Grossmans epochaler „Stalingrad“-Roman neu aufgelegt

80 Jahre nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion erscheint Wassili Grossmans Monumentalwerk „Stalingrad“ um die Weltkriegsschlacht in einer restaurierten Fassung ohne Zensureingriffe. Der Roman (Claassen Verlag) gibt Einblicke in den Alltag der Menschen in ihrem Kampf gegen die Wehrmacht. Die Geschichte um die Familie Schaposchnikow ist der Vorläufer des später erschienenem Grossman-Opus-magnum „Leben und Schicksal“.

Zensureingriffe bereinigt

Grossman, der selbst als Kriegsreporter 1942 und 1943 aus Stalingrad (heute Wolgograd) die Welt informierte, erzählt in starken Bildern von den Opfern der Schlacht, die als Wendepunkt im Zweiten Weltkrieg galt und Deutschlands Niederlage einleitete. Dabei sind anders als in den von der Zensur unter Sowjetdiktator Josef Stalin verstümmelten Fassungen nun auch wieder Zwischentöne enthalten.

So sei es etwa tabu gewesen, Diebstahl und Trunkenheit oder auch Ungeziefer wie Wanzen, Kakerlaken, Läuse und Flöhe zu erwähnen, heißt es in einem Nachwort von Robert Chandler, der die englische Ausgabe herausgebracht hat. „Der sozialistische Realismus legt Wert auf Eindeutigkeit und Anständigkeit.“ Ein Roman um die heldenhafte Schlacht von Stalingrad sollte damals nur positive Bilder vermitteln. Nun hätten Figuren aber ihre ursprünglichen Ecken und Kanten wieder.

Auch eine in den 1950er Jahren vom Dietz-Verlag in der DDR unter dem Titel „Wende an der Wolga“ veröffentlichte Fassung des Romans, der in der UdSSR unter dem Titel „Sa prawoje delo“ („Für eine gerechte Sache“) erschien, war zensiert worden. „Sowjetische Soldaten oder Funktionäre als Menschen darzustellen, die sich in militärisch entscheidenden Situationen kindisch oder eigennützig verhielten, kam nicht infrage“, sagte Chandler. So verlässt sich in einer Szene ein General auf eine Ziege und nicht auf seinen Kompass, um aus einem Sumpf herauszufinden.

Folgeband „Leben und Schicksal“

„‚Stalingrad‘ und ‚Leben und Schicksal‘ können nun nacheinander gelesen werden“, schreibt der Osteuropa-Experte und Historiker Jochen Hellbeck in einem Vorwort zum Buch. Während „Stalingrad“ die "geistigen Horizonte der Kriegszeit aufzeigt und die Schlacht von Stalingrad als Anbruch der „unerbittlichen und frohen Stunde des Menschen" beschwört, entstand der Folgeband im späteren Wissen, dass diese enormen Hoffnungen nicht eingelöst wurden“.