Elfriede Jelinek ist 75

Elfriede Jelinek, Österreichs erste Nobelpreisträgerin für Literatur, feiert heute ihren 75. Geburtstag. Aus der Öffentlichkeit hat sie sich seit Langem zurückgezogen, Texte publiziert sie jedoch unermüdlich. Erst jüngst gab es die österreichische Erstaufführung ihres Coronavirus-Stücks „Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!“ im Akademietheater.

Die höchste Auszeichnung der Literaturwelt erfolgte damals überraschend: 2004 wurde sie von der Schwedischen Akademie für den „musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen“ in ihren Werken, in denen sie „die Absurdität gesellschaftlicher Klischees und ihrer unterjochenden Macht“ offenlege, mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Den Preis nahm sie nicht persönlich entgegen, ihre „Im Abseits“ betitelte Preisrede schickte sie per Video.

Mutter wollte sie „dressieren“

Jelinek wurde – wiewohl Tochter eines in Wien lebenden Ehepaares – am 20. Oktober 1946 in Mürzzuschlag in der Steiermark geboren. Ihre „ungemein leistungsbezogene“ Mutter habe sie zum Wunderkind „dressieren“ wollen, sagte Jelinek einmal.

Elfriede Jelinek: Ein Porträt

Nach der Matura, die sie an einer Klosterschule ablegte, studierte sie am Wiener Konservatorium Klavier und Komposition, belegte daneben aber auch Sprachen, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte. Aus der für sie von der dominanten Mutter Ilona Jelinek, die bis zu ihrem Tod im Jahr 2000 großen Einfluss auf das Leben ihrer Tochter hatte und wohl in „Die Klavierspielerin“ verewigt wurde, geplanten Musikerinnenkarriere wurde dennoch nichts, Jelinek wurde Autorin.

Kritik an Männer- und Klassengesellschaft

Sowohl ihr Romandebüt „wir sind lockvögel, baby“ (1970) als auch die Romane „Die Ausgesperrten“ (1980) und „Die Klavierspielerin“ (1983) begeisterten die Kritiker, stießen jedoch in gleichem Maße auf heftigen Widerstand. In ihrer literarischen Arbeit übt Jelinek immer wieder scharfe Kritik an der Männer- und Klassengesellschaft und setzt sich kritisch mit den Themen Sexualität, Gewalt und Macht auseinander.

Aufsehen, Neugier und Widerspruch erregte besonders der Roman „Lust“ (1989). Als ihr „opus magnum“ bezeichnet sie selbst „Die Kinder der Toten“ (1995). Im Jahr 2000 erschien „Gier“, ein vieldeutiger Kriminalroman aus der österreichischen Provinz. Ihren bisher letzten Roman „Neid“ (2008) veröffentlichte sie ausschließlich auf ihrer Homepage. Ausgedruckt umfasst er 936 Seiten.

Dramatische Textflächen als Herausforderung

„Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaft“ war 1979 das erste Theaterstück Jelineks. Es folgten „Clara S.“ (1982), „Burgtheater“ (1985), „Krankheit oder Moderne Frauen“ (1987) und „Wolken. Heim“ (1988), eine Montage aus Texten von Hölderlin, Kleist, Fichte, Hegel, Heidegger und Auszügen aus Briefen der RAF-Häftlinge. Um Fremdenfeindlichkeit, Heimat und Intoleranz gegenüber anderen ging es auch in ihrem szenischen Essay „Totenauberg“ (1992), der ebenso wie „Raststätte oder Sie machen’s alle“ (1994), „Stecken, Stab und Stangl“ (1996) und „Ein Sportstück“ (1998) am Burgtheater uraufgeführt wurde.

Zunehmend wurde Jelinek mit ihrer Verweigerung von klassischer Dramaturgie und der Entwicklung von monologartigen Textflächen zur Herausforderung für Theater, die mit immer größerer Begeisterung angenommen wurde. Zu Jelineks wichtigsten Regisseuren wurden Christoph Schlingensief („Bambiland“), Jossi Wieler („Macht nichts“, „Rechnitz (Der Würgeengel)“) und vor allem Nicolas Stemann („Das Werk“, „Babel“, „Ulrike Maria Stuart“ u. a.). Ihr jüngstes Stück „Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!“ wurde von so unterschiedlichen Regiehandschriften wie jene von Karin Beier (in Hamburg) und Frank Castorf (in Wien) auf die Bühne gebracht.