Bild des Kulturzentrums von außen
Tabanlioglu Architects
Istanbul

Ein Kulturzentrum mit Politbotschaft

Seit den Protesten 2013 sind der Istanbuler Taksim-Platz und der benachbarte Gezi-Park zum Symbolort geworden. Wie sehr kann die Türkei ihr säkulares Image gegen die Politik von Recep Tayyip Erdogan behaupten? Diese Frage steht nun erneut symbolisch im Raum. Denn seit diesem Wochenende ist das neue Atatürk-Kulturzentrum auf dem Taksim-Platz eröffnet. Und nicht nur wegen des Namens und der erneuerten großen Oper in diesem Gebäude ist die neue Kulturmaschine auch eine Form von Politstatement.

Als der Staatsgründer der modernen Türkei, Mustafa Kemal Atatürk sein Land ab 1923 radikal modernisierte, spielte Architektur für ihn eine zentrale Rolle. Ausgerechnet ein Österreicher, der Tiroler Clemens Holzmeister, realisierte ab den späten 1920er Jahren zentrale Repräsentationsbauten der neuen Türkei, in denen sich Modernität, aber auch eine gewisse Monumentalität ausdrückte. Klarheit des Statements, das war das Zeichen der neuen, jungen Türkei, die um Machtgesten nie verlegen war – und die ein laizistisches Selbstverständnis zum Ausdruck bringen sollten.

Atatürk-Kulturzentrum eröffnet

Seit Freitag ist das neue Atatürk-Kulturzentrum auf dem Istanbuler Taksim-Platz eröffnet. Der moderne Bau mit der neuen Oper ist auch ein Markstein für die weitere Entwicklung der Türkei.

Erinnerungen an die Holzmeister-Architektur

Das türkische Parlament in Ankara, es tagt noch immer im Gebäude Holzmeisters. Und auch wenn der langjährige AKP-Chef und einstige Bürgermeister Istanbuls Erdogan viele Rädchen hinter dem Gründer der modernen Türkei, speziell im Umgang mit dem Islam, zurückdrehte, so konnte er nie in die Symbolsprache des Republikgründers eingreifen. Eher versuchte er sich ikonografisch in die Tradition einer stark positionierten Türkei mit einzuschreiben und ein anderer „Vater“ des türkischen Volkes zu sein.

Taksimplatz mit Bosporus und neuem Kulturzentrum von oben
Tabanlioglu Architects
Das neue Kulturzentrum AKM in unmittelbarer Nähe zu Bosporus, Dolmabahce-Moschee und Besiktas-Stadion

AKM versus AKP: Initialen mit Politbotschaften

Wenn seit dem türkischen Nationalfeiertag am Freitag nun in Istanbul eines der zentralen Kulturgebäude der Republik wieder eröffnet wurde, dann bleibt ein Name erhalten: der des Republikgründers. Atatürk-Kulturzentrum, auf Türkisch gern mit den Initialen AKM (Atatürk Kültür Merkezi) abgekürzt, heißt das Gebäude, auf dem die Hoffnungen einer weltoffenen, liberaleren und weltlicheren Türkei ruhen.

Architekt Murat Tabanlioglu
Bradley Secker / laif / picturedesk.com
Architekt Murat Tabanlioglu vor dem Modell des neuen AKM

Architekt ist Murat Tabanlioglu – Sohn des Architekten Hayati Tabanlioglu, der das alte Gebäude entworfen hatte. Das AKM war ursprünglich 1969 als Istanbuler Kulturpalast gebaut worden. Nach einem Feuer im Jahr 1970 wurde es renoviert und 1977 als Atatürk-Kulturzentrum wiedereröffnet. Allerdings war es über die Jahre so marod geworden, dass eine Benutzung, etwa durch die im Inneren herrschende Geruchsbelästigung, teilweise stark erschwert wurde. Das AKM hatte immer schon eine Mission – aber die war schon von der Struktur her angekratzt.

Empfehlungen für den Abriss

Schon 2005 hatte das Kulturministerium empfohlen, das Gebäude abzureißen. Angesichts des Widerstands dagegen wurden die Pläne zwar zunächst auf Eis gelegt, 2008 wurden die Aufführungen aber eingestellt. Das Gebäude verfiel. Im Februar 2019 wurde der Grundstein für den Neubau gelegt.

Das Gebäude war auch ein Symbol der regierungskritischen Gezi-Proteste von 2013. Diese hatten sich an der geplanten Zerstörung des Gezi-Parks auf dem Taksim-Platz entzündet und weiteten sich zu landesweiten Protesten gegen den damaligen Ministerpräsidenten Erdogan aus. Die Demonstranten besetzten damals auch das AKM und wehrten sich gegen den geplanten Abriss des Gebäudes. Erdogan bezeichnete das Zentrum damals als Symbol für die „marginale Ideologie“ der Demonstranten.

Impression des Atatürk Kulturzentrums in Istanbul
ORF/Jörg Winter
Das Innere des neuen Opernauditoriums

Keine Korrektur bei Namen oder Formensprache

Umso überraschender war für viele, dass das neue Gebäude dann doch ganz im Stile des alten gebaut wurde und auch seinen säkularen Namen behalten durfte. Die Fassade des neuen Gebäudekomplexes wurde der markanten Glas- und Betonfront des alten Kulturzentrums nachempfunden. Es wirkt allerdings heller und luftiger. Es liegt an einem Ende des Taksim-Platzes – gegenüber der neuen Moschee, die Erdogan im Mai eröffnet hatte.

Atatürk Kulturzentrum am Taxim-Platz in Istanbul
ORF/Jörg Winter
Der Taksim-Platz im Herbst 2021

Das Gebäude beherbergt neben der Oper mit Platz für 2.500 Zuschauerinnen und Zuschauern auch ein Kino, Bibliotheken, Cafes und Restaurants. Markant ist nur eine dunkelrote Kugel, die von außen sichtbar ist und das Auditorium birgt. Das Auditorium erinnere mit seinen 15.000 glänzend roten Kacheln an einen „überreifen Granatapfel“, befand zuletzt der Tomas Avenarius von der „Süddeutschen Zeitung“.

Impression des Atatürk Kulturzentrums in Istanbul
ORF/Jörg Winter
15.000 Kacheln über dem neuen Opernraum als prägnantes neues Symbol. Hier knapp vor der Eröffnung.

Für den Architektensohn ist es eine durchaus heikle Mission, die man auch psychologische deuten darf: Einerseits will er das Werk des Vaters erhalten, andererseits will er mit der leuchtend roten Kugel und dem im Wesentlichen in Holz gehaltenen Opernauditorium seine eigene Handschrift entwickeln, wissend, dass sich ein Gebäude unter dem Namen Atatürks in eine ikonische Reihe einschreibt. Die Anitkabir in Ankara, das Mausoleum für den Republikgründer, ist in seiner neoklassizistischen Formensprache von Architekten Emin Onat (Holzmeister war damals mit seinem Entwurf nicht zum Zug gekommen) durchaus Modell für spätere Kulturgebäude. Hier in Istanbul ist es eher die Moderne, an die man sich anzuschließen weiß. Doch die Stilmittel von Natursteinbeplattung und klassizistischer Glasfront mit Stahlstreben erinnern an eine Bautradition durchaus im Sinn des Republikgründers.

Aufräumen vor dem Parlament in Istanbul nach den Protesten
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Holzmeisters Architektur war stilgebend für die Türkei Atatürks. Hier die Fassade des von Holzmeister entworfenen Parlaments in Ankara – zu sehen bei Aufräumarbeiten nach dem „Putsch“ 2016.

Gegenüber liegt die Ästhetik des jetzigen Staatspräsidenten mit der Taskim-Moschee. Es gebe kaum einen anderen Platz in der Türkei, der die Janusköpfigkeit und innere Zerrissenheit der Türkei mehr zum Ausdruck brächte als der Taksim-Platz, meinten Beobachter in den letzten Jahren. Als man in der Türkei noch demonstrieren durfte, nannte man den Taksim-Platz das „schlagende Herz des Landes“.

Nicht nur Kulturinteressierte sind nun gespannt auf das Programm und fragen sich, ob auch kritischere Stimmen, etwa am Theater, ihren Platz darin finden können. Das Gebäude untersteht dem Kulturministerium. Das Auftaktkonzert am Sonntag gibt das London Symphony Orchestra.