Ein Container wird von einem Schiff auf einen Lkw verladen
AP/Imaginechina
Banger Blick Richtung Weihnachten

Lieferkettenchaos als doppelte Gefahr

Weltweit sind vor allem durch die CoV-Pandemie die zeitlich oft äußerst knapp bemessenen Lieferketten seit Monaten in Turbulenzen. Das belastet den Wirtschaftsaufschwung – und das Weihnachtsgeschäft – zunehmend. CoV-Impfungen für die gesamte Welt werden angesichts dessen neben einer humanitären immer mehr auch zu einer wirtschaftlichen Frage.

Seit Monaten steht die Wirtschaftswelt Kopf: Es ist nicht eine mangelnde Nachfrage, die die Konjunktur bremst. Vielmehr werden die seit Monaten andauernden und sich zuspitzenden Lieferengpässe für die Globalisierung und das damit verbundene System der großräumig verteilten, großteils an Zulieferer ausgegliederten Produktion zu einer zunehmenden Herausforderung. Von Auto- über Möbel- und Pharma- bis Schuhproduzenten betreffen die durch die Pandemie ausgelösten Produktionsausfälle fast alle Branchen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß.

Die Pandemie führte und führt zudem in unterschiedlichen Ländern zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu Verzögerungen in der Produktion oder überhaupt Schließungen ganzer Werke. Und wenn auch nur ein Zulieferteil fehlt, kann die Endfertigung nicht stattfinden. Das bremst in den USA und Europa mittlerweile den Aufschwung nach der schweren pandemiebedingten Krise.

„Paradoxe Lage“

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) betonte zuletzt, es gebe Firmen, „die in existenzielle Bedrohung kommen – bei vollen Auftragsbüchern“. DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben sprach daher im ARD-Interview von einer fast schon „paradoxen“ Lage.

Wansleben nannte als Beispiel Baufirmen, die Bauzusagen an Käufer gegeben haben und sich jetzt mit gestiegenen Einkaufspreisen für Materialien und Engpässen konfrontiert sehen. Das bedeute nicht nur Kosten, die nicht einkalkuliert seien, sondern auch mögliche Strafzahlungen oder Kompensierungen für die Käufer, die nicht rechtzeitig ihr Haus erhielten.

Lkws warten vor Containern im Hafen von Los Angeles
Reuters/Mike Blake
Vor Containerumschlagplätzen bilden sich derzeit enorme Staus. Auch die Überlandlogistik ist teils in Turbulenzen.

Die heimische Wirtschaft kosteten die Lieferschwierigkeiten allein im zweiten und dritten Quartal laut Nationalbank 750 Mio. Euro. Die Wirtschaftskammer sieht daher weiter „große Herausforderungen“ für Unternehmen und verwies in einem internen Papier auf die dadurch steigende Teuerungsrate. Auch jüngste Eurostat-Zahlen zur Industrieproduktion in der Euro-Zone bestätigen den Trend: Diese ging laut „Financial Times“ im August im Vergleich zum Vormonat um 1,6 Prozentpunkte zurück.

Warnung vor großen Unterschieden

Nicht von ungefähr erklärten die Finanzminister der G-20-Staatengruppe am Mittwoch, an den wegen der Panademie beschlossenen Konjunkturhilfen festhalten zu wollen. Die G-20-Staaten erklärten, die Erholung verlaufe zwischen den Staaten und innerhalb von Ländern höchst unterschiedlich und sei zudem von Rückfällen etwa beim Auftreten neuer Virusvarianten bedroht. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte zuvor seine weltweite Wachstumsprognose leicht gesenkt und als Risikofaktor vor allem vor den großen Unterschieden bei der wirtschaftlichen Erholung gewarnt.

Hafen von Los Angeles geht in Dauerbetrieb

US-Präsident Joe Biden ordnete angesichts der weltweiten Lieferengpässe an, dass der Hafen von Los Angeles nun rund um die Uhr betrieben wird, berichtete unter anderem das „Wall Street Journal“. Normalerweise ist der zweitgrößte Containerhafen der USA nur montags bis freitags untertags in Betrieb. Durch die 24/7-Öffnung können Containerschiffe 60 Stunden zusätzlich pro Woche be- und entladen werden. Der größte Containerhafen der USA im nahe gelegenen Long Beach arbeitet bereits im Dauerbetrieb.

Biden beruhigt Konsumenten

Die Lieferengpässe etwa wegen Staus in Häfen und fehlenden Containerkapazitäten machen sich zunehmend bemerkbar. Mit dem Dauerbetrieb der beiden Häfen soll der Rückstau abgebaut werden. „Ich weiß, dass Sie viel über Lieferketten hören und wie schwierig es ist, eine Reihe von Dingen zu bekommen – vom Toaster über Turnschuhe bis hin zu Fahrrädern und Schlafzimmermöbeln“, sagte Biden. Er verstehe, dass das vielen Menschen Sorge bereite.

Der US-Einzelhändler Walmart und die US-Paketdienste UPS und Fedex hätten zugesagt, ebenfalls außerhalb ihrer Hauptzeiten zu arbeiten, um die Waren zu entladen oder zu transportieren. „Die heute eingegangenen Verpflichtungen sind ein Zeichen für einen großen Fortschritt und dafür, dass die Waren von den Herstellern in die Geschäfte oder zu Ihnen nach Hause kommen“, sagte Biden.

„Wir sind nicht die Post oder UPS oder Fedex, wir können nichts garantieren“, reagierte die Sprecherin des Weißen Haus, Jen Psaki, zuletzt auf die Frage, ob zum Beispiel Weihnachtspakete rechtzeitig ankommen werden. „Was wir tun können, ist, alle der Regierung zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um Verzögerungen zu verringern und sicherzustellen, dass wir Engpässe im System beseitigen.“

Weihnachtsbäume aus Plastik
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Christbäume aus Plastik könnten heuer mancherorts Mangelware sein

Warnungen vor leeren Regalen

Zuletzt hatten sich die Warnungen von Händlern vor Engpässen im Weihnachtsgeschäft – und zuvor in den USA rund um Halloween – gehäuft. Vor allem bei Computerspielen, -konsolen und generell bei Elektronikartikeln könnte es angesichts des weiter großen Chipmangels knapp werden, berichtete etwas das Magazin „Focus“.

Wer Geschenke gern auf dem letzten Drücker besorgt, könnte heuer vor teils leeren Regalen stehen, auch online deutlich weniger Auswahl haben und mit höheren Preisen konfrontiert sein, so die Warnungen. Nicht nur in den USA, auch in Europa gibt es Stimmen – vor allem von Branchenvertretern –, man solle sich nicht auf „Last Minute“ verlassen.

Die US-Ökonomin Betsey Stevenson betonte zuletzt gegenüber dem öffentlich-rechtlichen US-Radiosender NPR, dass der Arbeitskräftemangel, der letztlich die Hauptursache für die Material- und Lieferengpässe ist, nicht rasch vorbeigehen werde. Wegen der Pandemie gebe es weniger Mobilität – das wirke sich besonders bei Migrantinnen und Migranten und Saisonarbeitskräften aus, die in den USA und Europa überwiegend die schlecht bezahlten Arbeiten machen.

Solidarität im eigenen Interesse

Viele wechselten während der Pandemie zudem ihren Job. Andere würden sie etwa in den USA abwarten, um einen besser bezahlten Job zu finden. Stevenson zufolge seien nicht wenige Menschen durch die Lockdowns entschleunigt worden. In der Folge hätten sie überdacht, was ihnen in ihrem Leben wirklich wichtig sei, und hätten eine Weiterbildung begonnen.

Die Lieferprobleme zeigen laut Stevenson aber vor allem auch, dass es für die USA und die EU nicht reiche, die eigene Bevölkerung gegen Covid-19 zu impfen. Mehr Solidarität wäre hier auch im eigenen Interesse, denn: Um die ständigen Unterbrechungen in der globalisierten Wirtschaft zu beenden, müssten die USA und Europa dafür sorgen, dass es auch in Entwicklungsländern die Möglichkeit gebe, sich impfen zu lassen.

Entgangenes Geschäft, rapid steigende Preise

Die Versorgungsengpässe sind für die Wirtschaft für sich genommen eine Gefahr – für einzelne Unternehmen und für die gesamte Konjunktur von Ländern. Die Materialknappheit an allen Ecken und Enden lässt zugleich die Preise nach oben schnellen und damit die Inflation. Großteils sehen die Notenbanken darin noch ein vorübergehendes Problem, das sich bis nächsten Sommer entspannen wird. Doch gibt es auch Stimmen, die in der Inflation eine längerfristige Gefahr sehen.

Hart zu spüren bekommt die Versorgungsengpässe auch der Automarkt in Europa. Die Lieferprobleme bei Computerchips und anderen Teilen bremsen die Autoproduktion und damit das Angebot. „Die Nachfrage ist zwar groß, aber die Industrie kann sie nicht bedienen“, sagte Peter Fuß, Autoexperte der Unternehmensberatung EY. Die Konzerne steuern dagegen, indem sie sich auf die profitabelsten Modelle konzentrieren und weniger Rabatt geben. Dennoch sei wegen der Produktionsausfälle mit erheblichen Umsatzeinbußen zu rechnen. „Der Branche stehen sehr schwierige Monate bevor“, warnte der Experte. Erst Mitte nächsten Jahres sei eine spürbare Entspannung der Lage zu erwarten.