Eine Hand dreht den Schalter an einer Gastherme
ORF.at/Christian Öser
Preiserhöhungen

Beschwerdeflut über Energieanbieter

Derzeit gehen beim Verein für Konsumenteninformation (VKI) zahlreiche Beschwerden von Konsumentinnen und Konsumenten gegen mehrere Energieanbieter ein. Der Vorwurf: Diese wollen die Preisgarantien umgehen. „Offenbar reagieren diese Energieunternehmen auf das geänderte Preisniveau des Großhandels und versuchen, bei ihren Kunden Preiserhöhungen durchzusetzen“, so der VKI am Freitag in einer Aussendung.

Manche Energieanbieter versuchten unter anderem, die zugesagten Preise mittels Änderungskündigung zu erhöhen, und bieten dabei entsprechende neue – deutlich höhere – Preise an. Diese sollen gelten, wenn der Preiserhöhung nicht widersprochen wird.

Erfolgt ein Widerspruch gegen die Preiserhöhung, soll nach Vorstellung der Energieanbieter das Vertragsverhältnis enden, beschreiben die Konsumentenschützer die Vorgehensweise. Andere Energieanbieter kündigten die Verträge nach Ablauf von zwölf Monaten vor Ende der Preisgarantie und wollten sich damit der für sie ungünstigen Verträge entledigen.

VKI: „Prüfen rechtliche Schritte“

Der VKI hält derartige Vorgangsweisen für unzulässig und fordert die Energieanbieter auf, ihren Standpunkt zu überdenken. „Es kann nicht sein, dass Energieanbieter zugesagte Preisgarantien nicht einhalten und die vereinbarten Preise vor Ablauf der Preisgarantie zu Lasten der Konsumentinnen und Konsumenten erhöhen möchten“, kritisierte Thomas Hirmke, Leiter des Bereiches Recht im VKI. „Wir prüfen rechtliche Schritte und werden notfalls eine gerichtliche Klärung herbeiführen.“

Zur Einordnung: Der Österreichische Gaspreisindex (ÖGPI) ist im November im Vergleich zum Vormonat Oktober um 43,2 Prozent gestiegen. Gegenüber November 2020 liegt er um 489,7 Prozent höher. Der von der Österreichischen Energieagentur berechnete Index steigt im November 2021 auf 310,79 Punkte. In den vergangen zwölf Monaten lag der ÖGPI im Schnitt bei 124,15 Punkten.

Warum teures Erdgas auch Strompreise treibt

Als wesentliche Gründe für den starken Anstieg der Gaspreise in der letzten Zeit gelten eine gestiegene Nachfrage seit den Lockerungen von Coronavirus-Maßnahmen, die vergleichsweise niedrigen Füllstände der Gasspeicher in der EU und die bis vor Kurzem zurückhaltenden Lieferungen aus Russland.

Zudem gehen viele Lieferungen von Flüssiggas nach Asien, wo die Gaslieferanten noch höhere Preise als in Europa erzielen können. Weil die Strompreise in der EU an den Preisen für Gas ausgerichtet werden, stiegen auch diese in den vergangenen Monaten stark.

Putin-Anweisung als Grund für Trendumkehr

Eine Trendumkehr auf dem Gasmarkt TTF in den Niederlanden bewirkte jüngst aber eine Anweisung des russischen Präsidenten Wladimir Putin an den staatlichen Energieriesen Gasprom zur Erhöhung der Gaslieferungen nach Europa. Putin hatte Gasprom insbesondere angewiesen, die Gasspeicher in Deutschland und Österreich zu füllen. Zwischen Mittwochabend und Freitag fiel der Preis um rund ein Fünftel auf unter 70 Euro pro Megawattstunde. Am frühen Nachmittag betrug der Preis exakt 68,53 Euro.

Der Preis für britisches Erdgas zur Lieferung im kommenden Monat sank binnen Wochenfrist ähnlich stark, er lag am Freitagnachmittag bei 177,00 Pence je Therm. Beide Preise hatten am 6. Oktober Rekordhöhen erreicht: Der TTF-Preis lag bei 162,125 Euro, der Preis für britisches Erdgas bei 407,82 Pence je Therm. Seitdem waren sie wieder gesunken, liegen aber weiterhin deutlich über dem Niveau vom Frühsommer. Ein Drittel des in Europa verbrauchten Erdgases kommt aus Russland.

Anstieg bei Gaspreisen stellt EU vor Probleme

Trotzdem sorgte der starke Anstieg der Gaspreise in etlichen EU-Staaten in den letzten Wochen für Probleme, teilweise wurden nationale Maßnahmen verhängt, um soziale Härten abzumildern. Am Dienstag fand angesichts der Energieproblematik auch ein Sondertreffen der EU-Energieministerinnen und -minister in Luxemburg statt.

EU-Energiekommissarin Kadri Simson hielt fest, dass vor allem die gestiegene Gasnachfrage Ursache für die Preisentwicklung sei. Eine Schlüsselbotschaft sei, dass ein Ausbau erneuerbarer Energien notwendig sei, um hier unabhängiger werden, sagte Sloweniens Infrastrukturminister Jernej Vrtovec, doch auch Atomenergie sei bei vielen Mitgliedsstaaten ein Weg.

Gasstation Baumgarten
ORF.at/Christian Öser
Die zuletzt rasant gestiegenen Erdgaspreise alarmieren kurz vor dem Winter die europäischen Regierungen und die Industrie

Österreich und Co. gegen Reformen der Energiemärkte

Keine Ergebnisse gab es zu den Vorschlägen von Staaten wie Frankreich und Spanien etwa für Maßnahmen auf EU-Ebene bzw. zu einer Reform des Großhandelsmarkts für Strom. Österreich, Deutschland und sieben andere Länder sprachen sich gegen Reformen der Energiemärkte aus. Was Vorwürfe des unlauteren Wettbewerbs auf dem Gasmarkt betrifft, etwa durch Russland, sagte Simson, dass hier noch Daten zu sammeln wären. Was den Vorschlag freiwilliger, gemeinsamer Einkäufe von Gas auf EU-Ebene betreffe, gelte es noch einige Fragen zu klären.

Die Minister erwarten nun weitere Analysen von der EU-Kommission, insbesondere die Studien zum Funktionieren der Gas- und Strommärkte sowie des Emissionshandels. Ein vorläufiger Bericht der EU-Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) werde die Situation auf dem Strommarkt untersuchen. Eine erste vorläufige Bewertung der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) soll Mitte November vorliegen, die endgültige Studie kündigte die Energiekommissarin für den April 2022 an.

Inflationsrate auf Zehnjahreshoch

Die steigenden Treibstoff- und Energiepreise sind laut Statistik-Austria-Generaldirektor Tobias Thomas auch der Grund für den weiteren Anstieg der Inflationsrate in Österreich: Im Oktober dürfte die Inflationsrate auf 3,6 Prozent angestiegen sein, erklärte die Statistik Austria am Freitag in ihrer Schnellschätzung. „So hoch war die Teuerung zuletzt im November 2011“, sagte Thomas in einer Aussendung. Für den Vormonat September war vorläufig eine Rate von 3,3 Prozent gemeldet worden – mehr dazu in oesterreich.ORF.at

WIFO-Chef: Hohe Energiepreise strukturelles Problem

Mit einem dauerhaft höheren Inflationsdruck rechnete zuletzt der neue Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), Gabriel Felbermayr, der sich zugleich über die hohen Energiepreise besorgt zeigte. „Zwar gibt es in den aktuellen Inflationsraten ohne Frage temporäre Effekte. Dennoch muss man davon ausgehen, dass die Teuerung nicht zu Raten zurückkehrt, wie wir sie mal hatten mit zwischen einem halben und eineinhalb Prozent“, so Felbermayr zur „Passauer Neue Presse“.

Man werde im Jahresdurchschnitt regelmäßig über diesen niedrigen Werten liegen, näher bei zwei Prozent und immer wieder deutlich darüber. „Das aber bedeutet, dass in einzelnen Sektoren, wie bei Heizenergie oder Lebensmitteln, die Preiserhöhung sehr viel höher ausfallen kann“, so der WIFO-Chef. „Das trifft in höherem Maße Haushalte mit niedrigem Einkommen, die mehr konsumieren als Hochverdiener.“

Für Felbermayr werden die hohen Energiepreise immer mehr zu einem Problem für die österreichische und deutsche Volkswirtschaft sowie die Weltwirtschaft. „Die Sorge ist, dass der Aufschwung im Nachgang zur Coronavirus-Krise dadurch signifikant abgebremst werden könnte. Schon jetzt führen die hohen Preise und die Verfügbarkeitsprobleme bei Energie zu einer geringeren Wertschöpfung, zu weniger Wirtschaftserholung, als wir sie sonst hätten“, sagte der WIFO-Chef. Die hohen Energiepreise seien ein vorübergehendes, aber auch ein strukturelles Phänomen.

Weltbank: Energiepreise bleiben 2022 hoch

In dieselbe Kerbe schlug die Weltbank vor Kurzem: Die stark gestiegenen Energiepreise würden demzufolge auch 2022 hoch bleiben und damit weltweit für Inflationsdruck sorgen. Das Wirtschaftswachstum könnte sich zudem teilweise von den Energieimportländern auf die Produzenten verlagern, erklärte die Weltbank zuletzt in einem Bericht zu den Rohstoffmärkten. Die Energiepreise sollen erst in der zweiten Hälfte 2022 angesichts einer besseren Angebotslage und einer langsamer wachsenden Nachfrage wieder sinken.

Die Preise für Erdgas und Kohle könnten angesichts geringer Lagerbestände kurzfristig weiter steigen, warnte die Weltbank. Die Produktion, etwa durch zusätzliche Gasförderung in den USA, werde erst im kommenden Jahr wieder deutlich zulegen, was dann zu einer Abschwächung der Preise führen werde.