Gasleitungen
Reuters/Leonhard Foeger
Premiere für Schallenberg

EU-Gipfel sucht Strategie gegen Gaspreisboom

Am Donnerstag und Freitag findet der erste EU-Gipfel mit Alexander Schallenberg (ÖVP) als Kanzler statt. Dabei stehen vor allem Strategien gegen die hohen Energiepreise zur Debatte – und die Frage, ob Atomstrom eine davon sein könnte. Das Treffen dürfte aber vom Streit über Rechtsstaatlichkeit mit Polen überschattet werden.

Fast in gewohnter Manier treffen die EU-Staats- und -Regierungschefs einander in Brüssel wieder, nur die Anzahl der Medienleute im Ratsgebäude wird noch begrenzt sein. Dieses Mal nehmen zwei europäische Regierungsspitzen Abschied von der Brüsseler Bühne: Es wird der letzte EU-Gipfel für Schwedens Premier Stefan Löfven sein sowie höchstwahrscheinlich auch für Europas dienstälteste Regierungschefin, Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel. Nach 16 Jahren im Amt ist es ihr 107. EU-Gipfel. Neu in der Runde hingegen ist Schallenberg in seiner Funktion als Kanzler.

Es dürfte ein turbulentes Treffen werden: Die Themen auf der Agenda drehen sich um die Pandemie, Migration und die hohen Energiepreise. Im Zentrum steht aber ein Thema, das nicht auf der offiziellen Tagesordnung steht: der Konflikt über die Rechtsstaatlichkeit in Polen.

Gratwanderung im Umgang mit Polen

Erst am Dienstag hatte Polens Premier Mateusz Morawiecki im EU-Parlament Brüssel Erpressungsmethoden vorgeworfen. Die EU-Kommission fordert von Warschau die Rücknahme umstrittener Justizreformen. Seit Monaten hält sie die von Polen erhofften Hilfen aus dem Coronavirus-Hilfsfonds in Höhe von 36 Milliarden Euro zurück.

Zudem droht die Kommission demnächst, den neuen Rechtsstaatsmechanismus gegen Warschau anzuwenden, mit dem weitere milliardenschwere Zahlungen blockiert werden können. Das EU-Parlament macht in dieser Sache schon länger Druck und will gar die Kommission wegen Untätigkeit gegen Polen klagen.

Einige Mitgliedsstaaten wie die Niederlande wollen das Thema Polen beim EU-Gipfel auch offen debattieren und fordern härteres Vorgehen gegen die polnische Regierung. Auch Schallenberg hatte bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel vergangene Woche Unterstützung für ein Vorgehen gegen Polen und für das Zurückhalten von EU-Geldern gezeigt. Zugleich sprach er sich für einen Dialog auf Augenhöhe aus.

Grundsatzdebatte über Atomkraft

Deutschland und Frankreich traten zuletzt gegen härtere Maßnahmen gegen Polen ein. Merkel riet, die „großen Probleme“ mit Polen „im Gespräch zu lösen“. Paris wiederum hofft in der Streitfrage, ob Atomstrom in der EU eine Zukunft hat, auf Unterstützung aus Warschau. Damit spielt Polen auch beim eigentlichen Gipfelthema, den Energiepreisen, eine tragende Rolle.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will bei dem Treffen offenbar eine Grundsatzdebatte über Atomenergie herbeiführen. Er will Nuklearenergie als nachhaltige und „grüne“ Energieform anpreisen und als Mittel gegen die explodierenden Energiepreise. Österreich bleibt freilich bei seiner Opposition gegen die Atomkraft. Die Regierung ließ ein Rechtsgutachten ausarbeiten, das Atomstrom die Fähigkeit zum Klimaschutz abspricht.

„Unsere Position ist glasklar“, bekräftigte am Mittwoch auch der neue Kanzler. Atomkraft sei nicht als nachhaltige Energie zu betrachten. Die Debatte in der EU zur Nuklearenergie werde in den nächsten Monaten eher zunehmen, sagte Schallenberg in Hinblick darauf, dass Frankreich im kommenden Halbjahr den EU-Vorsitz übernimmt.

Österreich will kleine Schritte

Als sinnvoll erachtete Schallenberg die Vorschläge der Kommission gegen die hohen Preise. Diese hatte kürzlich einen „Werkzeugkasten“ mit schon jetzt rechtlich möglichen Maßnahmen, die den Markt nicht verzerren, vorgestellt. Darunter waren Steuererleichterungen, Investitionen in Erneuerbare Energien und auch direkte Hilfen für wirtschaftlich schwächere Haushalte. „Aus unserer Warte sollte man nicht übereilt in die Preisgestaltung eingreifen“, so Schallenberg. Österreich stehe bei der Gasversorgung im Vergleich zu anderen Staaten gut da und habe genug Gasspeicher.

Auch Russland Thema

Anderswo in der EU sind die Gasspeicher hingegen leer. Der russische Energieriese Gasprom hat laut EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zuletzt auch nicht auf die verstärkte Nachfrage aus der EU reagiert. „Während das Unternehmen Gasprom seine langfristigen Verträge mit uns eingehalten hat, hat es nicht wie in den Vorjahren auf eine höhere Nachfrage reagiert“, sagte sie am Mittwoch in Straßburg.

Dass Russland seine Marktmacht missbraucht, um die Preise in die Höhe zu treiben oder auch eine schnelle Genehmigung für die Gaspipeline „Nord Stream 2“ zu erzwingen, weist der Kreml zurück. Auch Russland sei nicht an einem endlosen Anstieg der Energiepreise interessiert, sagte Russlands Präsident Wladimir Putin am Mittwoch. „Eine solche Situation kann letztlich zu einem Rückgang der Nachfrage führen.“

Weitere Schwerpunkte des Gipfels werden die Migrationspolitik – insbesondere die Lage an der polnisch-belarussischen Grenze – sowie die Bekämpfung der Pandemie sein. Auch die Vorbereitung der Weltklimakonferenz Anfang November in Glasgow sowie des Asien-Europa-Gipfels (ASEM) Ende November steht auf der Tagesordnung.