Sechs Tote bei Protesten in Beirut

Der Streit um die schleppende Aufarbeitung zur Explosion von Beirut ist in der libanesischen Hauptstadt auf tödliche Weise eskaliert. Bei einem Protest kam es dort heute zu Schüssen und schweren Feuergefechten auf offener Straße. Mindestens sechs Menschen wurden Innenminister Bassam Maulawi zufolge getötet, 30 weitere laut Rotem Kreuz verletzt.

Auf Videos waren Verwundete zu sehen sowie bewaffnete Männer bei Schusswechseln in Wohnvierteln. Nach etwa vier Stunden schien sich die Lage etwas zu beruhigen.

Tote und Verletzte bei Schüssen in Beirut

In Beirut sind in der Nähe einer geplanten Protestkundgebung Schüsse gefallen und mindestens zwei Detonationen zu hören gewesen. Die Schüsse seien zunächst von einem überwiegend von Christen bewohnten Stadtviertel aus abgegeben worden, heißt es aus Militärkreisen.

Die Gewalt begann laut einem Augenzeugen, als Unbekannte aus einem Gebäude in Nähe des Justizpalastes Schüsse abgaben. Dort war ein Protest gegen Ermittlungsrichter Tarek Bitar geplant, der die Untersuchung zur gewaltigen Explosion im Hafen von Beirut im August 2020 leitet. Dabei waren mehr als 190 Menschen getötet und rund 6.000 verletzt worden. Auf einem Video war zu sehen, wie Scharen von Menschen bei Schüssen neben einem Hochhaus plötzlich Deckung suchen.

Verängstigte Anrainerinnen und Anrainer flüchteten während der Gefechte teils mit Kindern im Arm, andere holten ihre Kinder in Panik aus der Schule. Einige Kinder wurden zu ihrem Schutz in Klassenzimmern gehalten. Soldaten brachten ältere Menschen in Sicherheit.

Gegenseitige Beschuldigungen

UNO-Sonderkoordinatorin Joanna Wronecka rief auf Twitter zu „höchster Zurückhaltung“ und einer Wiederherstellung der Ruhe auf. Die Vereinten Nationen in New York betonten die Notwendigkeit einer unabhängigen Untersuchung der Explosion im vergangenen Jahr.

Wer für die Gewalt verantwortlich war, blieb zunächst unklar. Die schiitische Amal-Bewegung und die mit ihr verbundene, irantreue Hisbollah sprach von Scharfschützen auf Dächern, die das Feuer auf ihre Anhänger bei dem Protest eröffnet hätten. Sie beschuldigten die christlichen Forces Libanaises (FL), bewaffnete Milizen auf die schiitischen Demonstranten losgeschickt zu haben.

Amal und Hisbollah fordern, dass Ermittlungsrichter Bitar der Fall entzogen wird. Einen entsprechenden Antrag zweier Ex-Minister mit Verbindungen zu Hisbollah und Amal wies ein Kassationsgericht zurück. Andere Kräfte werfen der Hisbollah dabei vor, die Ermittlungen zur Explosion behindern zu wollen. FL-Chef Samir Geagea forderte die Regierung auf, sich durch die Hisbollah bei den Ermittlungen zur Explosion nicht einschüchtern zu lassen.

Mikati ruft zur Ruhe auf

Ministerpräsident Najib Mikati rief die Libanesen zur Ruhe auf und dazu, sich „aus keinem Grund in einen Bürgerkrieg ziehen zu lassen“. An solch einen fühlten sich einige angesichts der Straßengefechte trotzdem erinnert. Im Libanon führten von 1975 bis 1990 unter anderem christliche und muslimische Milizen gegeneinander einen Bürgerkrieg. Die Gewalt am Donnerstag spielte sich auch in Nähe einer früheren Demarkationslinie zwischen schiitischen und christlichen Vierteln ab.

Am Nachmittag stellte die Armee schrittweise wieder Ruhe her. Auf den Straßen waren Panzer und Soldaten in Stellung. An mehreren Gebäuden waren Einschusslöcher zu sehen. Die Armee hatte kurz nach Ausbruch der Gewalt gewarnt, auf jegliche Schützen das Feuer zu eröffnen.