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Brüssel

„Werkzeugkasten“ gegen hohe Energiepreise

Die immer noch steigenden Energiepreise könnten bald auch Folgen für die Lebensmittelkosten haben. Um die Negativspirale zu stoppen, stellte die EU-Kommission am Mittwoch eine „Toolbox“ vor, also Leitfäden für die Mitgliedsstaaten mit möglichen Gegenmaßnahmen. Darunter sind auch Zahlungen für ärmere Haushalte.

Der Winter steht vor der Tür, seit Monaten klettern die Energiepreise in lichte Höhen. Zwischen Jänner und Oktober stieg der Großhandelspreis von Erdgas um rund 440 Prozent. Da Gas auch zur Stromerzeugung benutzt wird, stieg der Strompreis gleich mit. Das hatte auch Folgen für die Energierechnungen der europäischen Haushalte. In Spanien, wo es bereits Proteste gegen hohe Lebenshaltungskosten gab, stieg etwa der Strompreis um satte 425 Prozent.

Längst riefen einige Mitgliedsstaaten Brüssel dazu auf, einzugreifen. Am Mittwoch stellte Energiekommissarin Kadri Simson einen „Werkzeugkasten“ mit möglichen Maßnahmen vor, die die Mitgliedsländer anwenden könnten, ohne gegen EU-Regeln zu verstoßen oder den Markt zu verzerren. Das könnte etwa eintreten, wenn staatliche Hilfen Energieversorgern Vorteile im Wettbewerb mit Firmen aus anderen EU-Ländern verschaffen würden.

Maßnahmenkatalog für jetzt und später

Die „Toolbox“ listet Vorschläge auf, die die Mitgliedsländer kurzfristig jetzt schon anwenden könnten, ohne gegen EU-Regeln zu verstoßen. Die Kommission will diese Maßnahmen zusammengetragen und koordinieren. So könnten die Staaten ad hoc an der Steuerschraube drehen: Nationale Steuern für Unternehmen und auch die Mehrwertsteuer könnten für eine begrenzte Zeit gesenkt und stark betroffene Industrien subventioniert werden. Auch Direkthilfen für Haushalte mit geringeren Einkommen, etwa Gutscheine, seien möglich, so wie sie bereits in manchen Ländern angewendet werden.

Die Rolle von Einzelpersonen könne gestärkt werden, indem sie ermuntert werden, Anbieter zu wählen und zu wechseln oder Energiegemeinschaften beizutreten, sagte Simson weiter. Sie sagte aber auch, dass die einzelnen Mitgliedstaaten nicht „den gleichen Energiemix oder identische soziale Lagen haben. Daher müssen auch die Maßnahmen der Mitgliedstaaten spezifisch sein.“

EU-Kommissarin für Energie Kadri Simson
Reuters/Francisco Seco
Kommissarin Simson: Mit einem „Werkzeugkasten“ sollen hohe Preise bekämpft werden

Darüber hinaus werden mittel- und langfristige Pläne geschmiedet, zu der sich die EU allerdings erst aufraffen muss. Im Gespräch ist eine gemeinsame Gasbeschaffung, ähnlich wie bereits bei den Covid-Impfstoffen. Diese Strategie könnte der EU besonders gegenüber Russland mehr Verhandlungsmacht verschaffen.

Staaten wie Frankreich forderten aber noch weitere Schritte: Die EU solle gemeinsame Gasreserven schaffen und den Preis von Strom und Gas entkoppeln. In Europa bestimmen derzeit die teuersten Kraftwerke den Strompreis – für Paris ist das äußerst ungünstig, denn man produziert selbst in den eigenen AKWs Strom günstiger als etwa Deutschland in teuren Gaskraftwerken. In Berlin ist man daher eher zögerlich, an den Gesetzen des Strommarktes zu rütteln. Hier geht man davon aus, dass die Preise sich ohnehin wieder beruhigen werden.

Preisrally zur Unzeit

Langfristig will die EU voll auf erneuerbare Energien setzen. Je grüner die europäische Energie, desto unabhängiger seien die Haushalte von den schwankenden Preisen fossiler Träger. „Das einzig langfristige Heilmittel ist der Übergang zu grünen Energien“, besonders Wind- und Solarkraft hätten sich bewährt. Hier will es die Kommission, auch im Rahmen ihrer Pläne zur Klimaneutralität, „grünen“ Energieversorgern künftig leichter machen.

Der Boom bei den Energiepreisen kommt für die Kommission zur Unzeit. Ihr „Green Deal“ dürfte die Debatte, ob Klimaschutz angesichts der jetzt schon hohen Energiekosten zu teuer kommt, weiter anfachen.

Sorge vor Düngekrise

Auch die Sorge, dass die Energiekosten zu einem deutlichen Anstieg vieler Lebensmittel führen könnten, ist groß, wie das Nachrichtenportal Politico schreibt. Am Montag und Dienstag herrschte beim Treffen der Landwirtschaftsministerinnen und -minister in Luxemburg Einigkeit darüber, dass der Erdgaspreis die Kosten für Düngemittel mit in die Höhe reißen wird. Denn Gas ist ein wichtiges Mittel für die Produktion einiger der gebräuchlichsten Kunstdünger in der Landwirtschaft.

Der Anstieg der Energiepreise könne „sich natürlich in Zukunft auf die Lebensmittelpreise auswirken, das ist natürlich das Risiko“, wird Agrarkommissar Janusz Wojciechowski zitiert. Polens Regierung hatte bei dem Treffen ein Papier verteilt, das die Befürchtung vor „sozialen Unruhen“ in der gesamten EU ausdrückte. Die Union müsse daher unbedingt die sozialen Folgen bei Klimaschutzmaßnahmen und Gaspreissteigerungen bedenken.

Laut Energiekommissarin Simson wird das auch geschehen. Die Sorge vor unbezahlbaren Rechnungen sei in vielen Haushalten berechtigt, sagte sie am Mittwoch in Brüssel. „Wir sehen einen Anstieg auf der ganzen Welt, vor allem wegen der hohen Nachfrage in Asien und des Energiehungers, der durch den Aufschwung nach der Pandemie verursacht wird.“ Die Kommission wolle nicht nur das Versorgungssystem widerstandsfähiger machen, sondern vor allem europäische Konsumentinnen und Konsumenten schützen. Die Gespräche dazu beginnen nächste Woche beim EU-Gipfel in Brüssel, bei dem auch erstmals Alexander Schallenberg (ÖVP) als Bundeskanzler dabei sein wird.