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Warnung vor Klimagipfel

„Globale Stabilität auf dem Spiel“

Eine Woche vor dem Start des Weltklimagipfels in Glasgow (COP26) hat die oberste Klimabeamtin der Vereinten Nationen (UNO) eindringliche Worte gefunden. Es stehe nicht mehr auf dem Spiel als die „globale Sicherheit und Stabiltität“, sagte Patricia Espinosa, Exekutivsekretärin des UNO-Rahmenübereinkommens über Klimaänderungen.

Sollten die Staaten ihre im Pariser Abkommen gesetzten Ziele zum Klimaschutz verfehlen, drohten Migrationskrisen und Nahrungsmittelknappheit, die zu Konflikten und Chaos führen, sagte Espinosa in einem Interview mit der britischen Sonntagszeitung „Observer“. „Es geht wirklich darum, die Stabilität der Länder zu bewahren, die Institutionen zu erhalten, die wir über so viele Jahre hinweg aufgebaut haben, und die besten Ziele zu bewahren, die sich unsere Länder gesetzt haben. Das Katastrophenszenario würde bedeuten, dass es zu massiven Vertreibungsströmen kommen würde“, so die Diplomatin.

Sie sprach von Auswirkungen, die sich einem Kaskadeneffekt gleich ausbreiten. „Es gäbe weniger Nahrungsmittel, was wahrscheinlich zu einer Krise der Ernährungssicherheit führen würde. Es würden viel mehr Menschen anfällig für schreckliche Situationen, terroristische Gruppen und gewalttätige Gruppen. Das würde viele Quellen der Instabilität schaffen.“ Es gehe nicht nur um „den Umweltaspekt. Es geht auch um das ganze System, das wir aufgebaut haben. Wir wissen, was Migrationskrisen in der Vergangenheit ausgelöst haben“, so die ehemalige mexikanische Botschafterin in Deutschland.

Patricia Espinosa oberste Klimabeamtin der Vereinten Nationen.
AP/Seth Wenig
Als oberste Klimabeamtin der UNO ist Espinosa auch für die Abhaltung der COP26 mitverantwortlich

Mit Warnungen bisher zurückgehalten

Von 2006 bis 2012 war Espinosa Außenministerin Mexikos. In dieser Rolle leitete sie als Präsidentin auch die UNO-Klimakonferenz in Cancun. Seit Mai 2016 ist sie die Leiterin des Sekretariats der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) in Bonn – und damit die höchste Klimabeamtin der UNO. In dieser Rolle hielt sie sich mit eindringlichen Worten in der Vergangenheit weitgehend zurück.

Die nunmehrigen deutlichen Warnungen kommen eine Woche, bevor in Glasgow die Staats- und Regierungschefs der Welt zum Weltklimagipfel zusammentreffen. Gemeinsam mit dem britischen Kabinettsminister Alok Sharma ist Epspinosa hauptverantwortlich für die Ausrichtung der COP26. Die heurige Klimakonferenz hat dabei kein geringeres Ziel, als festzulegen, mit welchen konkreten Maßnahmen die im Pariser Klimaabkommen von 2015 beschlossenen Ziele zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen erreicht werden sollen.

Staaten hinken mit Plänen hinterher

„Was wir in Glasgow brauchen, sind Botschaften von den Staats- und Regierungschefs, dass sie entschlossen sind, diesen Wandel voranzutreiben, diese Veränderungen vorzunehmen und nach Wegen zu suchen, ihre Ambitionen zu steigern“, sagte Espinosa. Die bisher von den Staaten präsentierten Maßnahmen reichen nach Ansicht der Wissenschaft bei Weitem nicht aus, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Auch vom im Pariser Abkommen als Minimum genannten Zwei-Grad-Ziel ist die Staatengemeinschaft mit den bisher gesetzten Schritten weit entfernt.

Ob es in Glasgow gelingt, die staatlichen Maßnahmen entsprechend nachzuschärfen, gilt als fraglich. Bisher ist laut dem Pariser Abkommen vorgesehen, dass die Maßnahmen alle fünf Jahre evaluiert und nachgeschärft werden. Da die COP26 aufgrund der CoV-Pandemie um ein Jahr verschoben wurde, steht diese Revision heuer an. Espinosa ließ aber auch durchblicken, dass die Fünfjahresabstände in Zukunft verkürzt werden könnten. Sollten bei der Konferenz die Pläne weiterhin hinter den Zielen zurückbleiben, müssten die Länder diese wohl bald darauf wieder überarbeiten – auch wenn das bei vielen Ländern wohl unpopulär sei, so die UNO-Klimabeauftragte.

„Es ist wahrscheinlich nicht die attraktivste Idee für Regierungsvertreter – wenn ihr den Plan fertighabt, kommt ihr zurück und sagt allen Beteiligten: ‚Okay, jetzt müsst ihr euren Plan weiter überarbeiten‘“, sagte sie. "Aber das ist die größte Herausforderung, vor der die Menschheit steht, also haben wir wirklich keine andere Wahl.

Gipfel unter schwierigen Vorzeichen

Die Erwartungen an das Treffen sind hoch. Doch der Gipfel steht unter schwierigen Vorzeichen. Eine Woche vor Gipfelbeginn ist immer noch offen, ob Regierungschefs wie Xi Jinping (China), Narendra Modi (Indien) und Wladimir Putin (Russland) überhaupt nach Glasgow reisen werden. Die Staaten gehören mittlerweile zu den größten Emittenten, gleichzeitig tragen die USA und die EU historisch gesehen eine viel größere Verantwortung für die Erderwärmung.

Vor wenigen Tagen berichtete die britische BBC davon, wie Staaten wie Saudi-Arabien, Australien und Japan gegen ambitionierte Klimaziele mobilmachen und den Ausstieg aus fossilen Energiequellen vertagen wollen. Die BBC hatte von Greenpeace-Rechercheplattform Unearthed rund 32.000 Dokumente erhalten, in denen sich verschiedene Akteure an den Weltklimarat wenden. Dieser veröffentlicht in regelmäßigen Abständen einen Bericht, in dem der Forschungsstand zur Klimakrise und Empfehlungen für ein Gegensteuern gesammelt werden. Auf dem Klimagipfel im November wird er eine zentrale Rolle spielen.

Saudi-Arabien präsentiert Klimapläne

Laut dem BBC-Bericht sprach sich etwa der weltgrößte Ölexporteur Saudi-Arabien dafür aus, alle Stellen aus dem Bericht zu streichen, die sich für einen „beschleunigten“ und „dringenden“ Ausstieg aus fossilen Brennstoffen einsetzen. Am Samstag kündigte das Land nun an, in knapp 40 Jahren Klimaneutralität erreichen zu wollen.

Der saudi-arabische Kronprinz Mohammed bin Salman erklärte am Samstag in einer aufgezeichneten Rede, sein Land wolle „bis 2060“ rechnerisch keine zusätzlichen Treibhausgase mehr produzieren. Ermöglichen solle das der „Ansatz einer Kreislaufwirtschaft für Kohlenstoff“.

Nach UNO-Angaben haben sich mehr als 130 Länder das Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen bereits bis 2050 auf null zu reduzieren. Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein, Österreich bis 2040. Allerdings hinken auch hierzulande die Pläne den gesteckten Zielen noch hinterher.