Männliches und weibliches Geschlechtersymbol auf Holzwürfel, mit einem Würfel dazwischen, welcher Gleich und Ungleich zeigt
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„Mikroskopischer Anstieg“

Gleichstellung dauert noch Generationen

Bis die Gleichstellung der Geschlechter erreicht ist, wird es wohl noch mehrere Generationen dauern. Das ergibt der diesjährige Gender Equality Index, der vom Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) am Donnerstag präsentiert wurde. Die EU erreicht darin 68 von 100 Punkten – ein „mikroskopischer Anstieg“, wie das Institut in einer Aussendung festhielt.

Denn in der letzten Ausgabe des Index erzielte die EU 67,4 Punkte. „Europa hat bei der Gleichstellung der Geschlechter zaghafte Fortschritte gemacht. Doch infolge der Covid-19-Pandemie sind große Verluste zu verzeichnen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen dauern für Frauen länger an, während die Lebenserwartung für Männer gesunken ist“, so Carlien Scheele, die Direktorin des Instituts.

Schweden und Dänemark sind auch in diesem Jahr die Spitzenreiter des Index, gefolgt von den Niederlanden, die Finnland und Frankreich überholten und den dritten Platz von 27 Mitgliedsstaaten belegen. Luxemburg, Litauen und die Niederlande haben sich seit der letzten Ausgabe 2019 am meisten verbessert. Slowenien ist das einzige Land, das sich verschlechtert hat.

Bei der Gleichstellung der Geschlechter gibt es große Unterschiede zwischen den EU-Ländern. Sie reichen von 83,9 Punkten in Schweden bis 52,6 Punkten in Griechenland. Österreich verzeichnete zwar einen der höchsten Zuwächse seit 2010, doch verlangsamte dieser sich in den letzten Jahren deutlich. Heuer liegt er mit 68 Punkten genau im EU-Durchschnitt.

Fokus auf Gesundheit

Der diesjährige Index konzentriert sich insbesondere auf die Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Gleichstellung der Geschlechter – ein Zusammenspiel, das durch die Pandemie mehr denn je zutage getreten ist. So sind beispielsweise Frauen im Gesundheitssektor überrepräsentiert und daher einem höheren Risiko ausgesetzt, sich mit dem Virus anzustecken. Das vorwiegend weibliche Gesundheitspersonal leidet laut EIGE während der Pandemie besonders unter akuter psychischer Belastung, da es überarbeitet ist.

Männer, die an Covid-19 erkranken, haben indes ein höheres Risiko, ins Spital eingeliefert zu werden als Frauen. Das hängt mit ihrem Gesundheitsverhalten und Vorerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Beschwerden und Diabetes zusammen, die bei Männern häufiger vorkommen als bei Frauen.

Helena Dalli, EU-Kommissarin für Gleichstellung, kündigte ein Maßnahmenpaket an. „Mit dem Programm EU4Health ist die Kommission bereit, die Bedürfnisse und Maßnahmen der EU-Mitgliedsstaaten zu unterstützen“, so Dalli. „Um das Grundrecht jedes Menschen für Zugang zu Gesundheitsversorgung anzuerkennen.“

Österreich schneidet bei Gesundheit gut ab

Gesundheit ist auch jener Bereich, in dem Österreich die höchste Punktezahl und die beste Platzierung erreicht. Mit 91,9 Punkten belegt Österreich den dritten Platz. Am besten schneidet Österreich im Teilbereich Zugang zu Gesundheitsdiensten ab, wo es mit 99,7 Punkten (plus 1,6 Punkte seit 2010) ebenfalls auf Platz drei liegt.

Seit 2010 hat sich Österreich im Bereich Einfluss am meisten verbessert (plus 19,8 Punkte), vom 19. auf den 16. Platz von 27 EU-Mitgliedsstaaten. Diese Veränderungen sind laut EIGE insbesondere auf Verbesserungen im Bereich der wirtschaftlichen Entscheidungsfindung zurückzuführen (plus 18,7 Punkte). Dennoch attestierte das EIGE Österreich im Bereich Einfluss auch das größte Verbesserungspotenzial. Einen Schritt zurück machte Österreich im Untersuchungsbereich Zeit, wo es von Platz 14 auf 15 zurückgefallen ist. In diesen Bereich fällt etwa die Care-Arbeit, also die Pflegearbeit, und häusliche Arbeiten in der Familie.

Regner: „Nur im Schneckentempo“

Wenig begeistert vom Ergebnis zeigte sich die EU-Abgeordnete Evelyn Regner (SPÖ): „Wie in den letzten Jahren geht es nur im Schneckentempo voran. Wenn das so bleibt, erreichen wir eine Gleichstellung zwischen Mann und Frau frühestens im Jahr 2085.“ Selbst diese Prognose sieht sie durch das Coronavirus gefährdet. „Wir müssen für die Gleichstellung viel mehr, viel schneller tun“, so Regner in einer Aussendung.

Sie kritisierte, es gebe in Österreich kaum Wachstum bei der Anzahl der Vollzeitstellen für Frauen, der Gender Pay Gap – die Gehaltsschere zwischen Männern und Frauen – sei einer der europaweit größten, und Frauen würden einen überproportional größeren Anteil an Pflegeaufgaben tragen. „Und während wir in Österreich vor wenigen Tagen den bereits 22. Femizid in diesem Jahr zu beklagen hatten, sind die in diesem Bereich erhobenen Daten bisher nicht vergleichbar bzw. gar nicht vorhanden. Denn viele Mitgliedsstaaten erheben sie nicht offiziell. Hier muss nachgebessert werden“, so Regner weiter.

„Unsere Warnungen, dass die Auswirkungen der Corona-Pandemie vor allem zu Lasten von Frauen gehen und die Politik sofort gegensteuern müsse, um massive Rückschritte in Gleichstellungsfragen zu verhindern, haben sich leider bewahrheitet“, erklärte EU-Abgeordnete Monika Vana (Grüne) in einer Aussendung. Vana fordert einen umfassenden Masterplan, um dem offensichtlichen und umfassenden Backlash in der Frauenpolitik gegenzusteuern: „Frauen sind die großen Verliererinnen der Pandemie – das darf von der Politik nicht achselzuckend hingenommen werden, sondern die Wiederaufbauhilfen müssen verstärkt Frauen zugutekommen.“

Abhängig von vergleichbaren Daten

Jedes Jahr ermitteln die EU sowie alle ihre Mitgliedsstaaten, wie weit sie es in Gleichstellungsfragen gebracht haben. Dafür nutzen die Forscherinnen und Forscher eine Skala von eins bis 100, wobei eins für absolute Ungleichheit zwischen den Geschlechtern steht und 100 für absolute Gleichheit. Die Werte basieren auf den Unterschieden zwischen Männern und Frauen in sechs Bereichen: Arbeit, Geld, Wissen, Zeit, Einfluss und Gesundheit.

Die Informationen erhält EIGE von den EU-Mitgliedsstaaten direkt bzw. vom EU-Statistikamt Eurostat, das die Daten mittels Umfragen erhebt. „Wir sind vollständig davon abhängig, vergleichsbasierte Daten zu erhalten, sodass wir robuste und sichere Schlussfolgerungen ziehen können“, gab das EIGE gegenüber ORF.at einen Einblick in seine Forschung. Hierbei werden Zahlen zum Arbeitsmarkt, Einkommen, Lebensqualität und Gesundheit herangezogen.

Zwei weitere Bereiche sind in den Index integriert, haben jedoch keinen Einfluss auf die Endnote. Der Bereich der Überschneidung von Ungleichheiten (Intersektionalität) hebt zwar hervor, wie sich die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern in Kombination mit Alter, Behinderung, Geburtsland, Bildung und Familientyp manifestieren, jedoch gibt es zu wenige vergleichbare Daten. Und auch bei Gewalterfahrungen von Frauen und Männern sind die Daten laut EIGE derzeit noch zu ungenau, um ausreichende Schlüsse und Vergleiche ziehen zu können.