Die Ansicht, dass ein neues Medium immer auch die Qualitäten eines älteren Mediums sichtbar mache, hat mittlerweile einige Jahrzehnte auf dem Buckel. Herbert Marshall McLuhan formulierte sie jedenfalls lange vor dem digitalen Zeitalter, traf damit aber vorausahnend den Nerv der heutigen Zeit. In der digitalen Gegenwart, im Zeitalter der iPad- und E-Reader-Lektüre blühen Bücher, die die Haptik des Buches und der mit der Buchkunst verbundenen Disziplinen zelebrieren. Das hatte zwar einst „Die andere Bibliothek“ auch versucht – doch damals sehnte sich die Welt weniger nach der Tiefe des Bleisatzes, als sie sich heute wieder danach sehnt, dass man ein physisches Werk in Händen hält, das all das hochhält, was ein Buch ausmacht: Schönheit, Materialität und Verführung.
Die Wiederentdeckung eines klassischen Mediums
Die junge Edition 5Haus auf dem Wiener Henriettenplatz hat sich dem Medium Buch neu gewidmet. Sie steht gerade auch in Österreich gar nicht alleine da, denkt man etwa auch an die Anstrengungen der Verleger um die bahoe books. Allen wohnt der Anspruch inne, die Grenzen der klassischen Bucheinteilungen zu sprengen – und so entwickelt man eigentlich das Bilderbuch als Medium weiter und richtet sich damit an die Zielgruppe zehn bis 90 Jahre.
Für den ehemaligen Journalisten und geübten Verlagslektor Schlögl bedeutet das im Verbund mit dem Grafiker Hartl, sich genau jene Themen zu suchen, die zu ihrem verlegerischen Unternehmen passen. Hartl hat die bekannte und prämierte „ASAGAN“-Reihe entwickelt und zelebriert offenkundig gerne den Spagat zwischen historischer Illustration und moderner Grafikgestaltung. Gemeinsam haben sich Schlögl und Hartl auf den Korpus der Ikonografie von Napoleon Bonaparte gestürzt und beschlossen, seine Biografie aus einem neuen Blickwinkel zu erzählen, diese quasi auf eine neue Medienunterlage zu setzen.
„Napoleon als Steilvorlage“
„‚Geschichte(n) neu erzählen‘ lautet das Credo der Edition 5Haus“, sagt Schlögl. Die Selbstinszenierungen dieses Tausendsassas seien die Steilvorlage gewesen, um mit der vermeintlichen Authentizität von
Bildmedien und dem Begriff der historischen Wahrheit zu spielen. „Was ist Fake? Was ist Fakt? Selbst Napoleon würde sich heute angesichts all der fantastischen Geschichten, die über ihn im Internet kursieren, nicht mehr sicher sein, was tatsächlich wahr oder falsch ist“, ergänzt Schlögl.
Will man die Bedeutung Napoleons einer Zeit erläutern, die mit mehr als 200 Jahre alten Geschichtsbildern nichts mehr am Hut hat, dann muss man Parallelen oder so etwas wie die Vorläuferschaft zur Gegenwart entdecken. Für Schlögl ist Napoleon der Vorläufer einer modernen Medienpolitik, die genau in die Distributionsstrategien des digitalen Zeitalters passen. Auch wenn Napoleon kein Facebook oder Instagram hatte, so nutzte der gebürtige Korse gerade durch seine Biografie am Rande des französischen Reiches, um seinen Aufstieg zum Konsul immer mit den passenden Bilderzählungen zu unterfüttern – oder eben auch zu kaschieren und überhöhen.
Die Breite der Geschichte wird ein Narrativ
Dass wir heute historische Bilder im Kopf haben, etwa „von der Aufklärung“, der wir doch alles verdankten, bedient sich eigentlich einer medialen Einebnung, die gerade mit der Französischen Revolution einsetzt und die mit Napoleon so etwas wie seinen Höhepunkt findet. Darauf hat gerade der Historiker Franz Leander Fillafer in einem neuen, beachtlichen Buch zur „Aufklärung habsburgisch“ (Wallstein-Verlag) hingewiesen (eine ausführliche Besprechung folgt in Kürze). Die Aufklärung, so Fillafer, habe in „rivalisierenden Spielarten“ stattgefunden – die Französische Revolution habe „als Katalysator“ den „geschichtlichen Ort der Aufklärung festgelegt“ und die „Vielfalt aus der Geschichte“ eliminiert.
Blickt man auf Schlögls und Hartls Buch, so findet man darin den popkulturellen Zugang, wie die Verdrängung der Vielfalt hin zu einem starken Zentralnarrativ funktionierte. „Management by Bonaparte“ heißt ein Glossar in diesem Buch, das sich vom Aufstieg bis zum Untergang Napoleons erstreckt. „Schlag zu und das richtig“, liest man da in den herausgearbeiteten „Zehn Geboten“ der Führungsarbeit Napoleons. Aber auch: „Gib der Gruppe das Gefühl, ein nahbarer Chef zu sein.“ „Jeder sah an seinem Beispiel, dass man es mit Fleiß ganz nach oben schaffen konnte.“ In der Chatgruppen-Sprache der Gegenwart: „Ich liebe meinen Bonaparte!“
Geschichte und Glossar
Es ist der Mix aus den biografischen Kapiteln zur Lebens- und Politgeschichte Napoleons und den zahlreichen Abweichungen und Hintergrundkapiteln. Schneller, so könnte man es etwa Schülerinnen und Schülern raten, kann man die Geschichte Napoleons nicht erfassen. Entscheidend aber sind auch die Glossare in dem Buch, die nicht nur eine Einordnung erlauben, sondern so etwas wie die „Lehre“ aus der Geschichte bereithalten. Diese ist, und das macht die grafische Aufarbeitung deutlich, nie mit dem Zeigefinger, sondern bestenfalls spielerisch gemeint.
Buchhinweis
Stefan Schlögl, Wolfgang Hartl: Napoleon schläft mit Mona Lisa. Die ganze Wahrheit über den Kaiser der Fake News. 195 Seiten. Edition 5Haus, 33,00 Euro.
Hartl, das sieht man, ist ein großer Liebhaber alter Stiche. Diese transformiert er in unterschiedliche Hell-Dunkel-Landschaften, hebt aus ihnen hervor, collagiert – und rückt das Original in die Screen-Ästhetik unserer Zeit. Dass die Interfaces von Facebook oder Instagram zu unserem Fenster auf die Welt und auch uns selbst geworden sind, zeigt dieses Buch in seiner Cross-over-Ästhetik gerade über einen popkulturellen Verfremdungseffekt. Im besten Fall ist damit so etwas wie eine Medienkunde über die Kunde der Medien geschaffen. Und auch hier wünschte man sich, dass solche Bücher eigentlich zentraler Teil von Schulbibliotheken würden.
In der Verkürzung lauern alle Missverständnisse. Die Reduktion der Komplexitäten erlaubt zugleich eine Lesbarkeit der politischen Welt. Napoleon wusste, gerade im Verbund mit der Arbeit von Künstlern, wie sehr man für den eigenen Machtanspruch klare Narrative und Wiedererkennbarkeit schaffen musste. Diese Mechanismen zu hinterfragen ist zentraler Auftrag einer pluralistischen Gesellschaft. So darf man den Titel des Buches „Napoleon schläft mit Mona Lisa“ denn auch nicht als einen absurd-schlüpfrigen Topos sehen. Eher als Verkürzung des Umstandes, dass sich der kommende, selbst ernannte Kaiser die „Gioconda“ in sein Schlafzimmer stellen ließ. Auch an diesem Punkt, so machen es Schlögl und Hartl deutlich, empfiehlt sich der genauere Blick auf die Umstände. Dass der Blick mit den Zeiten gehen kann – und neben allem Spielerischen kritisch und intelligent zu sein weiß, ist das Verdienst dieses Werks.