Kongresszentrum „La Nuvola“ in Rom
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G-20-Treffen

Gipfel der großen Krisen

Nach zweijähriger Pandemiepause geht ab Samstagvormittag in Rom zum ersten Mal wieder ein Treffen der G-20 über die Bühne. Gesprächsthemen gibt es für die Staatschefs der Industrienationen genug. Allen voran: das Coronavirus und die Klimakrise. Beide Punkte bieten erhebliches Konfliktpotenzial.

Der Gipfel in Rom solle „die Rückkehr des Multilateralismus nach den düsteren Jahren des Isolationismus markieren“ – so erhofft es Italiens Ministerpräsident Mario Draghi. Doch der Gastgeber musste bereits einen Rückschlag einstecken: Wegen der Pandemie nehmen weder Russlands Präsident Wladimir Putin noch Chinas Staatschef Xi Jinping persönlich teil, sie werden von ihren Außenministern vertreten. Xi will zudem per Videoschaltung teilnehmen.

Verhandelt werden soll gemäß dem Motto über drei „P“: „People, Planet, Prosperity“ („Menschen, Planet, Wohlstand“). Da das Treffen unmittelbar vor dem Klimagipfel COP26 stattfindet, forderten viele vor allem beim Punkt „Planet“ ein Signal von den G-20-Staaten. Immerhin sind diese für den Ausstoß von mindestens 75 Prozent der klimaschädlichen Gase verantwortlich.

Feilschen um Erklärung zu Klima

Doch auch wenn es sich um ein globales Problem handelt – die Herangehensweisen sind unterschiedlich. Und so zeichnet sich doch eher ein zähes Ringen um einen Kompromiss ab. Bereits vor Start des Gipfels zirkulierte ein Entwurf der Abschlusserklärung, laut dem es ein grundsätzliches Bekenntnis zum Klimaschutz geben soll. So heißt es: „Wir erkennen an, dass die Auswirkungen des Klimawandels bei 1,5 Grad viel geringer sind als bei zwei Grad und dass sofortige Maßnahmen ergriffen werden müssen, um 1,5 Grad in Reichweite zu halten“.

Polizei in Rom
APA/AFP/Polizia di Stato
Der Gipfel in der Ewigen Stadt findet unter Hochsicherheitsbedingungen statt

Allerdings gilt weiter als strittig, bis zu welchem Jahr die Länder Klimaneutralität erreicht haben wollen – und so wurde in dem Entwurf das Jahr 2050 ausgeklammert. Die Ziele der Nationen weichen auch stark voneinander ab. Deutschland will die Klimaneutralität bis 2045 erreichen, China erst 2060, und Länder wie Indien legen sich noch nicht auf ein Datum fest. Sogar der Hinweis in der Erklärung, dass die G-20-Staaten für mindestens 75 Prozent der Treibhausgasausstoßes verantwortlich sind, gilt noch als strittig.

Offen dürfte auch noch sein, ob sich die G-20 dazu verpflichten will, schon „in den 2020er Jahren“ weitere Maßnahmen zu ergreifen, nationale Aktionspläne zu formulieren, umzusetzen und regelmäßig zu überprüfen. Aus Sicht von Fachleuten und Aktivisten wäre ein solches beschleunigtes Handeln erforderlich. Auch UNO-Chef Antonio Guterres betonte, die G-20 müsste im Kampf gegen die Klimakrise aktiver werden. Er forderte mehr Unterstützung für ärmere Staaten und einen Abbau des Misstrauens der Großmächte.

Impfstoffverteilung und Krisenfolgen

Im Zentrum des Gipfels wird freilich auch die derzeit wiederaufflammende Pandemie stehen. Eine zentrale Rolle dürfte die Frage spielen, wie ärmere Staaten besser mit Coronavirus-Impfstoff versorgt werden können. NGOs übten zu diesem Punkt im Vorfeld Kritik: „Nach 18 Monaten Pandemie ist die Bilanz erschreckend“, sagte etwa Friedrike Röder von Global Citizen. Während in reichen Ländern 70 Prozent der Menschen geimpft worden seien und über eine dritte Impfung nachgedacht werde, seien es in armen Ländern nicht einmal drei Prozent.

Rom wird zur Festung

Wegen des ersten nicht virtuell stattfindenden G-20-Gipfels seit Ausbruch der CoV-Pandemie wird das Thema Sicherheit in Rom großgeschrieben. Anti-Terror-Einheiten sind in Alarmbereitschaft, es gibt Grenzkontrollen, auch zu Österreich.

Die Finanzierung der Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion soll angemessener, nachhaltiger und besser koordiniert werden. Dazu soll eine gemeinsame CoV-Arbeitsgruppe der G-20 eingesetzt werden, die „den Dialog und die globale Kooperation verbessern“ soll, heißt es in dem Entwurf. Die Pläne der G-20 stießen auf Kritik von NGOs, die von einem „Countryclub der Reichen“ sprachen. Das Vorhaben schwäche die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und „stellt den Multilateralismus kalt“, indem ärmere Länder nicht beteiligt würden.

Laut dem Textentwurf wollen sich die G-20-Staaten weiters zu dem Ziel der WHO bekennen, bis September 2022 eine Impfrate von 70 Prozent in allen Ländern zu erreichen. Zudem soll die Entwicklung neuer Impfstoffe nach Möglichkeit auf 100 Tage verkürzt werden – was allerdings vor allem von der technologischen Entwicklung abhängt. In der Pandemie ist die Entwicklung und Zulassung neuer Impfstoffe bereits von mehr als einer Dekade auf weniger als ein Jahr verkürzt worden.

Bekenntnis zu Welthandel

Die G-20-Staaten wollen sich zudem zu einem „offenen und fairen, regelbasierten Welthandel“ bekennen. Dieser sei wichtig, um Wachstum und Jobs zu schaffen, heißt es in dem Entwurf. Deshalb müssten Protektionismus bekämpft und die multilaterale Handelszusammenarbeit mit der Welthandelsorganisation (WTO) gestärkt werden. Diese müsse reformiert werden. Die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer bekennen sich damit nach dem Ende der Ära von US-Präsident Donald Trump wieder klar zur multilateralen Zusammenarbeit.

Auch die generelle Entwicklung der Weltwirtschaft wird Thema bei den Beratungen sein: steigende Energiepreise, das Anziehen der Inflation, Störungen in den globalen Lieferketten, die abflauende Konjunktur in China. Dabei geht es auch darum, wie das Wachstum in Entwicklungs- und Schwellenländern gestärkt werden kann. Diese kommen langsamer aus der Pandemie als die reichen Industrieländer mit ihren deutlich höheren Impfquoten. US-Finanzministerin Janet Yellen sagte in Rom dem Sender CNN, dass sie mit einer Normalisierung der Inflation in der zweiten Jahreshälfte 2022 rechne.

Letzter G-20-Gipfel für Merkel

An dem G-20-Gipfel nimmt auch die scheidende deutsche Kanzlerin Angela Merkel teil. Sie will in Rom auch eine Reihe bilateraler Gespräche etwa mit US-Präsident Joe Biden führen – und möchte das zusammen mit Olaf Scholz als wahrscheinlichem Nachfolger im Kanzleramt tun. Biden selbst traf zuvor den Papst und tauschte sich mit ihm über die Pandemie, den Klimawandel und die weltweite Bekämpfung der Armut aus – mehr dazu in religion.ORF.at.

Die bilateralen Treffen der Staats- und Regierungschefs am Rande des Gipfels gelten als wichtiges Element der seit 2008 stattfindenden Treffen auf oberster Ebene. Am Nachmittag ist etwa ein Gespräch Bidens mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron geplant.

Papst Franziskus und US-Präsident Joe Biden
Reuters/Vatican Media
Der Katholik Biden und Papst Franziskus trafen vor dem Start des Gipfels zusammen

Mitglieder der G-20 sind die sieben großen Industrieländer (G-7) USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada und Japan. Dazu kommen Russland sowie Australien, die Türkei, Saudi-Arabien und Südafrika. Vertreten sind außerdem die asiatischen Länder China, Indien, Indonesien und Südkorea sowie die lateinamerikanischen Staaten Argentinien, Brasilien und Mexiko. Das zwanzigste Mitglied der G-20 ist kein Staat, sondern eine Staatengruppe: die Europäische Union. Die Länder vertreten rund zwei Drittel der Weltbevölkerung.