Leiterin der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), Ilse-Maria Vrabl-Sanda
ORF
WKStA-Leiterin

Kein Kronzeuge in ÖVP-Affäre

Die Leiterin der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), Ilse-Maria Vrabl-Sanda, hat in einem Interview unter anderem mit dem Ö1-Morgenjournal betont, es gebe in der ÖVP-Affäre um mit Steuergeld finanzierte Inserate weder eine Kronzeugin noch einen Kronzeugen. Seit Bekanntwerden der schweren Vorwürfe unter anderen gegen Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz und die ÖVP war darüber spekuliert worden. Vrabl-Sanda verteidigte weiters die Arbeit ihrer Behörde und forderte mehr Personal.

Gerüchten, dass es in der Inseratenaffäre bereits ein umfassendes Geständnis geben könnte, etwa durch die Meinungsforscherin Sabine Beinschab, erteilte Vrabl-Sanda eine Absage. Und sie betonte: „Es gibt keinen Kronzeugen.“ Hätte sich jemand gemeldet, würde die Ermittlungsbehörde dazu aber auch keine Auskunft erteilen.

Bei Ex-Kanzler Kurz müsse man bis zur möglichen Aufhebung dessen jüngst erlangter Immunität als Nationalratsabgeordneter eine „klare Trennlinie“ ziehen, sollten die Ermittlungen seine Person betreffen.

Kein Kommentar zu ÖVP-Attacken

Die bereits gewohnten Attacken aus der ÖVP gegen ihr Haus – etwa, dass es „linke Zellen“ gebe – wollte Vrabl-Sanda nicht aktiv kommentieren. Es handle sich dabei um Aussagen von Politikern, „ich gebe aber dazu keinen Kommentar ab“.

Auch den immer wieder vorgebrachten Vorwurf, die Ermittlungen gegen Ex-Kanzler Werner Faymann (SPÖ) in dessen Inseratenaffäre seien trotz ähnlicher Sachlage eingestellt worden, konnte sie von sich weisen – sei ihre Behörde doch gar nicht involviert gewesen.

„Zufällige Häufung“

Dass die WKStA derzeit gegen mehrere Vertreter der ÖVP ermittelt, bezeichnete Vrabl-Sanda als „zufällige Häufung“. Dieser Vorwurf sei zudem in der Vergangenheit auch schon vonseiten der Freiheitlichen gekommen. Die Behörde habe den Auftrag, Verdachtslagen aufzuklären. Dass das „in eine Richtung gesteuert sein könnte, ist eine bloße Spekulation“. Wenn man sich die Aktenarbeit der WKStA ansieht, werde man zur Einsicht kommen, dass diese Einschätzung „falsch ist“. Es seien ja auch Politiker unterschiedlcher Parteien betroffen.

Ziel sei nicht ein gewisser „Erfolg“ bei den Ermittlungen, sondern das Aufklären jener Verdachtslagen. Zudem würden Beweise auch nicht gezielt nach „Zufallsfunden“ durchforstet, sagte Vrabl-Sanda. Dennoch könne man nie ausschließen, dass es diese schlicht gebe.

Die WKStA-Leiterin wies auch Kritik vonseiten der ÖVP zurück, es würden private Chats ausgewertet und in den Ermittlungen verwendet und veraktet, die nichts mit der Sache zu tun hätten. Diese seien etwa relevant, wenn damit ersichtlich werde, dass es eine Beziehung und Informationsabtausch über bestimmte Themen zwischen bestimmten Personen gegeben habe.

Keine privaten Inhalte im Akt

Tatsache ist, dass private Inhalte der Chat-Kommunikation im Ermittlungsakt dezidiert nicht vorkommen. Und private Fotos von Thomas Schmids Handy wurden laut „Falter“ bereits 2019 – unmittelbar nach der Konfiszierung im Zuge der Casinos-Affäre – unter Aufsicht von Schmids Anwalt gelöscht. Auch die Ermittlungen zur ÖVP-Affäre rund um frisierte, mit Steuergeld bezahlte Umfragen und Inseratendeals im Gegenzug für freundliche Berichterstattung, nahmen ihren Ausgang von Chats, die auf dem Handy des Ex-Generalsekretärs im Finanzministeriums, Kurz-Vertrauten und Ex-ÖBAG-Chefs, gefunden wurden.

Aktenweitergabe durch WKStA „völlig absurd“

Es sei jedenfalls eine „völlig absurde Vorstellung“, ein Staatsanwalt oder eine Staatsanwältin könnte bevorstehende Hausdurchsuchungen verraten, so Vrabl-Sanda zu Spekulationen, Verdächtige in der Inseratenaffäre könnten direkt aus ihrem Haus vor den Maßnahmen gewarnt worden sein.

Sie zieht einen Vergleich aus dem Sport: „Ein Formel-1-Fahrer, der seinen Boliden vor dem Grand Prix, bei dem er unbedingt ins Ziel möchte, manipuliert am Motor oder die Reifen aufsticht, das wäre abwegig.“

Viele Verfahrensparteien haben Akteneinsicht

Vielmehr kann sich Vrabl-Sanda zumindest vorstellen, dass Beschuldigtenvertreter durch ihre Einsichtsrechte von selbst darauf schließen konnten. So hätten derzeit sehr viele Verfahrensparteien Akteneinsichtsrechte, von denen in „sehr dichten, regelmäßigen Abständen“ auch Gebrauch gemacht werde. Werden geheime Ermittlungsmaßnahmen geplant, müssten diese auch zum Akt genommen werden – um sie gleichzeitig ersichtlich von der Akteneinsicht auszunehmen. Diese fehlenden Aktenstücke könnten zu Spekulationen führen.

Vrabl-Sanda: „Kritik an Ermittlungen ist Spekulation“

Die Leiterin der Korruptionsstaatsanwaltschaft, Ilse-Maria Vrabl-Sanda, meldet sich erstmals nach den Hausdurchsuchungen im Bundeskanzleramt und der ÖVP-Zentrale und den damit verbundenen politischen Umbrüchen zu Wort. Sie weist die Kritik, es würden Ermittlungen in Richtung ÖVP gesteuert, als „Spekulation“ und als „falsch“ zurück. Das ganze Interview zeigt die ZIB2 am Mittwochabend.

Fordert zehn Planstellen mehr

Wie lange es dauert, bis die Ermittlungen zur ÖVP-Affäre abgeschlossen sind, könne man nicht seriös beantworten, das hänge von vielen Faktoren ab, sagte sie. „Ich kann dafür garantieren, dass die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte mit einem ganz besonderen Engagement an ihre Arbeit gehen“, sagte sie dazu. „Es ist wirklich eine große Arbeitsbelastung.“

Auch andere interessante Verfahren für die Republik wie jene zur Commerzialbank Mattersburg und zum „Ibiza“-Komplex brauchten Kapazitäten, weswegen es weitere Planstellen brauche, denn: „Wir sind nicht ideal aufgestellt personell.“ Konkret forderte Vrabl-Sanda im Interview zehn Planstellen mehr, was eine Aufstockung auf 54 bedeuten würde.

Hanger erneuert Vorwürfe

Der ÖVP-Abgeordnete Andreas Hanger reagierte prompt und erneuerte die bekannten Vorwürfe der Volkspartei in Richtung WKStA: Die „zufällige Häufung“ von Ermittlungen gegen die ÖVP sei „wohl mehr als Zufall“. Teile der WKStA ließen „jegliche Objektivität“ vermissen, und Beweismittel würden nur unzureichend geprüft. Und Hanger warf der WKStA erneut vor, Akteninhalte an die Öffentlichkeit zu spielen.

Von der SPÖ gab es Unterstützung für die Forderung nach mehr Personal. Die Justiz sei über die Jahre personell und finanziell ausgehungert worden, die diesjährige Anhebung von 0,2 Prozent beim Personalstand sei nur Kosmetik. Strukturelle Mängel würden mitunter zu langen Verfahren führen, für Großverfahren brauche es zudem Teams mit Experten, die der Staatsanwaltschaft zuarbeiten.

NEOS-Justizsprecher Johannes Margreiter nahm einmal mehr Justizministerin Alma Zadic (Grüne) in die Pflicht und forderte von ihr, sich beim türkisen Koalitionspartner durchzusetzen und nicht nur bei Querschüssen zu reagieren: "Wenn Zadic die unabhängige Justiz wirklich schützen und vor allem stärken will, dann müsse es Budgetsteigerungen genau in den Bereichen geben, in denen immer wieder eine zu lange Verfahrensdauer kritisiert wird. Im Budget sei „kein einziger Cent mehr“ für die Korruptionsbekämpfung vorgesehen.