AKW in Civaux, Frankreich
Reuters/Stephane Mahe
Milliardenpaket

Frankreich auf Pro-Atomkraft-Kurs

Frankreich erneuert sein Bekenntnis zur Atomkraft, der wichtigsten Energiequelle des Landes. Präsident Emmanuel Macron kündigte am Dienstag über eine Milliarde Euro für den Bau kleiner Atomkraftwerke und zur Entwicklung neuer Technologien für den Umgang mit Atommüll an. Es ist das erste Mal seit Jahren, dass Frankreich erhebliche Investitionen in Aussicht stellt.

Die Atomindustrie sei „ein Glück für das Land“, sagte Macron am Dienstag in seiner Rede vor Unternehmen und Studierenden im Elysee-Palast. Sie ermögliche es Frankreich, „zu den europäischen Ländern zu zählen, die am wenigsten CO2 bei der Stromproduktion ausstoßen“.

Doch nicht nur der Klimaaspekt, sondern auch die Unabhängigkeit von Gas oder Kohle aus anderen Staaten sind in der französischen Atomkraftdebatte immer wieder ein gewichtiges Argument. Befürworter verweisen stets auch auf die im europäischen Vergleich niedrigen Strompreise – gerade angesichts der aktuellen Preisentwicklung.

Enthusiasmus für Atomkraftabbau schwindet

Frankreich ist ein Atomenergieland – rund 70 Prozent des produzierten Stroms stammen aus Atomkraftwerken. Gleichzeitig gibt es dort dieselben Bedenken wie im Rest der Welt. Frankreich hat sich daher eigentlich verpflichtet, bis 2035 den Anteil des Atomstroms von rund 70 auf 50 Prozent herunterzufahren, ein Dutzend alte Reaktoren abzuschalten und zugleich erneuerbare Energien auszubauen.

AKW in Fessenheim, Frankreich
Reuters/Arnd Wiegmann
Das Kernkraftwerk Fessenheim, Frankreichs ältestes Atomkraftwerk

Doch der Enthusiasmus für diesen Atomausstieg scheint zusehends zu schwinden. Gerade im Zuge der Klimadebatte versucht Frankreich derzeit gegen den Willen anderer Länder auch, Atomkraft von der EU als „grüne Investition“ anerkennen zu lassen und so Gelder mobilisieren zu können. Es brauche Atomkraft, um die Energiewende zu schaffen, so das Kernargument.

Wasserkraftstoffausbau mit Atomenergie

Macron scheint nun eine Doppelstrategie fahren zu wollen, die sowohl Atomkraftgegnern als auch -befürwortern entgegenkommen soll. Die Milliarde ist nämlich Teil eines 30 Milliarden Euro schweren Investitionspakets zum Ausbau der Industrie, das eine Langzeitstrategie ermöglichen soll. Die Stromproduktion und der Ausbau der Atomkraft soll nämlich die Produktion von grünem Wasserstoff ankurbeln, so Macron.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
Reuters/Ludovic Marin
Macron hatte am Dienstag ein neues Investitionsprogramm für die Industrie präsentiert

Frankreich müsse außerdem in energieintensive Industrien wie Stahl, Zement und Chemie investieren, um dort klimaschädliche Emissionen zu verringern. Auch sollen bis 2030 in Frankreich zwei Millionen Elektro- und Hybridautos produziert werden. „Das Ziel ist erreichbar, wenn die großen Hersteller zusammenarbeiten“, sagte Macron. „Wir wollen einen positiven Kreislauf wiederfinden: erneuern, herstellen, exportieren und so unser Sozialmodell finanzieren“, sagte der Präsident.

Positiv besetztes Wahlkampfthema

Der Umgang mit Atomkraft ist in den letzten Monaten zu einem zentralen Thema im Wahlkampf für die Präsidentenkür im Frühjahr 2022 avanciert. Mehrere Parteien positionierten sich eindeutig als Verfechter der Kernenergie: Der konservative Kandidat Xavier Bertrand will mindestens drei neue Kraftwerke bauen lassen, Marine Le Pen vom rechten Rassemblement National gleich sechs. Der als Kandidat gehandelte, am rechten Rand verortete Autor Eric Zemmour will am liebsten zehn bauen.

Auch die Kandidatin der Sozialdemokraten und Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, sprach sich für einen „Energiemix mit Atomkraft“ aus. Selbst die Grünen schieben den früher vehement geforderten Atomausstieg inzwischen verbal in die Zukunft. „Niemand sagt, dass wir morgen die Atomkraftwerke runterfahren“, sagte der grüne Präsidentschaftskandidat Yannick Jadot. Er rechne mit 20 Jahren bis zum Ausstieg. „Und wenn es fünf Jahre mehr sind, dann ist das eben so.“

Macron selbst hat seine Kandidatur noch nicht öffentlich verkündet. Mit dem bis zum Jahr 2030 ausgerichteten Plan zielt Macron aber weit über seine erste Amtszeit hinaus, weswegen französische Medien ihn auch in den anlaufenden Wahlkampf einreihen. Der konservative Kandidat Bertrand warf Macron bereits vor, „Wahlkampf mit dem Scheckbuch“ zu betreiben. Kritiker der Atomstrategie betonten zudem, dass der Fokus auf Kernenergie den Ausbau anderer erneuerbarer Energieformen wie Wasser- oder Windkraft behindern würde.

Probleme bei EPR-Kraftwerk

Die Kandidaten in Frankreich wollen vor allem auf den Europäischen Druckwasserreaktor (EPR) setzen. Derzeit wird in dem Land mit dem Kernkraftwerk Flamanville allerdings nur ein einziger solcher Reaktor gebaut, und das mit erheblichen Schwierigkeiten: Er geht frühestens 2023 ans Netz – mit elf Jahren Verspätung und nahezu viermal so teuer wie geplant. Auch über ein geplantes Endlager für Atommüll im lothringischen Bure ist noch nicht endgültig entschieden.

Macron sagte nun, verstärkt kleine, innovative Atomkraftwerke (Small Modular Reactors, SMR) bauen zu wollen. Diese sind aber derzeit nicht produktionsreif. Ein einziges Modell läuft derzeit in Russland. Die französische Atomindustrie hat wenig Interesse an den kleinen Reaktoren, weil sie relativ wenig Strom produzieren und somit herkömmliche Atomkraftwerke nicht ersetzen können.