Szene der südkoreanischen Serie „Squid Game“
Netflix/Youngkyu Park
„Bestialisch“

Nordkorea verurteilt „Squid Game“

Keine Serie wird derzeit so häufig gestreamt wie die Netflix-Produktion „Squid Game“ aus Südkorea. Darin müssen 456 hoch verschuldete Menschen in Kinderspielen gegeneinander antreten. Dem Gewinner winkt ein hoher Millionenbetrag. Wer bei einer Spielrunde verliert, wird ermordet. Ein nordkoreanisches Propagandamedium sieht darin einen Beweis für die Grausamkeit kapitalistischer Gesellschaften.

Bereits in über 90 Ländern führt das brutale Überlebensdrama die Streamingcharts an. Laut Netflix erreichte die Serie 111 Millionen Fans nach nur knapp einem Monat seit der Premiere am 17. September. Inzwischen hat auch der verfeindete Nachbar des Produktionslandes auf den Hype um „Squid Game“ reagiert.

Die nordkoreanische Propagandawebsite Arirang Meari schrieb, die Zuschauer würden von einer Show angezogen, welche die „traurige Realität einer bestialischen südkoreanischen Gesellschaft“ aufzeigt, die sich an das „Gesetz des Dschungels“ hält, hieß es in dem Artikel vom Dienstag.

Szene der südkoreanischen Serie „Squid Game“
Netflix
In „Squid Game“ müssen die Teilnehmer vermeintlich harmlose Kinderspiele spielen – wer verliert, wird ermordet

„Höllenähnlicher Horror“ des Kapitalismus

Das „Wall Street Journal“, das am Donnerstag über den nordkoreanischen Artikel berichtete, beschrieb Nordkoreas „Hassliebe zur südkoreanischen Popkultur“. Lange zirkulierten in Nordkorea geschmuggelte USB-Sticks mit südkoreanischer Popmusik, Filmen und Fernsehsendungen. Berichten zufolge ist der Konsum solcher Inhalte durch das Regime von Kim Jong Un streng verboten.

Arirang Meari begründete die Popularität der Serie damit, dass sie „die Realität der südkoreanischen kapitalistischen Kultur aufzeigt“. Die Show illustriere „eine Welt, in der nur Geld zählt – ein höllenähnlicher Horror“, hieß es in dem Artikel.

Im Juni 2019 erklärte die nordkoreanische Propagandawebsite DPRK Today, dass der oscarprämierte südkoreanische Film „Parasite“ den Menschen vor Augen führe, dass das kapitalistische System Südkoreas „eine verrottete, kranke Gesellschaft mit einem bösartigen Tumor“ sei.

„Parabel für die moderne kapitalistische Gesellschaft“

Dabei versteht sich „Squid Game“ durchaus als Kritik an den südkoreanischen Verhältnissen. Die Diskriminierung sozialer Minderheiten wird genauso thematisiert wie der herrschende extreme Leistungsdruck. In einem Interview sagte Regisseur Hwang Dong Hyuk, dass er das „Überlebensspiel als eine Metapher, eine Parabel für die moderne kapitalistische Gesellschaft“ darstellen wollte.

„Ein Grund, warum das rekordverdächtige Hitdrama von Netflix bei so vielen Menschen Anklang fand, ist, dass es auch ein sozialer Kommentar zu realen Vorfällen in Korea ist“, schrieb etwa die Tageszeitung „Korea Herald“, um zu erklären, warum die Serie den Zeitgeist getroffen hat.

Dass die derzeit erfolgreichste Serie ausgerechnet aus Südkorea kommt, ist kein Zufall. Die Regierung in Seoul fördert seit Ende der 90er Jahre gezielt den Kulturexport als wirtschaftliche Wachstumsbranche. Zuletzt hatte das Land große, internationale Erfolge hervorgebracht, allen voran die Boyband BTS.

Diplomatische Streitigkeiten mit China

Nicht nur im Westen, auch in der Volksrepublik China erreicht die Serie ein Massenpublikum. Auf der Onlineplattform Weibo, einem Mikroblogging-Dienst vergleichbar mit Twitter, haben laut Medienberichten mehr als zwei Milliarden User den Hashtag zu „Squid Game“ angeklickt. Dabei ist die Serie in Chinas streng reguliertem Internet offiziell gar nicht erhältlich.

Szene der südkoreanischen Serie „Squid Game“
Netflix/Youngkyu Park
Die Serie wird als Gesellschaftskritik verstanden und führt inzwischen zu diplomatischen Verwicklungen und Nachahmungseffekten

Die ganz offensichtliche Piraterie mit „Squid Game“ entwickelte sich schlussendlich zum diplomatischen Streitfall: Jang Ha Sung, Südkoreas Botschafter in Peking, verlangte laut Angaben des koreanischen Senders KBS von den chinesischen Behörden, gegen Filesharing-Seiten einzugreifen, die die Serie illegal verbreiten.

Bedenkliche Nachahmungseffekte

Der große Erfolg von „Squid Game“ hat zudem zu einem deutlich gesteigerten Interesse am Erlernen der koreanischen Sprache geführt. Anfang Oktober gab das Unternehmen Duolingo, das Onlinesprachkurse anbietet, bekannt, dass man in den USA seit Serienstart von „Squid Game“ im September 40 Prozent mehr Nutzer für Koreanischkurse registrierte als noch im Vorjahreszeitraum.

Doch auch zu bedenklichen Nachahmungseffekten ist es bereits gekommen. Laut Medienberichten haben Schüler an einer Schule im belgischen Erquelinnes ihre Version der Serie nachgespielt, wobei die Verlierer verprügelt wurden. Die Schulleitung musste sich schließlich per Facebook an die Eltern der Schüler wenden.