Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel am EU-Gipfel
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EU-Gipfel

Große Abschiedsgesten für Merkel

Am zweiten und letzten Gipfeltag in Brüssel sind die eigentlichen Themen – Migration und Digitales – ein wenig im Hintergrund gestanden. Der Abschied von Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel nach 16 Jahren Amtszeit fiel manchen Regierungsspitzen schwer. Merkel wurde mit Standing Ovations geehrt.

Zahlreiche Lobesworte, Geschenke und Applaus gab es am Freitag im Europagebäude, dem Hauptsitz des Europäischen Rates. Nach 16 Jahren Amtszeit war es wahrscheinlich der letzte EU-Gipfel für Merkel, die dienstälteste Regierungschefin der EU. In Deutschland bahnt sich derzeit eine Koalition aus SPD, Grünen und FDP an. Merkel wird in Politpension gehen. Laut offiziellen Angaben war es ihr 107. Gipfel.

Zum Ende wurde ein rund zweiminütiges Video mit Gipfelszenen aus den vergangenen 16 Jahren gezeigt. Zudem bekam Merkel von EU-Ratspräsident Charles Michel zur Erinnerung eine Skulptur des Europagebäudes, des Hauptsitzes des Europäischen Rates, überreicht.

Merkel wurde noch mit anerkennenden Worten überschüttet: „Du bist ein Monument“, sagte Michel. Ein EU-Gipfel ohne Merkel sei wie Rom ohne den Vatikan oder Paris ohne den Eiffelturm. „Du bist ein Kompass und eine Lichtgestalt unseres europäischen Projekts.“

EU nun ohne „Kompromissmaschine“

Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) – für ihn war es der erste EU-Gipfel in neuer Funktion – nannte Merkel einen „Ruhepol innerhalb der Europäischen Union“. Sie werde eine Lücke hinterlassen. Für Österreich sei wichtig zu wissen, wo Deutschland steht. Merkel sei „zweifellos eine große Europäerin“, so Schallenberg.

Bereits mehrmals hatte sich der luxemburgische Premier Xavier Bettel als Merkel-Fan deklariert. Am Freitag sagte er: „Es ist eine große Person, die uns verlassen wird.“ Merkel sei eine „Kompromissmaschine“ gewesen. Wenn es bei Gesprächen nicht weiterging, habe Merkel es immer geschafft, noch etwas zu finden, um alle zu verbinden.

EU-Gipfel verabschiedet Merkel

Beim EU-Gipfel am Freitag ist die scheidende deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gewürdigt und verabschiedet worden. Einen Kompromiss im Streit mit Polen und Ungarn konnte der Gipfel unterdessen nicht liefern.

„Es war mir immer ein Vergnügen“, sagte Merkel zum Abschluss des Gipfels und erinnerte an die Verhandlungen „zu jeder Tages- und Nachtzeit“. Erneut mahnte sie zu einem „respektvollen Umgang miteinander“. „Ich gehe aus der EU heraus in einer Situation, die mir Sorgen macht“, sagte sie. Ihrem Nachfolger hinterlasse sie „große Baustellen“, insbesondere mit Blick auf die Migration und die Debatte um Rechtsstaatlichkeit.

Belarus im Fokus

Tatsächlich bleibt der größte Zankapfel in der EU die Migration. Am Freitag war das Thema erneut auf der Tagesordnung, dieses Mal stand Belarus im Vordergrund. Die EU beschuldigt Belarus, in organisierter Form Geflüchtete aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze zu bringen. Das sei eine Reaktion auf verschärfte westliche Sanktionen gegen sein Land.

Seitdem mehren sich Meldungen über versuchte illegale Grenzübertritte an den EU-Außengrenzen zu Belarus. Merkel hatte gar von staatlich organisiertem Menschenhandel gesprochen.

Migrationsdebatte auf dem EU-Gipfel

Am zweiten Tag des EU-Gipfels in Brüssel steht das Thema Migration im Vordergrund. Die deutsche Kanzlerin Angelika Merkel hat wohl ihren letzten Auftritt beim Treffen der EU-Länder absolviert.

Zumindest hier stimmte auch der EU-Gipfel der Staats- und Regierungsspitzen in Brüssel überein. „Der Europäische Rat wird keinen Versuch von Drittländern akzeptieren, Migranten für politische Zwecke zu instrumentalisieren“, hieß es in der Gipfelerklärung: „Er verurteilt die jüngsten hybriden Angriffe auf die EU-Außengrenzen und wird entsprechend reagieren.“

Grenzzäune mit EU-Geldern?

Besonders betroffen sind Litauen, Polen und Lettland, die eine Grenze mit Belarus teilen. Alle drei Länder reagierten mit einem verstärkten Schutz der Grenze und mit dem Bau von Hunderten Kilometern Grenzzaun. Auf dem Gipfel wurde diskutiert, inwiefern die EU finanziell dabei helfen soll. Österreich hatte die Auffassung vertreten, die Länder mit Außengrenze an Belarus finanziell zu unterstützen.

Der EU-Gipfel beauftragte nun die EU-Kommission, nicht einen Zaun zu finanzieren, aber konkrete Vorschläge zu machen, auch zur Finanzierung. Die Vorschläge sollen „eine sofortige und angemessene Reaktion im Einklang mit dem EU-Recht und den internationalen Verpflichtungen, einschließlich der Grundrechte“, gewährleisten.

Neue Sanktionen beschlossen

Luxemburgs Premier sagte, er bedauere es, wenn Zäune gebaut würden, die von der EU finanziert werden. „Wir können das Spiel von Lukaschenko nicht mitmachen.“ Gleichzeitig warnte Bettel die EU davor, das Recht auf Asyl aufzugeben, man müsse die richtige Balance finden. „Wir wissen auch, dass Russland eine Rolle spielt“, sagte er.

Die Beratungen verliefen kontrovers, sie zogen sich stark in die Länge. Um rechtzeitig in Wien zu den CoV-Verhandlungen mit den Landeshauptleuten zu sein, wollte Schallenberg mit einem Bedarfsflugzeug des slowakischen Premiers Igor Matovic mitfliegen.

Der Gipfel beschloss schließlich weitere Sanktionen gegen Verantwortliche in Belarus, die für den anhaltenden „hybriden“ Angriff des Regimes verantwortlich sein sollen.

Keine Einigung bei Energiepreisen

Tags zuvor war über die hohen Energiepreise und den Rechtsstaatsstreit mit Polen beraten worden. Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki hatte sich erneut gegen eine „Erpressung“ mit milliardenschweren Coronavirus-Hilfsgeldern gewehrt, die die EU-Kommission erst bei Achtung der Rechtsstaatsprinzipien freigeben will. Eine Lösung in diesem Konflikt gab es am ersten Gipfeltag nicht.

Die Staats- und Regierungsspitzen einigten sich auch nicht auf ein gemeinsames Vorgehen gegen den Anstieg der Gas- und Strompreise. Jedes Mitgliedsland soll nun gegebenenfalls nationale Maßnahmen ergreifen. Österreich sprach sich dagegen aus, in die Preisgestaltung einzugreifen.