Klubobmann Sebastian Kurz im Nationalrat
APA/Hans Punz
WKStA-Antrag

Nationalrat soll Kurz „ausliefern“

Kaum angelobt, ist Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nach Informationen der APA schon mit einem „Auslieferungsantrag“ der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) konfrontiert. Formal wird der Nationalrat ersucht, dass die Ermittlungen gegen den nunmehrigen ÖVP-Klubobmann fortgesetzt werden können.

Aus dem ÖVP-Klub hieß es dazu Donnerstagabend auf APA-Anfrage, dass man das Begehren nicht nur unterstütze, sondern auch froh darüber sei, dass dieses so rasch eingebracht wurde. Dadurch werde es zügig die Möglichkeit geben, die Vorwürfe gegen Kurz zu widerlegen. Die Erlaubnis zur Fortsetzung der Ermittlungen wird wohl schon in einer der kommenden Plenarsitzungen gegeben werden, da Kurz zum Zeitpunkt der Vorwürfe kein Abgeordneter war und damit kein Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Mandatar bestehen kann.

Geht es nach den Usancen des Parlaments, dürfte Kurz nach dem Ersuchen der WKStA zur behördlichen Verfolgung im Zusammenhang mit der Inseratenaffäre im November ausgeliefert werden, sofern es bis dahin zu keiner Sondersitzung kommt. Die nächste Plenarsitzung ist für den 16. November angesetzt. Usus ist, dass der Immunitätsausschuss unmittelbar davor zusammenkommt. Jedenfalls muss bei Auslieferungsbegehren innerhalb einer Frist von acht Wochen eine Entscheidung des Nationalrates getroffen werden.

Kurz dürfte bereits informiert sein

Nach Informationen der APA wurde Kurz selbst Donnerstagabend über den „Auslieferungsantrag“ informiert. Bei der Parlamentsdirektion wollte man das auf Anfrage offiziell nicht bestätigen, allgemein hieß es jedoch, dass in derartigen Fällen nach der Verständigung des betroffenen Abgeordneten der Nationalratspräsident den Immunitätsausschuss damit befasst.

Durch Kurz’ Angelobung und die damit verbundene Immunität muss die WKStA nun jene Ermittlungsstränge in ihren Causen ruhen lassen, die die Person des Ex-Kanzlers persönlich betreffen, wie Experten auf APA-Anfrage sagten. Ermittelt wird gegen den früheren Regierungschef und neun weitere Personen aus seinem engsten Umfeld wegen Untreue und Bestechlichkeit und Bestechung in der neuen Inseratenaffäre. Dazu gibt es Ermittlungen wegen falscher Zeugenaussage im U-Ausschuss. Kurz bestreitet alle Vorwürfe vehement. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Meinungsforscherin enthaftet

Die im Zusammenhang mit der ÖVP-Korruptionsaffäre festgenommene Meinungsforscherin Sabine Beinschab wurde indes am Donnerstag enthaftet. Wie die WKStA mitteilte, wurde kein Antrag auf U-Haft gestellt. „In der Inseratenaffäre liegen bei der vor Kurzem festgenommenen Person die zum Zeitpunkt der Festnahme angenommenen Haftgründe nicht mehr vor“, sagte ein WKStA-Sprecher. Deswegen habe die WKStA vor Ablauf der 48-Stunden-Frist keinen U-Haft-Antrag gestellt.

Auf die Frage, ob es seit der Festnahme grundsätzlich weitere Ermittlungsschritte von der WKStA gegeben habe, sagte der Sprecher, dass in diesem Ermittlungsstadium die Ermittlungen nicht stillstünden, „weitere Zwangsmaßnahmen jedoch nicht gesetzt wurden“.

Spekulationen über Kronzeugenregelung

Beinschab war Dienstagfrüh an ihrer Privatadresse wegen Verdunkelungsgefahr festgenommen worden, wobei die Festnahmeanordnung ein Richter bewilligt hatte. Im Anschluss soll sie – offiziell nicht bestätigten – Informationen der APA zufolge im Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) vernommen worden sein.

Dass vor der Enthaftung kaum bzw. keine gesicherten Informationen zur Einvernahme nach außen drangen, nährte in Anwaltskreisen Spekulationen, Beinschab könne sich womöglich auf die Kronzeugenregelung eingelassen haben und umfassend aussagen. Belege in diese Richtung gibt es aber nach wie vor nicht.

Daten „in größerem Umfang“ gelöscht?

Beinschab steht im Verdacht, gemeinsam mit ihrer Kollegin und Ex-ÖVP-Ministerin Sophie Karmasin frisierte Umfragen für die Tageszeitung „Österreich“ erstellt zu haben, die Kurz bzw. der ÖVP zugutegekommen sein sollen. Zudem soll sie Scheinrechnungen gestellt haben. Damit werden ihr Beitragstäterschaft zu Untreue und Bestechung vorgeworfen. Auch für Beinschab gilt die Unschuldsvermutung.

Die Festnahme war offenbar wegen Verdunkelungsgefahr erfolgt: Beinschab soll am Tag vor der Hausdurchsuchung am Mittwoch vergangener Woche die Festplatte ihres Computers gelöscht haben – sie soll, wie die „Presse“ berichtete, „Serverdaten in größerem Umfang gelöscht“ haben. In Medien wurde nach dem „Presse“-Bericht die Frage aufgeworfen, ob die hinter der Affäre stehenden Hausdurchsuchungen vorab verraten worden sein könnten.

Beinschab ist Gründerin des Marktforschungsinstituts Research Affairs, das seit vielen Jahren die Umfragen für die Mediengruppe „Österreich“ durchgeführt hat. Die beschuldigte Gruppe um Ex-Kanzler Kurz nannte die Umfrageplatzierungen „Beinschab-Österreich-Tool“. Auch für alle weiteren Beschuldigten, darunter Karmasin, gilt die Unschuldsvermutung.

Bis vor Kurzem Umfragen veröffentlicht

Unklar ist bisher, inwieweit Beinschab in den vergangenen Jahren – also in jenen, die nicht mehr durch Chats dokumentiert sind – politisch gefällige Studienergebnisse geliefert hat. Dass sie weiterhin sowohl für das Finanzministerium als auch für die „Österreich“-Mediengruppe gearbeitet hat, ist bekannt. So veröffentlichte „Österreich“ etwa erst im August zwei Research-Affairs-Umfragen binnen einer Woche, wonach sich einmal 90 und einmal 69 Prozent aller Österreicher für die Abschiebung von straffälligen Afghanen aussprechen.

2020 und 2021 veröffentlichte Beinschab aber auch mehrere ihrer Ergebnisse selbst als Aussendung via OTS. Die Aussendungen haben Titel wie „ÖsterreicherInnen sprechen sich für den Ankauf von Sputnik V aus“, „ÖsterreicherInnen sprechen sich gegen eine Erleichterung des Zugangs zur Staatsbürgerschaft aus“ und „ÖsterreicherInnen sprechen sich klar für Druck auf unwillige Arbeitslose aus“ und decken sich im Wesentlichen mit ÖVP-Positionen bei damals aktuellen Debatten. Wer die Studien in Auftrag gegeben hat, geht aus den Aussendungen nicht hervor. Auf ihrer Website werden sie als „Eigenstudie“ bezeichnet.

Schlagabtausch Opposition – ÖVP

Auf das Gerücht, wonach die Hausdurchsuchungen vorab verraten worden sein könnten, folgte zuletzt ein Schlagabtausch zwischen Opposition und ÖVP, bei dem das Innenministerium jede Informationsweitergabe dementierte. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch forderte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) auf, sofort zu den im Raum stehenden Vorwürfen Stellung zu nehmen.

FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz sprach in Bezug auf den „Presse“-Artikel von einem „Skandal der Sonderklasse“: Es bestehe „kein Zweifel, dass die Meinungsforscherin den Tipp aus dem türkisen System hatte“. Stephanie Krisper von NEOS ortete ein „türkises System“ im Innenministerium – diese „Sümpfe“ müsse man „endlich trockenlegen“.

„Keinerlei Informationsweitergabe“

Vonseiten des Ressorts habe es „keinerlei Informationsweitergabe“ gegeben, teilte das Innenministerium Dienstagabend in einer ORF.at vorliegenden Stellungnahme mit. Das Ministerium verwies auf die „besondere Stellung“ des bei der WKStA-Amtshandlung „unterstützend“ tätig gewesenen BAK. Durch das BAK-Gesetz verankert habe dieses „keinerlei Berichtspflicht innerhalb des Bundesministeriums für Inneres – auch nicht an die Ressortleitung“, so das Ministerium, dem zufolge das BAK zudem „erst kurzfristig vor den Durchsuchungen informiert“ worden sei.

Zur Verteidigung Nehammers war zuvor auch die stellvertretende ÖVP-Generalsekretärin Gabriela Schwarz ins Feld gezogen. Die am Mittwoch vergangener Woche erfolgten Hausdurchsuchungen seien „im Vorfeld durch Medienanfragen an ihre Partei publik geworden“, hieß es in einer Aussendung, in der Schwarz auch auf ihre eigene Pressekonferenz vom 28. September verwies.

„Wir haben tagelang unmissverständliche Anfragen von Journalistinnen und Journalisten über bevorstehende Hausdurchsuchungen im Umfeld der Volkspartei erhalten", so Schwarz: „Dass SPÖ und FPÖ nun vereint versuchen, den Innenminister anzupatzen", sei „nicht nur völlig realitätsfremd, sondern auch vollkommen absurd.“

„Presse“: Datenlöschung auch bei „Österreich“?

Hinweise auf eine anstehende Amtshandlung habe Beobachtern zufolge auch ein genauer Blick auf die Ordnungsnummern des Casinos-Ermittlungsaktes nahegelegt. Laut „Presse“ wurde der Termin für die Hausdurchsuchungen aber auch mehrfach verschoben. „Am 4. Oktober wurden Exekutive und Innenministerium informiert, dass die Razzia zwei Tage später stattfinden soll“, heißt es in der Zeitung.

Die „Presse“ berichtete zudem, dass es auch in der „Österreich“-Mediengruppe Versuche gegeben habe, Daten professionell löschen zu lassen. Mehrere Cybersecurity-Firmen seien angefragt worden, Daten aus Clouds und Messenger-Diensten zu löschen. Begründet wurde das mit einem Sicherheitsleck. Chefredakteur Niki Fellner sprach laut „Presse" von einem „groben Missverständnis“. Man habe Ende August einen schwerwiegenden Fall von Cyberkriminalität im Haus entdeckt, bei dem versucht worden sei, hohe Rechnungsbeträge auf ein US-Konto umzuleiten. Ob Daten dann tatsächlich gelöscht wurden, ließ Fellner laut „Presse“ offen.