Die sechs Milliarden Kosten von Gewalt gegen Frauen in Österreich wurden vom European Institute for Gender Equality (EIGE) für eine aktuelle Studie berechnet. In diese Zahl werden auch Folgekosten wie Gerichtsverfahren eingerechnet, dazu Sozialleistungen, Kosten von Obdachlosigkeit und Arbeitslosigkeit, die sich aus psychischen und physischen Folgen ergeben. Bis letztes Jahr wurden pro Jahr für Gewaltschutz bzw. Prävention etwa zehn Millionen Euro ausgegeben. Diese Summe wurde heuer auf 24,5 Millionen erhöht.
Circa zwölf Millionen Euro sollen in Täterarbeit und Männerberatung fließen. Den mit Abstand größten Posten der Budgetaufstockung macht die neue Gewaltpräventionsberatung aus: Sie ist seit September verpflichtend, wenn nach Wegweisungen ein Betretungsverbot ausgesprochen wird, und wird vom Innenministerium mit neun Millionen Euro jährlich finanziert.
„Sie hat mich ja so provoziert“
Mehr Geld, wenn auch in weit geringerem Ausmaß, fließt jetzt auch in die freiwilligen Programme der gewaltpräventiven Männerarbeit: Eine Million Euro hat das Sozialministerium zugesagt – von September 2021 bis Ende nächsten Jahres, das entspricht 750.000 Euro im Jahr. Christian Scambor vom Verein für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark (VMG) erklärt die Arbeit: „Unser Trainingsprogramm zielt auf eine langfristige Auseinandersetzung ab, das ist eine intensive Arbeit an sich selbst, den Einstellungen, Impulsen, Verhaltensweisen, am eigenen Umgang mit Ärger und Wut. Das braucht Zeit.“
Scambor arbeitet seit 25 Jahren als Therapeut mit gewalttätigen Männern in der Steiermark: „‚Sie hat mich ja so provoziert und dann habe ich zugeschlagen.‘ Oder: ‚Wenn sie mich so blöd anredet, ist das ja kein Wunder.‘ Oder: ‚Das und das ist passiert und dann habe ich reagiert‘, so könnte man das Narrativ zusammenfassen.“ Erst wenn sich ein Täter glaubhaft von dieser Art zu denken verabschiedet, ist ein längerfristiger Therapieerfolg in Sicht. Auch die neue Männerinfo-Hotline der Männerberatung, die seit Mitte Oktober rund um die Uhr erreichbar ist, wird vom Sozialministerium mit 350.000 Euro im Jahr bis Ende 2022 unterstützt.
Es braucht „neue Männlichkeitsbilder“
Damit Gewaltverhalten erst gar nicht entsteht, ist unter anderem Bildungs- und Jugendarbeit gefragt. Laut Scambor geht es darum, neue Männlichkeitsbilder zu etablieren, „in denen Männlichkeit nicht als Durchsetzung von Macht und Dominanz über Gewaltverhalten verstanden wird, egal ob in Beziehungen, unter Gleichaltrigen oder auf der Straße“.
Es gehe um Männlichkeitsbilder, die es zulassen, „intelligent mit eigenen Schwächen und Überlastungszuständen umzugehen und einen fürsorglichen Zugang zu anderen Menschen, aber auch zu sich selbst zu entwickeln. Das heißt, eigentlich ist es auch ein großes Männlichkeiten-Kritik-Programm, was wir da fahren.“ Für entsprechende Workshops mit Buben und jugendlichen Burschen wurde vom Sozialministerium eine weitere – einmalige – Million zugesichert.
Geschlechtergerechtigkeit als Grundbedingung
Wissenschaftliche Expertinnen wie die Konfliktforscherin Birgitt Haller begrüßen das: „Wenn es um Gewalt gegen Frauen geht, ist der wichtigste Faktor, ob ich in einer geschlechtergerechten Gesellschaft lebe oder nicht. Das muss sowohl in der schulischen als auch in der außerschulischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen Platz haben. Das muss sich auch in den Medien niederschlagen etc. Wenn ich eine Gesellschaft haben will, die stärker gewaltfrei ist, muss ich an mehreren Hebeln ansetzen.“
Besonders die zusätzliche Finanzierung für die Männerberatung sieht sie positiv: „Es war höchste Zeit, dass man auch einen Fokus bei den Gewalttätern setzt. Mit den Tätern oder potenziellen Tätern zu arbeiten, ist entscheidend für die Prävention weiterer Gewalt.“
Sechs Stunden Pflichtberatung für Täter
In dieselbe Richtung soll die erwähnte Gewaltpräventionsberatung gehen, wobei Haller die Verpflichtung skeptisch sieht. Sechs Stunden sind für Täter nach einem Betretungsverbot vorgesehen. Durchgeführt wird die Beratung in fünf Bundesländern vom Bewährungshilfeverein Neustart, in den anderen vier von unterschiedlichen kirchlichen und psychosozialen Einrichtungen. Ziel der Beratung ist laut Innenministerium die „Vermeidung einer Wiederholungstat“.
Andreas Zembaty von Neustart hält zwar eine Verhaltensänderung des Täters innerhalb von sechs Beratungsstunden für unrealistisch, das Programm aber für sinnvoll: „Was wir bewirken können, ist die Einsicht, dass Veränderung notwendig ist. Nach sechs Wochen sollen viele der Klienten dazu bereit sein, freiwillig eine weitergehende Betreuung oder ein Anti-Gewalt-Training in Anspruch zu nehmen.“
Lange Wartezeiten
Bei der Männerberatung in der Steiermark hofft man auch auf diesen Effekt, so Scambor vom Verein für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark: „Wir haben auch bereits erste Zuweisungen von Neustart an unsere freiwilligen weiterführenden Anti-Gewalt-Programme. Also wir hoffen, dass sich das gut entwickelt, und sich tatsächlich auch eine neue Gruppe an Klienten erschließt.“
In der Männerberatungsstelle Steiermark müssen interessierte Männer einige Wochen bis Monate warten, um einen Platz zu bekommen. Durch die heuer erhöhten Förderungen sind die Wartelisten kürzer geworden, sagt Scambor: „Wir hoffen, dass es weiter in diese Richtung geht.“ Der Bedarf ist aber immer noch größer als das Angebot, und durch zusätzliche Klienten, die über die verpflichtende Gewaltpräventionsberatung kommen, könnte sich auch die Wartezeit wieder verlängern.
TV-Hinweis
Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in „Aktuell nach eins“ in ORF2 am Dienstag um 13.15 Uhr
Förderungen: Kontinuität gefragt
Ein Problem, das viele Organisationen kennen, ist die mangelnde Planbarkeit in Budgetfragen. Jonni Brem von der Männerberatung Wien dazu: „Wir erhalten das Geld für die Lohnkosten seit Jahren Ende Dezember, weswegen wir gewohnt sind zu zittern, ob wir ausgeglichen bilanzieren.“
Wie sein steirischer Kollege betont auch Brem, dass die Erhöhungen des Bundes nur einmalig bis Ende 2022 zugesichert wurden. „Wieder einmal sollen nur einmalige Projekte finanziert werden. Hier wurde eine Chance verpasst, durch mehrjährige Subvention in allen Bundesländern Standortsicherheit zu erreichen.“ Denn die ist keineswegs gegeben, erklärt Eberhard Siegl vom Dachverband der Männer-, Burschen- und Väterarbeit Österreich (DMÖ): „Dass es notwendig ist, gewaltpräventive Männerarbeit zu unterstützen, wird nicht in allen Bundesländern gesehen. Das Spektrum reicht von guter Unterstützung bis Desinteresse.“
Frauenhäuser kritisieren Gewichtung
Kontinuierliche Basisfinanzierung statt ausschließlich Projektförderung fordern nicht nur die Männerberatungsstellen, sondern auch die Frauenhäuser. „Es mangelt an Personal in den Frauenhäusern und die Förderung von 700.000 wird seit Jahren nicht an die Inflation angepasst“, so Maria Rösslhumer vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF). Trotz des Gewaltschutzpakets hat sich da auch heuer nichts geändert. Mehr Geld bekommt der Verein für das Projekt StOP – Stadtteile ohne Partnergewalt, das Nachbarinnen und Nachbarn ermutigen soll, bei Gewalt nicht wegzuschauen.
Heuer hat das Sozialministerium eine Förderung von 680.000 Euro zugesagt, dadurch kann es ausgebaut werden. Rösslhumer kritisiert die Finanzierung der Gewaltpräventionsberatung mit neun Millionen als unverhältnismäßig. Zum Vergleich: Die 700.000 Euro für die Frauenhäuser machen knapp acht Prozent davon aus. Rosa Logar von der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie schließt sich der Kritik an: „Jede Beraterin betreut in der Wiener Interventionsstelle mehr als 300 Betroffene, ein Bewährungshelfer darf maximal 35 Fälle gleichzeitig haben.“ Außerdem wird kritisiert, dass die Frauenhäuser und Gewaltschutzzentren nicht in das Konzept eingebunden wurden.
Ohne Vernetzung geht nichts
Neben Geld brauche es auch mehr rechtliche und institutionelle Möglichkeiten zum Informationsaustausch, darin sind sich die Expertinnen und Experten einig. Haller dazu: „Die Lehrerin des älteren Kindes weiß vielleicht etwas anderes als die Hortbetreuerin des jüngeren Kindes, und die wiederum etwas anderes als die Pflegerin der Mutter. Alle Bereiche, die in irgendeiner Form hineinspielen, müssten eigentlich ihre Informationen zusammentragen können, weil dann am ehesten die Punkte gefunden werden können, an denen man mit Interventionen ansetzen kann.“
In der Männerberatung versucht man, diesen Zugang in Form der „opferschutzorientieren Täterarbeit“ umzusetzen. Dabei gilt nicht die Verschwiegenheit einer klassischen Therapie: Die Männerberatungsstelle tauscht mit Opferschutzeinrichtungen Informationen aus, wenn sowohl der Täter als auch die (Ex-)Partnerin zustimmen. Scambor sagt: „Wir versuchen die Klienten immer zu überzeugen, dass das eine gescheite Vorgangsweise ist und würden nicht längerfristig mit Leuten nicht opferschutzorientiert arbeiten. Das heißt, es geht eigentlich viel um Arbeit am Einverständnis für diese Vernetzung. Es gelingt meistens.“
Zusätzlich wäre eine engere Zusammenarbeit mit der Justiz sinnvoll, meint Haller: „Die Gefährdungseinschätzungen der Opferschutzeinrichtungen sollten von der Staatsanwaltschaft mehr gehört werden. Durch ihr Vertrauensverhältnis zur Klientin kennen die Einrichtungen viele Details und können akute Gefahr sehr professionell einschätzen.“
Die Kosten-Nutzen-Rechnung
Wenn eine Betroffene ein Gewaltschutzzentrum oder ein Frauenhaus aufsucht oder ein Gewalttäter eine Beratungsstelle kontaktiert, dann ist schon etwas passiert. Damit es gar nicht so weit kommt, ist Gleichstellung der Geschlechter notwendig. Für beides gemeinsam – sowohl Gleichstellung als auch Gewaltschutz – braucht es laut den Frauenhäusern 228 Millionen Euro. Das ist circa das Elffache des aktuellen Budgets, würde aber nur vier Prozent dessen ausmachen, was Gewalt gegen Frauen dem Staat jährlich kostet.