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ÖVP-Affäre

Opposition einig über U-Ausschuss

In der ÖVP-Inseratenaffäre geht es weiter Schlag auf Schlag: Nach einer turbulenten Nationalratssondersitzung am Dienstag haben sich die Oppositionsparteien am Mittwoch auf einen neuen Untersuchungsausschuss zu den Korruptionsermittlungen gegen die ÖVP geeinigt. Wie Kai Jan Krainer (SPÖ), Christian Hafenecker (FPÖ) und Nikolaus Scherak (NEOS) bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mitteilten, wolle man so schnell wie möglich mit der parlamentarischen Aufarbeitung der ÖVP-Affäre beginnen.

Erklärtes Ziel sei es zudem, den U-Ausschuss möglichst kurz zu halten und schnell Klarheit schaffen, so Krainer, dem zufolge der U-Ausschuss im November seine Arbeit aufnehmen könnte – abhängig sei das aber von der Vorgehensweise der Regierungsparteien.

Es gebe die Befürchtung, dass nun massiv Akten vernichtet würden – auch aus diesem Grund sei es Hafenecker zufolge wichtig, dass man den U-Ausschuss möglichst rasch zum Starten bringe. Man könne jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, wie Scherak ergänzte.

U-Ausschuss zu ÖVP-Umfragen kommt

Am Mittwoch haben Sozialdemokraten, NEOS und Freiheitliche ihre Pläne für den geplanten"ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss" vorgestellt. Dieser soll angeblich bestellte Umfragen und Inserate der ÖVP untersuchen.

„Übertreffen sämtliche Befürchtungen“

„Die von der Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwürfe und die von ihr vorgelegten Belege für ein System des parteipolitischen Missbrauchs öffentlicher Gelder und Strukturen unter der Führung von Sebastian Kurz und seinen Gefolgsleuten übertreffen sämtliche Befürchtungen“, heißt es in dem ORF.at vorliegenden Dokument, mit dem die Opposition die Einsetzung des U-Ausschusses verlangt.

Krainer, der die SPÖ im „Ibiza“-U-Ausschuss angeführt hatte, sprach von einem „ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss“. Das Sittenbild aus dem „Ibiza“-Ausschuss sei durch die Entwicklungen der vergangenen Woche „noch vertieft“ worden. Es gebe „mafiöse Strukturen“ in einzelnen Ministerien, und man wolle diese „Sümpfe benennen, damit sie auch trockengelegt werden können“.

Statement von Kai Jan Krainer (SPÖ)

„Unfassbar irritiert“

Das Sittenbild lasse einen „unfassbar irritiert“ zurück, befand NEOS-Vizeklubchef Scherak. Das „türkise System“ habe nicht das Wohl des Landes im Sinn gehabt, sondern Machtergreifung, Machterhalt und den eigenen Vorteil. Notwendig seien Aufklärung und dann Reformen, „damit ein korruptes ÖVP-System nicht einfach so weiterwerken kann“.

Die ÖVP habe einen „Staat im Staat“ etabliert, so Hafenecker, zuletzt ebenfalls Fraktionsführer. Man höre, dass in den ÖVP-geführten Ministerien die Schredder bereits auf Hochtouren liefen und Mails gelöscht würden. Das sei auch der Grund, warum man nicht warten wollte, bis eine allseits gewünschte Reform der Ausschussspielregeln ausgehandelt ist, wie Hafenecker auf Nachfrage sagte – eine Liveübertragung für die Öffentlichkeit wird es also auch diesmal vorerst nicht geben.

Statement von Christian Hafenecker (FPÖ)

ÖVP will „genau prüfen“

Andreas Hanger, einst ÖVP-Fraktionsführer im „Ibiza“-U-Ausschuss, appellierte in einer Aussendung an die Opposition, ihre „Verantwortung und die Verpflichtung zu echter Aufklärungsarbeit“ wahrzunehmen. Leider lasse „die unheilvolle Koalition aus SPÖ und der Kickl-FPÖ“ vermuten, dass „das reine Anpatzen der ÖVP aus machtpolitischem Kalkül“ wesentlicher Motivationstreiber werden könnte. „Daher werden wir genau prüfen, was die Opposition in ihrem Verlangen fordert“.

Auch die Grünen, die sich eben erst mit dem Koalitionspartner ÖVP zusammengerauft haben, reagierten via Aussendung, und das recht scharf: „Die Härte der Vorwürfe zur Meinungs- und Medienmanipulation, die derzeit im Raum stehen, machen eine umfassende Aufklärung notwendig“, schrieben Nina Tomaselli und David Stögmüller, die bereits als Mitglieder des neuen U-Ausschusses designiert sind.

Die Grünen begrüßten daher „die parlamentarische Aufklärung der Machenschaften rund um Inserate, Umfragen und mutmaßlichen Steuergeldmissbrauch“. Der „politische Reinigungsprozess nach den bestürzenden Ereignissen“ könne nun beginnen.

Nur Spitze von Eisberg?

Laut SPÖ, FPÖ und NEOS sei das „bisher Bekannte womöglich nur die Spitze des Eisbergs“. Der Untersuchungsgegenstand ist dem Dokument zufolge breit gefasst und umfasst „das Gewähren von Vorteilen an mit der ÖVP verbundene natürliche und juristische Personen durch Organe des Bundes im Zeitraum von 18. Dezember 2017 bis 11. Oktober 2021 sowie diesbezügliche Vorbereitungshandlungen (…)“.

Statement von Nikolaus Scherak (NEOS)

Umfassendes Untersuchungsziel

Im Rahmen des U-Ausschusses wolle man nun „umfassend klären, ob es ausgehend vom ‚Projekt Ballhausplatz‘ durch eine Gruppe von in Organen des Bundes tätigen, der ÖVP zuzuordnenden Personen zu Missbrauch von Organbefugnissen zum Zweck der Förderung der parteipolitischen Interessen der ÖVP gekommen und dadurch staatlichen Interessen möglicherweise ein Schaden entstanden ist“.

Inhaltlich soll sich der neue Untersuchungsausschuss in vier Bereiche gliedern: Der Teil „Beeinflussung von Vergabe- und Förderverfahren“ widmet sich etwa dem von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft untersuchten Verdacht, öffentliche Gelder könnten für frisierte Umfragen zugunsten der türkisen ÖVP ausgegeben worden sein. Aber auch die „Einflussnahme auf Beteiligungen des Bundes“, etwa bei der staatlichen Beteiligungsgesellschaft ÖBAG, will die Opposition weiter unter die Lupe nehmen – war das doch bereits im abgeschlossenen „Ibiza“-Untersuchungsausschuss Thema.

Auch Wirecard und Terroranschlag in Wien auf Agenda

Ebenfalls ein Wiedersehen könnte es mit einem weiteren Aspekt aus dem „Ibiza“-U-Ausschuss geben, sollte das gemeinsame Verlangen so angenommen werden: der „Beeinflussung von Ermittlungen und Aufklärungsarbeit“, also dem Konflikt etwa zwischen WKStA und der Oberstaatsanwaltschaft Wien, wozu ebenfalls aktuell ermittelt wird.

PK von Scherak, Hafenecker und Krainer
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Hafenecker, Krainer und Scherak (v. l. n. r.) wollen mit dem U-Ausschuss „Sümpfe benennen und trockenlegen“

Aufgegriffen werden sollen zudem Postenbesetzungen in staatsnahen Organisationen und das damit einhergehende „Maßschneidern von Ausschreibungen“ zugunsten türkiser Parteigänger oder Spender an die Partei. Der FPÖ sind auch „Verknüpfungen“ von ÖVP und Wirecard wichtig, nicht zuletzt könnten auch Aspekte des Terroranschlags von Wien vor einem Jahr untersucht werden, sollte es Hinweise auf eine Beeinflussung von Ermittlungen geben.

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt – von Kurz selbst bis zum „Österreich“-Herausgeber Wolfgang Fellner – gegen insgesamt zehn Verdächtige wegen des Verdachts der Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit. Das Team um Kurz, der am Samstag als Kanzler zurückgetreten ist, soll den politischen Aufstieg des 35-Jährigen auch durch aus Steuergeldern bezahlte geschönte Umfragen organisiert haben. Kurz bestreitet die Vorwürfe. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Die weitere Vorgangsweise

Was die Frage des Vorsitzes betrifft – diesen führt laut Geschäftsordnung Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) –, wollten sich die Oppositionsvertreter nicht aus dem Fenster lehnen. Im „Ibiza“-Ausschuss wurde dem früheren Innenminister regelmäßig die Überparteilichkeit abgesprochen und Befangenheit vorgeworfen. „Das ist nicht an uns, es zu entscheiden“, spielte Scherak den Ball weiter. Sobotka müsse sich selbst die Frage stellen, ob er den Vorsitz führen könne – es gebe ja auch die Möglichkeit, dass die Zweite Präsidentin oder der Dritte Präsident übernimmt.

Was die weitere Vorgangsweise auf dem Weg zum U-Ausschuss betrifft, muss der Geschäftsordnungsausschuss binnen acht Wochen über das Verlangen entscheiden. Für einen Einspruch gegen den Untersuchungsgegenstand brauchte es eine Mehrheit, die ÖVP müsste also die Grünen überzeugen, dagegen zu stimmen. Und selbst das wäre keine Verhinderung des U-Ausschusses, denn in so einem Fall könnte sich die Opposition an den Verfassungsgerichtshof wenden, der dann innerhalb von vier Wochen entscheidet.