Die Parteizentrale der ÖVP
ORF.at/Roland Winkler
Beinschab Kronzeugin?

Druck auf Beschuldigte wächst

Seit Tagen wird gerätselt, was die in der ÖVP-Inseratenkorruptionsaffäre mitbeschuldigte und kurzzeitig festgenommene Meinungsforscherin Sabine Beinschab vor den Ermittlern der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ausgesagt hat. Ein Anlassbericht des Bundesamts zur Korruptionsbekämpfung (BAK), der Ö1 vorliegt, deutet darauf hin, dass sich Beinschab geständig gezeigt und Interesse an einem Kronzeugenstatus bekundet habe. Der Druck auf alle Beschuldigten wächst damit – wenngleich man sich in der ÖVP über den Ermittlungsfortschritt erfreut zeigte.

Meinungsforscherin Beinschab wird Beteiligung an Untreue und Bestechung vorgeworfen. Die 37-Jährige, die am 12. Oktober in der Früh vorübergehend festgenommen worden war, soll für die ÖVP bzw. den damaligen Außenminister und späteren Bundeskanzler und türkisen Parteiobmann Sebastian Kurz (ÖVP) günstige, zum Teil frisierte Umfragen erstellt und über Scheinrechnungen dem Finanzministerium verrechnet haben.

Die WKStA ermittelt in diesem Zusammenhang gegen insgesamt zehn Verdächtige wegen Untreue und Bestechung bzw. Bestechlichkeit, darunter Kurz, einige enge Vertraute des Ex-Kanzlers und die Medienmacher Wolfgang und Helmuth Fellner. Für sämtliche Beschuldigte gilt die Unschuldsvermutung.

„Bereit, ihr Wissen zu offenbaren“

Grund für die Festnahme Beinschabs war der Vorwurf der Verdunkelung, weil sie nur wenige Stunden vor der Hausdurchsuchung in der ÖVP-Inseratenaffäre Chats mit anderen Beschuldigten gelöscht hatte und sich darüber zuvor auch im Internet schlaugemacht haben soll. Laut Polizeianlassbericht konnte sich die Meinungsforscherin im Arrest mehrfach mit ihrer Anwältin besprechen. Die Beschuldigteneinvernahme durch die WKStA fand am Tag nach der Festnahme statt.

Im Polizeianlassbericht befindet sich auch ein Auszug aus Beinschabs Rechtsbelehrung vor ihrer Einvernahme. Auch dieser lässt den Schluss zu, dass sie einen Kronzeugenstatus beantragt hat. Vor Beginn der Befragung wurde laut Berichten festgehalten, dass die Beschuldigte bereit ist, „freiwillig mein Wissen über Tatsachen und/oder Beweismittel zu offenbaren, deren Kenntnis wesentlich dazu beitragen, kann, die umfassende Aufklärung (…) der Straftaten über meinen eigenen Tatbeitrag hinaus zu fördern oder eine Person auszuforschen, die an einer solchen Verabredung führend teilgenommen hat oder in einer solchen Vereinigung oder Organisation führend tätig war“.

Weiters soll sich Beinschab bezüglich ihrer umfänglichen Aussage vor der WKStA zur „absoluten Verschwiegenheit“ verpflichtet haben und außerdem garantiert haben, jeglichen Kontakt mit den anderen Beschuldigten zu unterlassen.

Bisher nicht bekanntes Wissen als springender Punkt

Beinschab könnte als Kronzeugin fungieren, obwohl sie bereits als Beschuldigte vernommen wurde und gegen sie Zwangsmaßnahmen – ihre Festnahme und eine Hausdurchsuchung an ihrer Adresse – gesetzt wurden. An sich ist der Kronzeugenstatus gemäß Strafprozessordnung (StPO) ausgeschlossen, wenn gegen einen Mitverdächtigen bereits behördlicher Zwang ausgeübt wurde.

Analyse: Folgen eines Geständnisses von Beinschab

Andreas Mayer-Bohusch aus der ZIB-Innenpolitikredaktion spricht über mögliche Auswirkungen einer Kooperation von Beinschab mit den Ermittlern in der ÖVP-Inseratenaffäre. Er spricht auch über Folgen für die ÖVP.

Doch gibt der bzw. die Betroffene aber von sich aus bei dieser Gelegenheit strafrechtlich relevantes Wissen preis, von dem die Strafverfolgungsbehörden bis dahin keine Kenntnis hatte, könnte er bzw. sie damit doch noch Kronzeugenstatus erlangen. Wobei die diesbezügliche Entscheidung nicht im Vorhinein, sondern erst am Ende des – im Regelfall langwierigen – Ermittlungsverfahrens fällt.

Rechtsanwalt und Verfassungsrichter Michael Rami äußerte sich im Ö1-Mittagsjournal eher skeptisch, dass Beinschab einen Kronzeugenstatus erlangen könne: Zwar wäre der Vorgang unter den genannten Bedingungen „möglich“, doch sei „eher daran zu zweifeln“. Jedenfalls sei aber Strafmilderung im Falle von Hilfe zur Aufklärung der Strafsachen – unabhängig von der Erlangung des Kronzeugenstatus – jedenfalls möglich.

Haftgrund der Verdunkelungsgefahr aufgehoben

Allerdings wird die Meinungsforscherin auch belehrt, sie habe nur dann Anspruch auf den Kronzeugenstatus, wenn sie sämtliche Voraussetzungen für die Kronzeugenregelung vorlegen könne. Weiters wurde Beinschab angewiesen, sie müsse absolutes Stillschweigen über ihre Aussagen wahren, um die staatsanwaltlichen Ermittlungen nicht zu behindern. Was sie genau ausgesagt hatte, ist im Anlassbericht des Bundesamtes Ö1 zufolge nicht nachzulesen – nur, dass die Einvernahme in Bild und Ton aufgenommen wurde. Die Abschrift soll erst später zum Akt genommen werden – ein offenbar eher ungewöhnlicher Schritt.

Nach ihrer Befragung habe die Beschuldigte laut Polizeibericht auch noch zugesagt, jeden Kontakt zu weiteren Beschuldigten zu unterlassen und bei anschließenden Vernehmungsterminen bei der Aufklärung mitzuwirken. Zusätzlich sei wegen der geständigen Verantwortung der Meinungsforscherin der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nicht mehr angenommen, daher sei die Festnahme am 13. Oktober um 17.40 Uhr mit sofortiger Wirkung aufgehoben worden.

ÖVP „zuversichtlich“

In einer E-Mail an ORF.at teilte die ÖVP zu den aktuellen Berichten mit, man sei erfreut, dass die Ermittlungen so schnell voranschreiten. „Und wir sind zuversichtlich, dass der Sachverhalt bald aufgeklärt wird und sich die falschen Vorwürfe gegen Sebastian Kurz (ÖVP, Anm.) rasch entkräften lassen“, so die Stellungnahme.

Anders klang naturgemäß FPÖ-Chef Herbert Kickl: „Die Luft für das türkise System wird immer dünner“, befand er in einer Aussendung. „Der Countdown läuft.“ Die sichergestellten Chatnachrichten zeigten, wie sich Kurz „erst den Weg an die Parteispitze freiputschte und anschließend mit Hilfe frisierter Umfragen den Aufschwung der ÖVP inszenierte“, meinte Kickl. „Wenn jetzt die Meinungsforscherin bei den Behörden auspackt, dann kann das nur zu einem raschen Ende für das türkise System führen.“

Kritik aus Justiz an Razzien bei „Österreich“

Eine Hausdurchsuchung im Rahmen der ÖVP-Inseratenaffäre gab es nicht nur bei Beinschab und dem Kreis der ÖVP, sondern auch beim Medienhaus „Österreich“. Damit die Razzien nicht verraten werden, wurden die Handys aller Beschuldigten gepeilt, aber nicht inhaltlich überwacht. Die WKStA geht davon aus, dass über Ex-Kanzler Kurz und seine Berater Steuergeld geflossen sein soll, um gefälschte Umfragen bei Beinschab zu bestellten und in den Medien der „Österreich“-Gruppe zu verbreiten. Dieser Verdacht erhärtete sich durch Chats zwischen dem gestürzten Ex-ÖBAG-Chefs Thomas Schmid, den Medienbeauftragten von Kurz, Johannes Frischmann und Gerald Fleischmann, sowie Kurz selbst.

Die Rechtsschutzbeauftragte der Justiz und damit oberstes Kontrollorgan über die Staatsanwaltschaften übte dazu jetzt Kritik an den Ermittlungen der WKStA gegen „Österreich“. In einer Beschwerde vom 14. Oktober bezeichnet die Rechtsschutzbeauftragte Gabriele Aicher die Bewilligung der Hausdurchsuchung in dem Medienunternehmen als rechtswidrig.

Aicher sieht keinen dringenden Tatverdacht gegen die „Österreich“-Medienmanager Helmuth und Wolfgang Fellner. Zudem kritisiert die Expertin, dass alle Verfahren unter einem Dach gegen Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache geführt werden. Die Folge sei, dass immer derselbe Richter alle Entscheidungen treffe. Aicher hinterfragte zudem, ob die Zufallsfunde vom Handy Schmids, die der Ursprung vieler Ermittlungen sind, „ohne Einhaltung der üblichen Regularien für Überwachungsmaßnahmen“ überhaupt eine „Anzeige“ und somit im Akt verwertbar seien.

„Der Zweck heiligt nicht die Mittel“

In der „Kronen Zeitung“ (Freitag-Ausgabe) legte Aicher nach: „Wer den Rechtsstaat vertritt, hat sich selbst an die Vorgaben des Rechtsstaates zu halten. Ich sehe in den letzten Entwicklungen mit Blick auf das Redaktionsgeheimnis eine Gefahr für die Pressefreiheit.“ Sie sei in Sorge, „weil ich wahrnehme, wie fortlaufend versucht werde, Grenzen zu verschieben und das beunruhigt mich zutiefst …“. „Der Zweck heiligt nicht die Mittel“, so Aicher.

Laut „Presse“ stelle sich die Frage, ob die Sicherstellung von Handys, die dann möglicherweise mit Rückgriff auf Speicher in der Cloud ausgiebig und auch auf der Suche nach Zufallsfunden ausgewertet werden, ein Fall sein könnten, beim Obersten Gerichtshof (OGH) eine Nichtigkeitsbeschwerde einzulegen. Aicher meinte dazu gegenüber der Zeitung, dass Beschwerden dahingehend tatsächlich „a la longue“ beim OGH beantwortet werden könnten. Eine „baldige Klarstellung“ sei jedenfalls wünschenswert zu der Frage, „inwieweit sich die Rechtsschutzbeauftragte einbringen kann“, so Aicher.

Aicher wurde von Justizministerin Alma Zadic (Grüne) ab Anfang April für drei Jahre als Rechtsschutzbeauftragte bestellt, auf, laut Gesetz, gemeinsamen Vorschlag des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes (VfGH), des Vorsitzenden der Volksanwaltschaft und des Präsidenten des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages. Ihr Vorgänger, Gottfried Strasser, hat nach siebzehneinhalb Jahren seine sechste Amtsperiode um ein halbes Jahr verfrüht beendet.

WKStA weist Kritik zurück

Die WKStA wies jede Kritik in einer Aussendung vom Freitag zurück, gab aber zu, dass sie es „irrtümlich“ verabsäumt habe, für eine geplante Handystandortbestimmung die bei Journalisten erforderliche Ermächtigung der Rechtsschutzbeauftragten zu beantragen. „Nach der gerichtlichen Bewilligung erkannte die WKStA selbst noch vor Umsetzung der Maßnahme am 5. Oktober 2021 dieses Versäumnis, hielt diesen Umstand transparent im Akt fest und wies das Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) umgehend an, die Maßnahme nicht durchzuführen. Tatsächlich wurden die Standortdaten auch nicht erhoben“, so die Staatsanwaltschaft.

Die darüber hinaus gehenden Kritikpunkte weise die WKStA „entschieden zurück“. „Diese stehen aus Sicht der WKStA teilweise im Widerspruch zur Aktenlage, teilweise auch zur geltenden Rechtslage und suggerieren ohne ausreichende Tatsachengrundlage missbräuchliches Amtshandeln. In Anbetracht dieser Kritikpunkte legte die WKStA die Beschwerde mit einer ausführlichen Stellungnahme dem Gericht vor. Das Oberlandesgericht Wien wird im Rechtsmittelverfahren über die Zulässigkeit dieser Beschwerdepunkte und die rechtliche und inhaltliche Berechtigung der Einwände entscheiden.“

ÖVP will parlamentarische Anfrage an Zadic richten

Der stellvertretende ÖVP-Klubchef August Wöginger nahm den Disput zum Anlass, um Aufklärung von Justizministerin Zadic zu fordern. „Im Sinne unseres österreichischen Rechtsstaats muss die Justiz über jeden Zweifel erhaben sein“, meinte er in einer Aussendung. Der ÖVP-Parlamentsklub werde daher auch eine parlamentarische Anfrage an Zadic richten. „Die Justiz darf nicht zum Mittel parteipolitischen Kalküls werden“, so Wöginger. Umso wichtiger sei es, den aufgekommenen Vorwürfen schnell auf den Grund zu gehen.