Außenministerium in Wien
ORF.at/Patrick Bauer
Nowitschok-Formel geleakt?

Diplomat nach Ermittlungen suspendiert

Die Bundesdisziplinarbehörde hat einen Diplomaten und ehemaligen Generalsekretär des Außenministeriums vom Dienst suspendiert. Es handelt sich um Johannes Peterlik, der während der ÖVP-FPÖ-Regierung unter FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl den einflussreichen Posten bekommen hatte. Wie das Ö1-Mittagsjournal berichtete, könnte die Suspendierung mit der Weitergabe der Formel eines Kampfstoffes der russischen Nowitschok-Gruppe an den Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek zusammenhängen.

Zuletzt war Peterlik österreichischer Botschafter in Indonesien. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs und Geheimnisverrats. Das Außenministerium bestätigte die Suspendierung. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Wie das Ö1-Mittagsjournal berichtete, könnte die Suspendierung mit der Weitergabe eines Geheimdossiers an den ehemaligen Wirecard-Manager Marsalek zusammenhängen, das auch die Formel eines Kampfstoffs der russischen Nowitschok-Gruppe enthalten habe. Schon im Vorjahr wurde bekannt, dass Außen-, Wirtschafts- und Verteidigungsministerium wegen einer möglichen Weitergabe vertraulicher Unterlagen im Zusammenhang mit den Vorwürfen Anzeigen erstattet hatten.

Marsalek soll vor Londoner Bankern mit einem geheimen Dokument geprahlt haben, das sich nach Österreich habe zurückverfolgen lassen, berichtete die „Financial Times“ („FT“) damals. Konkret soll es sich um ein Dossier gehandelt haben, das im Zusammenhang mit dem Giftanschlag auf den ehemaligen russischen Spion Sergej Skripal und seine Tochter in der britischen Stadt Salisbury angefertigt wurde.

Barcode wies nach Österreich

Das von der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) erstellte Dossier enthielt laut „FT“ die genaue Zusammensetzung eines Nowitschok-Nervengifts. Die „FT“ hatte damals berichtet, dass sich das Dokument aufgrund eines Barcodes nach Österreich zurückverfolgen lasse. Die OPCW soll eine österreichische Diplomatin über die Herkunft der Unterlagen informiert haben.

Damals veröffentlichten Berichten zufolge lag das Dokument der Abrüstungsabteilung des Außenministeriums vor und wurde seinerzeit auch an die Abteilung Militärpolitik des Verteidigungs- sowie an das Wirtschaftsministerium weitergeleitet.

Die Causa wurde auch im „Ibiza“-U-Ausschuss bei der Ladung von Kneissl thematisiert. Es habe Anzeichen gegeben, dass das Leaken des Dokuments mit dem Außenministerium und Peterlik in Verbindung stehe, erklärte im Mittagsjournal der Nationalratsabgeordnete David Stögmüller (Grüne), der sich im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss mit dem Fall beschäftigt hatte.

Handydaten sollen Sache ins Rollen gebracht haben

Laut „Presse“-Bericht (Samstag-Ausgabe) wurde Peterliks Handy „vor wenigen Wochen“ bei einem Wien-Besuch Peterliks von Fahndern sichergestellt. Dann hätten die disziplinarrechtlichen Mühlen zu mahlen begonnen, und Peterlik sei nicht mehr als Botschafter haltbar gewesen. Gegenüber der „Presse“ hatte Peterlik im Februar per Mail erklärt, er kenne Marsalek nicht und sei ihm auch nie begegnet. Und: „Ich kann auch vollkommen ausschließen, dass irgendein Dokument von mir an Herrn Marsalek ergangen ist.“

Ermittlungen unter Verschluss

Das Außenministerium wollte sich zu dem Fall gegenüber der APA nicht näher äußern: „Wir bitten um Verständnis, dass man zu laufenden Verfahren keine Stellung nehmen kann.“ Es teilte lediglich mit, Peterliks Abberufung sei nach der Zustellung des Bescheids am 13. Oktober erfolgt. Bereits im Vorfeld habe das Ministerium umgehend alle notwendigen disziplinarrechtlichen Schritte gemacht.

In Brüssel nahm Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) zu der Causa Stellung. Man habe im September von der Causa erfahren und „innerhalb weniger Tage den Schritt gesetzt“. Er ließ Peterlik vorläufig suspendieren und leitete dann den Akt weiter an die zuständige Behörde. Er habe als Dienstgeber „den notwendigen Schritt gesetzt, das ist nie leicht“.

Zuständig für die Ermittlungen ist laut Angaben des Innenministeriums die Staatsanwaltschaft Wien, die der APA ebenso keine Auskünfte erteilen wollte. Ein diesbezügliches Ermittlungsverfahren werde unter Verschluss geführt, begründete ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Wien.

Peterlik mit engen Verbindungen

Der aus einer Diplomatenfamilie stammende Peterlik ist seit 1994 im Außenministerium tätig. Von 1996 bis 2004 war er Pressesprecher von Benita Ferrero-Waldner (ÖVP) während ihrer Zeit als Staatssekretärin bzw. Außenministerin. Danach amtierte er als Botschafter in Thailand und Vietnam.

Zwischen 2013 und 2015 war er Kabinettschef der ehemaligen ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin, die aktuell im Zusammenhang mit der Inseratenaffäre wieder in den Fokus gerückt ist. Danach dockte er wieder im Außenministerium an und war er stellvertretender Sektionsleiter der Kulturpolitischen Sektion unter Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Kneissl.

2018 wurde Peterlik unter FPÖ-Außenministerin Kneissl Generalsekretär im Außenministerium. Peterlik hatte damals Michael Linhart (ÖVP) ersetzt, der nun zum Außenminister ernannt wurde. Er bekleidete auch unter Interimsaußenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) zwischen Mai 2018 und Jänner 2020 dieses Amt. Anschließend wurde Peterlik zum Botschafter in Indonesien ernannt.

Ehefrau arbeitete bei BVT

Die Ehefrau von Peterlik war wiederum Mitarbeiterin des mittlerweile umbenannten und umstrukturierten Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT).

Ihr damaliger Abteilungsleiter Martin W. steht unter dem Verdacht, Marsalek bei der Flucht nach Weißrussland geholfen und ihn mit Informationen versorgt zu haben. Ermittlungsprotokolle zeigen, dass der Abteilungsleiter auch nach Peterlik bzw. Kontakten zwischen Peterlik und Marsalek befragt wurde.

Dem Österreicher Marsalek wird Verwicklung in den Milliardenbetrug bei Wirecard vorgeworfen. Nach ihm wird weiterhin gefahndet. Das Unternehmen soll jahrelang seine Bilanzen gefälscht haben. Ein großer Teil des über Dritte abgewickelten Geschäfts in Asien entpuppte sich als Luftnummer. 1,9 Milliarden Euro, die auf Treuhandkonten in Asien liegen sollten, sind nicht auffindbar. Mögliche Geheimdienstverbindungen von Marsalek sorgten in den vergangenen Monaten immer wieder für Schlagzeilen.