Mitglieder der G20 beim Gipfel in Rom im Sitzungssaal
Reuters/Brendan Smialowski
„Historischer Schritt“

G-20 billigt globale Mindeststeuer

Die G-20-Staats- und Regierungschefs haben einer globalen Mindeststeuer von 15 Prozent für global agierende Unternehmen grünes Licht gegeben. Von einem „historischen Schritt“ war am Samstag auf dem Gipfel in Rom die Rede. Im Zentrum der zweitägigen Beratungen stehen außerdem der Klimaschutz, eine Stärkung der Weltwirtschaft und eine bessere Pandemiebekämpfung.

Mit der Mindestbesteuerung großer Firmen werde der „schädliche Wettlauf nach unten bei der Unternehmensbesteuerung beendet“, sagte US-Finanzministerin Janet Yellen am Samstag. Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte die Einigung „ein klares Gerechtigkeitssignal in Zeiten der Digitalisierung“.

Der Gastgeber des G-20-Gipfels in Rom, der italienische Ministerpräsident Mario Draghi, sprach von einem geschichtsträchtigen Ereignis. „Wir haben eine historische Vereinbarung für ein gerechteres und effizienteres internationales Steuersystem erzielt“, sagte Draghi. Auch US-Präsident Joe Biden lobte die Übereinkunft.

Mindestens 15 Prozent

Im Rahmen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hatten der geplanten Reform bereits 136 Staaten, darunter Österreich, auf Ministerebene zugestimmt. Die Länder machen zusammen gut 90 Prozent der Weltwirtschaftsleistung aus. Mit dabei sind auch bekannte Steueroasen wie die Cayman-Inseln und Länder wie Irland, die sich angesichts ihrer niedrigen Steuersätze bis zuletzt sträubten.

G20-Gipfel in Rom
AP/Gregorio Borgia
Familienfoto der G-20 mit in der CoV-Krise an vorderster Front stehenden Helferinnen und Helfern

Ziel der Reform ist es vor allem, die Verlagerung von Unternehmensgewinnen in Steueroasen zu verhindern. Große, international tätige Firmen sollen deswegen spätestens 2023 unabhängig von ihrem Sitz mindestens 15 Prozent Steuern zahlen. Zahlt ein Unternehmen mit seiner Tochterfirma im Ausland weniger Steuern, kann der Heimatstaat die Differenz einkassieren. Außerdem sollen profitable, weltweit operierende Digitalunternehmen wie Amazon und Google nicht mehr nur in ihrem Mutterland besteuert werden, sondern auch da, wo sie gute Geschäfte machen.

Die Neuordnung der internationalen Steuerarchitektur soll nach OECD-Angaben weltweit zu zusätzlichen Steuereinnahmen von jährlich rund 150 Milliarden Dollar (rund 129 Milliarden Euro) führen. Zentral ist dabei ein Zweisäulenkonzept: Säule eins soll eine fairere Verteilung der Besteuerungsrechte der Staaten in Bezug auf die Gewinne großer multinationaler Konzerne sicherstellen – vor allem aus der Digitalwirtschaft. Dabei soll ein Teil der Rechte von den Ländern, in denen die Unternehmen ihren Hauptsitz haben, auf diejenigen Staaten übergehen, auf deren Märkten sie ihre Gewinne erzielen. Die zweite Säule ist die globale Mindeststeuer.

Grünes Licht für globale Mindeststeuer

Die G-20-Staats- und Regierungschefs haben sich bei ihrem Treffen in Rom hinter eine globale Mindeststeuer großer Firmen gestellt. Bei den zweitägigen Beratungen geht es außerdem um Klimaschutz und Pandemiebekämpfung.

Kreise: Einigung auf 1,5-Grad-Klimaziel

Die G-20-Staats- und Regierungschefs hatten am Samstag ihre Beratungen aufgenommen. Vor allem die Aussagen zum Klima in der Gipfelerklärung werden mit Spannung erwartet, weil das Treffen direkt vor der Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow stattfindet.

Nach zähen Verhandlungen haben sich die Mitglieder der G-20 offenbar doch noch auf gemeinsame Klimaziele verständigt: In der für Sonntag geplanten Abschlusserklärung des G-20-Gipfels in Rom wollen sich die stärksten Wirtschaftsnationen der Welt gemeinsam hinter das 1,5-Grad-Ziel stellen, wie zur Mittagszeit aus Delegationskreisen verlautete.

Ankurbelung der Weltwirtschaft

Im Kontrast zu den Anstrengungen im Klimabereich stehen die Bemühungen zur Ankurbelung der Weltwirtschaft. Biden werde die wichtigsten G-20-Energieproduzenten mit Kapazitätsreserven, insbesondere Russland und Saudi-Arabien, auffordern, ihre Produktion zu steigern, um eine stärkere Erholung der Weltwirtschaft zu gewährleisten, sagte ein hochrangiger Beamter der US-Regierung. Damit werden mehr fossile Energieträger genutzt.

Merkel wiederum betonte die Bedeutung der Sonderziehungsrechte in Höhe von 650 Milliarden Dollar beim Internationalen Währungsfonds (IWF), die vor allem afrikanische Staaten nutzen könnten, um ihre Wirtschaften nach der Coronavirus-Pandemie anzukurbeln.

Finanzierungsinstrument für Pandemievorsorge

Die G-20-Staaten wollen nach Angaben von Merkel außerdem einen Finanzierungsmechanismus für die Vorbereitung auf mögliche künftige Pandemien schaffen. Es gehe darum, die Grundlagen zu legen, um bei späteren Ausbrüchen von Pandemien besser gerüstet zu sein, sagte Merkel. Dafür werde es auch eine „Finanzfazilität“ geben. Sie könnte zur Stärkung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eingesetzt werden.

Merkel stellte sich auch hinter das G-20-Vorhaben, bis Jahresende 40 Prozent der Weltbevölkerung gegen das Coronavirus zu impfen und 70 Prozent bis Mitte nächsten Jahres. „Ich unterstütze das“, sagte sie. Zuvor hatten mehrere G-20-Regierungschefs betont, wie wichtig es sei, die Impfungen in den Entwicklungsländern zu beschleunigen.

Bericht vom G-20-Gipfel

ORF-Korrespondentin Cornelia Vospernik berichtet vom G-20-Gipfel in Rom.

WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus nahm die Politiker in die Pflicht. „Wie viel mehr Menschen werden noch sterben, in dieser und in künftigen Pandemien?“, fragte Tedros. „Die Antwort liegt in Ihren Händen.“ Russlands Präsident Wladimir Putin forderte, dass die Staaten ihre Coronavirus-Impfstoffe gegenseitig anerkennen sollten. Hintergrund ist die fehlende Zulassung etwa für den russischen Impfstoff „Sputnik V“ in der EU.

Proteste von Klimaaktivisten und Kommunisten

Vor Beginn des G-20-Gipfels wurden scharfe Sicherheitsvorkehrungen ergriffen. Roms südliches Stadtviertel EUR, wo die Delegationen der G-20-Staaten tagen, wurde quasi zu einer Festung ausgebaut. 7.000 Polizisten und Militärs sind im Einsatz, um die Sicherheit des Gipfels zu garantieren.

Proteste begleiten G-20-Gipfel

Vor Beginn des G-20-Gipfels in Rom ist es zu ersten Protestaktionen gekommen. Eine Gruppe von Klimaaktivisten besetzte die Verkehrsachse Via Cristoforo Colombo, die zum Kongresszentrum La Nuvola führt, in dem die Staats- und Regierungschefs tagen. Zahlreiche weitere Demonstrationen sind am Wochenende in Rom geplant.

Einige tausend Menschen beteiligten sich an einem Protestmarsch. Die Demonstrantinnen und Demonstranten, darunter mehrere Klimaschutzaktivistinnen und -aktivisten sowie Mitglieder linksorientierter Parteien, marschierten vom römischen Bahnhof Ostiense bis zum Stadtzentrum. „Ihr die Krankheit, wir das Heilmittel“, „Ihr die G-20, wir die Zukunft“, „Stoppt Patente, globales Recht auf Impfstoffe“ war auf Schildern zu sehen. Unter den Teilnehmern waren auch Schülerinnen und Schüler der Bewegung Fridays for Future.

Weitere Demonstranten versammelten sich auf der Piazza San Giovanni vor der Lateranbasilika zu einer Demonstration gegen die „Regierung Draghi und die Regierung der Banker“, die von der Kommunistischen Partei und verschiedenen Verbänden organisiert wurde. Sie kritisierten die „Mächtigen der Welt, die Entscheidungen über den Köpfen des Volkes treffen“. Bereits am Vortag hatte es kleinere, friedliche Protestaktionen gegeben.