Deutsches Polizeiauto
APA/AFP/Jens Schlueter
Elfjährige verschwunden

Deutsche Polizei prüft Verbindung zu Sekte

Nach dem Verschwinden eines elfjährigen Mädchens im deutschen Schwaben gibt es Hinweise, dass das Kind im Umfeld der Sekte „Zwölf Stämme“ ist. Es sei bei dem Pflegevater eine E-Mail eines Absenders eingegangen, der mutmaßlich der Sekte zuzuordnen sei, sagte ein Polizeisprecher am Montag. Die Elfjährige, die am Samstag vom Joggen nicht heimgekehrt war, halte sich wieder bei ihren leiblichen Eltern auf.

Der Sprecher des Polizeipräsidiums in Augsburg sagte, es müsse noch überprüft werden, ob die Mail authentisch sei. Weitere Suchmaßnahmen seien aber vorerst nicht geplant, was darauf hinweisen könnte, dass sich die Polizei in ihren bisherigen Ermittlungen bereits relativ sicher ist.

Bereits am Wochenende war darüber spekuliert worden, dass die den „Zwölf Stämmen“ zugeordneten Eltern etwas mit dem Verschwinden des Kindes zu tun haben könnten. Das Kind war am Samstag im Ortsteil Eppisburg in der Gemeinde Holzheim verschwunden und nicht mehr nach Hause zurückgekehrt.

„Sieht nicht nach Ausreißergeschichte aus“

„Nach einer Ausreißergeschichte sieht das nicht aus“, sagte Polizeioberkommissar Markus Trieb am Sonntag. Von Beginn an schlossen die Eltern eine Beteiligung der leiblichen Eltern an dem Verschwinden nicht aus, dennoch suchten auch zahlreiche Ermittler nach dem Kind. Daran waren neben rund 100 Einsatzkräften auch Suchhunde und Polizeihubschrauber beteiligt.

Die „Zwölf Stämme“ waren früher im nordschwäbischen Klosterzimmern bei Deiningen angesiedelt. Mitglieder leben und arbeiten in Kommunen. Diese sind streng hierarchisch gegliedert. Die männlichen Mitglieder werden „Brüder“, die weiblichen „Schwestern“ genannt. Frauen sind den Männern klar untergeordnet.

Schlagen von Kindern als angemessen betrachtet

Männer tragen Bärte und langes Haar, was biblisch und aus der Tradition des Judentums heraus begründet wird. Frauen tragen weite Hosen, Röcke oder Kleider. Auch der Tagesablauf ist streng reguliert. Die „Brüder“ und „Schwestern“ der Gemeinschaft müssen hart und lange arbeiten, bekommen keinen Lohn und verzichten auf persönliches Eigentum. Eine Krankenversicherung wird wie jede staatliche Sozialleistung abgelehnt.

Die christlich geprägte Sekte kam immer wieder in die Schlagzeilen, weil sie das Schlagen von Kindern als angemessene Erziehungsmethode betrachtet. Zur Gruppe gehörende Kinder unterrichten sie selbst, in Bayern durften sie das bis 2013 mit Erlaubnis des Schulministeriums. Vor acht Jahren hatten dann die Behörden 40 Buben und Mädchen aus der Gemeinschaft geholt und bei Pflegefamilien untergebracht – darunter auch das vermisste Mädchen.

Mädchen in Tschechien?

Die Aktion hatte zu jahrelangen Prozessen geführt. Einerseits gab es mehrere Strafverfahren – eine Erzieherin der Sekte wurde zu einer Gefängnisstrafe ohne Bewährung verurteilt. Andererseits gingen leibliche Eltern gegen den Sorgerechtsentzug vor. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied allerdings 2018, dass die Entscheidungen der deutschen Familiengerichte zulässig gewesen seien.

Die „Zwölf Stämme“ übersiedelten daraufhin nach Tschechien, wo es nun zwei Gruppen gibt. Es werde auch geprüft, ob die verschwundene Elfjährige in einer der beiden Sektengemeinschaften in Tschechien ist, erklärte der Polizeisprecher am Montag. Ob die tschechische Polizei dort bereits aktiv geworden ist, ist noch unklar. Details zu den bisherigen Maßnahmen wollte der Sprecher des Präsidiums in Augsburg nicht benennen.