Labormitarbeiter
AP/Alexander Zemlianichenko
AY.4.2

Variante international unter Beobachtung

In Europa wird vermehrt eine neue Unterart der Delta-Variante nachgewiesen. Die mit AY.4.2.bezeichnete Mutation ist derzeit vor allem in Großbritannien auf dem Vormarsch, erreichte aber schon Dutzende weitere Länder. Vermutlich ist die neue Unterart noch ansteckender als die Delta-Variante. Welche Folgen das haben könnte, ist aber nur eine von mehreren Fragen, auf die eine Antwort noch aussteht.

Das Coronavirus hat eine neue Unterart – von der man in Zukunft womöglich noch öfters hören wird. Dabei ist die Variante AY.4.2. eigentlich nicht ganz so neu. Bereits im Juli wurde die Unterart, die manche auch Delta Plus nennen, in Großbritannien das erste Mal per Sequenzierung nachgewiesen. Seither breitete sich die Variante in dem Land zwar langsam, aber konstant aus. In Großbritannien entfallen mittlerweile rund sechs Prozent aller CoV-Fälle, die genetisch sequenziert wurden, auf die neue Variante.

Zuletzt vermeldete eine ganze Reihe weiterer Länder, dass sie AY.4.2. per Sequenzierung nachgewiesen haben. Der Molekularbiologe Ulrich Elling teilte am Dienstag eine Statistik, wonach die neue Unterart seit September bereits in 16 europäischen Ländern nachgewiesen wurde.

Zweimal sei eine Sequenzierung des gesamten Genoms der neuen Unterart auch in Österreich gemeldet worden. Hinzu kämen etwa „30 Teilgenomsequenzen“, schrieb Elling. Am Donnerstag sprach der Molekularbiologe von „gut 30“ Fällen in Österreich. Mit dem Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist er für einen großen Teil der heimischen Sequenzierungen zuständig.

Israel kündigt Maßnahmen an

In Russland, das bereits seit Wochen Höchststände bei den Neuinfektionen verzeichnet, wurden laut Angaben der Behörden ebenfalls einige Fälle der Delta-Unterart entdeckt. Am Dienstag meldete auch das israelische Gesundheitsministerium, dass die Variante bei einem Buben, der aus Europa eingereist war, „identifiziert“ worden sei.

Israels Ministerpräsident Naftali Bennett kündigte daraufhin an, Maßnahmen zu ergreifen, um die „positiven Ergebnisse des Kampfes gegen das Virus zu bewahren“. Im Raum stehen unter anderem Änderungen bei den Einreisebestimmungen. So weit geht die britische Regierung – noch – nicht. Am Dienstag hieß es, man beobachte die Variante „sehr genau“. Die Regierung werde aber „nicht zögern, Maßnahmen zu ergreifen, wenn es nötig ist“.

Zehn Prozent ansteckender als Delta-Variante?

Noch ist vieles zu AY.4.2. offen. Bekannt ist, dass die neue Unterart im Vergleich zur Delta-Variante zwei Mutationen am Spike-Protein aufweist – also an jenem „Stachel“, mit dem das Virus an den menschlichen Zellen andockt. Das könnte Auswirkungen auf die Infektiosität haben – wobei noch nicht ganz klar ist, um wie viel ansteckender die neue Mutation tatsächlich ist.

Virologe Bergthaler zu steigenden CoV-Zahlen

Die Covid-Zahlen steigen. Virologe Andreas Bergthaler erläutert, worauf wir uns angesichts dessen einstellen müssen.

Der Virologe Andreas Bergthaler sagte am Mittwoch in der ZIB Nacht: „Das Einzige, was wir zurzeit wissen, ist, dass in England mittlerweile zehn Prozent der Neuinfektionen diese Delta-plus-Variante haben. Daraus rechnet man heraus, dass es wahrscheinlich um zehn Prozent infektiöser ist. Aber auch das ist etwas, was noch durch Daten erhärtet werden muss.“

Tags zuvor hatte Bergthaler auf dem Kurznachrichtendienst Twitter auch erklärt, dass sich beide Mutationen „außerhalb der Rezeptorbindungsstelle“ fänden. „Ob/wie sich dadurch die Viruseigenschaften ändern, ist unklar“, schrieb der Virologe. Auch Molekularbiologe Elling schrieb auf Twitter, es sei noch nicht bekannt, ob die Mutation Y145H (eine der beiden Mutationen am Spike-Protein, Anm.) „den Immunschutz umgeht oder infektiöser macht“. Allerdings bringe sie für den Virus „offensichtlich einen Vorteil“, so Elling.

Experte: Nicht mit Aufkommen von Delta vergleichbar

Vielfach zitiert wurde zuletzt auch der Direktor des Instituts für Genetik am University College London, Francois Balloux. Laut ihm ist die neue Variante sehr wahrscheinlich „nicht die Ursache für den jüngsten Anstieg der Zahl der Fälle“ in Großbritannien. Dafür sei die derzeitige Verbreitung von AY.4.2 zu gering.

Die Situation sei auch nicht dem Auftauchen der Alpha- und Delta-Stämme vergleichbar, „die etwa 50 bis 60 Prozent mehr übertragbar waren. Es handelt sich hier also um etwas sehr Subtiles, und das wird derzeit untersucht“, so der Mediziner. Laut Balloux ist momentan auch nicht davon auszugehen, dass die Impfstoffe gegen die neue Variante weniger wirksam wären.

Noch kein griechischer Buchstabe

Zurückhaltend äußerten sich Expertinnen und Experten auch auf die Frage, ob und wie schnell die neue Unterart Delta in Europa als dominante Variante verdrängen könnte. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist derzeit mit ihrer Einschätzung der Unterart noch vorsichtig. AY.4.2 ist zurzeit weder als „Variante von Interesse“ noch als „Variante von Besorgnis“ eingestuft. Deshalb hat WHO der Unterart auch noch keinen griechischen Buchstaben zugewiesen.