maßnahmen, um den gefährlichen Verlust der Artenvielfalt zu stoppen. Ziel ist ein neues Rahmenabkommen – vergleichbar mit dem Pariser Klimaabkommen, auch wenn es weniger bindend sein wird. Naturschutzorganisationen, einzelne Regierungen und selbst Konzerne fordern größere Anstrengungen. Ohne tiefgreifende Maßnahmen droht ein dramatisches Artensterben.

Das Treffen der knapp 200 Vertragsstaaten der UNO-Konvention für die biologische Vielfalt (CBD) wird unter der Präsidentschaft Chinas weitgehend online und mit einigen Teilnehmern in der südwestchinesischen Stadt Kunming abgehalten.

Die Konferenz war schon im Oktober 2020 geplant, wurde aber wegen der Pandemie verschoben und aufgeteilt. Im Jänner werden weitere Verhandlungen folgen, bevor die Strategie bei einem Präsenztreffen von 25. April bis 8. Mai in Kunming verabschiedet werden soll. Umweltverbände forderten energische Maßnahmen zum Erhalt der biologischen Vielfalt und der Lebensgrundlagen der Menschen. Zum Abschluss des Treffens soll am Freitag eine „Erklärung von Kunming“ verabschiedet werden.

Entwaldete Fläche in Brasilien
AP/Andre Penner
Der menschliche Umgang mit der Natur schadet der Biodiversität

Hochgesteckte Ziele

Die Strategie sieht laut einem Entwurf der CBD vom Sommer vor, bis 2030 mindestens 30 Prozent der wichtigsten Landflächen und Meere zu schützen, den Pestizideinsatz um zwei Drittel zu reduzieren und Plastikverschmutzung ganz zu stoppen und Förderungen in der Landwirtschaft, die der Biodiversität schaden, weltweit um mindestens 500 Milliarden US-Dollar (rund 430 Mrd. Euro) jährlich zu reduzieren. Gleichzeitig sollen die Hilfen für die Erhaltung der Biodiversität in Entwicklungsländern auf 200 Mrd. Dollar (170 Mrd. Euro) jährlich aufgestockt werden.

Und das ebenso hochgesteckte wie vage Ziel bis 2050 lautet: „Im Einklang mit der Natur leben“. Für Kritikerinnen und Kritiker sind die gesteckten Ziele zu wenig. Das eigentliche Problem ist aber, dass bisher selbst die vereinbarten Ziele weit verfehlt wurden. Das war auch in der Periode 2011 bis 2020 der Fall, wie die CBD selbst im Vorjahr offiziell feststellte.

„Auf biologische Vielfalt angewiesen“

Vor dem Start der Weltnaturschutzkonferenz gab es zahlreiche Appelle. Die Konvention sei von „entscheidender Bedeutung“, sagte Morgan Gillespy vom Resources Institute. „Wir sind auf die biologische Vielfalt angewiesen, um die Umwelt zu regulieren und einen bewohnbaren Planeten zu erhalten.“ Das Treffen sei zwar weitgehend zeremoniell, doch legten die Staats- und Regierungschefs hier die Ziele und die Finanzierung für das nächste Jahrzehnt fest. „Wir brauchen ein starkes globales Regelwerk.“

Die Qualität des Abschlussdokuments „wird ein Test für die chinesische Umweltdiplomatie – wie auch für den allgemeinen politischen Wunsch der übrigen Welt nach einem erfolgreichen und starken Plan zum Schutz der biologischen Vielfalt nach 2020“, sagte Li Shuo von Greenpeace China.

Ministerium für „ambitionierte globale Ziele“

Das zuständige Klimaministerium verwies gegenüber ORF.at darauf, dass die inhaltlichen Pflöcke erst nächstes Jahr eingeschlagen würden. Man trete aber gemeinsam mit den anderen EU-Staaten für „ambitionierte globale Biodiversitätsziele bis 2030“ ein. Entscheidend sei es, „schnell einen Wandel im Umgang mit unserer Umwelt und der Natur“ zu schaffen. Unter anderem wurde auf den in Österreich besonders stark voranschreitenden Bodenverbrauch hingewiesen.

Laut dem Österreich-Bericht zur EU-Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie befinden sich 44 Prozent der Lebensraumtypen und 34 Prozent der Artbewertungen in der schlechtesten Kategorie, also in einem „ungünstig bis schlechten Erhaltungszustand“. In Österreich gelten laut Umweltbundesamt hydrologische Veränderungen, Landwirtschaft (etwa intensivere Bewirtschaftung) und Forstwirtschaft (durch Totholzentnahme) als Haupttreiber für weniger Artenreichtum.

„Mehr Ehrgeiz zeigen“

Auch die deutsche Regierung und Umweltverbände forderten entschiedene Maßnahmen zum globalen Schutz der Artenvielfalt. Alle Staaten müssten „mehr Ehrgeiz und politischen Willen“ zeigen, sagte Florian Titze vom World Wide Fund for Nature (WWF). Die zu vereinbarenden Ziele der Weltgemeinschaft „müssen den Verlust der biologischen Vielfalt bis 2030 stoppen und umkehren können“.

Einer Million Arten droht bis 2030 Aussterben

So warnt der Weltbiodiversitätsrat vor dem Aussterben von einer Million Arten schon in den nächsten zehn Jahren. Selbst Konzerne versuchen Druck auf die Politik auszuüben: In einem offenen Brief appellierte die Allianz „Business for Nature“, der Unilever, H&M und neun weitere Konzerne angehören, den Verlust an Natur als „die Krise, die sie ist“, anzuerkennen.

Weil es „kein Geschäft auf einem toten Planeten“ geben werde, brauche es für den Artenschutz ein ähnlich klares und ambitioniertes Ziel wie das 1,5-Grad-Ziel zur Abwendung der Klimakatastrophe. Die derzeit auf dem Tisch liegenden Vorschläge seien zu vage. Das klare Ziel müsse lauten: den Verlust an Natur bis 2030 zu stoppen.

„Durchbruch muss gelingen“

Der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller forderte, die Weltgemeinschaft müsse endlich an einem Strang zu ziehen. „In den kommenden Monaten muss ein Durchbruch beim Artenschutz gelingen wie beim Pariser Klimaabkommen für den Klimaschutz“, sagte Müller den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Denn wir haben keine Zeit zu verlieren.“ Er erwarte von China als Gastgeber eine Führungsrolle.

Der Artenschutz ist nach seinen Worten auch Vorbeugung gegen neue Pandemien: „Je mehr natürliche Lebensräume vernichtet werden, umso größer wird auch die Gefahr, dass weitere Viren vom Tier auf den Menschen überspringen und schwere Krankheiten auslösen.“ Nötig sei, 30 Prozent der Land- und der Meeresflächen unter Schutz zu stellen. „Davon sind wir aber meilenweit entfernt: Bisher sind erst acht Prozent der Meeres- und 17 Prozent aller Landflächen geschützt.“

„Entwaldungsfreie Lieferketten“

Auch sollten die Industrieländer ihre Mittel zum Erhalt der Biodiversität in ärmeren Ländern verdoppeln, sagte Müller. Mit der Welthandelsorganisation (WTO) müssten zudem Mindeststandards für „entwaldungsfreie Lieferketten“ verankert werden. „In Rotterdam oder Hamburg darf kein Schiff mehr anlegen, das Palmöl- und Sojaprodukte aus nicht zertifizierter Produktion zu uns bringt.“