Eine Frau sitzt vor einem Computerbildschirm
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„Höhepunkt erreicht“

Schulen ersticken in Bürokratie

„Der Tag ist ausgelastet mit Verwaltungsarbeit“, berichten Schulleiterinnen gegenüber ORF.at: Anstatt pädagogisch zu arbeiten, seien sie damit beschäftigt, Daten in Excel-Tabellen zu füllen. Dass Schulen in Bürokratie versinken, ist nicht neu. Mit der Pandemie nahm die Belastung aber noch einmal deutlich zu. Schulen wurden zu Teststraßen, das Personal dafür fehlt – besonders an den Pflichtschulen, die ohne Sekretariat auskommen müssen.

Vierzehn Stunden verbringt die Direktorin einer Wiener Volksschule seit Anfang September täglich in der Schule: „Es fühlt sich an, als wäre ich zu Schulbeginn unter Wasser getaucht, und versuche seither, wieder an die Oberfläche zu gelangen.“ Der administrative Aufwand in der Schule sei schon vor der Pandemie stetig angestiegen und habe nun einen Höhepunkt erreicht: Zu ihrer ohnehin schon umfangreichen To-do-Liste, die vom Beantworten unzähliger E-Mails bis zur Klärung des Wasserschadens im Keller mit der Versicherung reicht, ist das Coronavirus-Management dazugekommen.

Jeden Tag seien etwa zahlreiche Excel-Tabellen mit Daten zu befüllen. Die Durchführung sei zeitaufwendig, die Sinnhaftigkeit von täglichen Erhebungen „fraglich“, so die Schulleiterin, die aus beruflichen Gründen anonym bleiben möchte. An den Testtagen, an denen ohnehin viel Unterrichtszeit verloren gehe, müssen alle Klassen Meldungen abgeben, die sie dann addiere: „Wie viele Kinder sind da, wie viele haben den Test mitgemacht, wie viele haben ihn verweigert, wie viele sind positiv, wie viele Klassen mit positiven Tests gibt es, und so weiter.“ Für pädagogische Arbeit bleibt für die Schulleiterin im Moment gar keine Zeit.

„Wir müssen immer erreichbar sein“

„Pädagogische Arbeit wird untergeordnet“, stimmt die Schulleiterin einer Mittelschule in Oberösterreich zu. Auch sie möchte ihren Namen nicht in den Medien lesen. Schon vor der Pandemie mussten in den ersten Wochen des Schuljahres „sehr viele Statistiken, sehr viele Daten fertiggemacht und abgeliefert“ werden. In diesem Jahr sei nun jeder einzelne Tag ausgelastet mit Verwaltungsarbeit. Und diese sei nicht planbar: „Ich kann mir vornehmen, am Nachmittag pädagogisch zu arbeiten, wenn aber zu Mittag ein Anruf kommt, dass Informationen für das Contact-Tracing benötigt werden, hat das Vorrang.“

Eine Frau hilft in einer Schule einer Volksschülerin beim Coronatest
APA/Hans Punz
Neben pädagogischer Arbeit sind Lehrende seit über einem Jahr auch für die Durchführung von CoV-Tests zuständig

Mittlerweile habe es an der Schule viele positive Fälle gegeben, und da brauche es „zu jeder Tages- und Nachtzeit Contact-Tracing – auch wenn das nur zur Folge hat, dass die Kinder als K2 eingestuft werden“. Bei jedem positiven Testergebnis trage sie sämtliche Daten der Schülerinnen und Schüler, Sitzpläne, Kontakte der Eltern, eine Liste mit den Namen der Lehrenden, die an dem Tag unterrichtet haben und noch einiges mehr zusammen. „Das läuft im Prinzip seit März 2020, sieben Tage die Woche und nicht ganz 24 Stunden am Tag so. Wir müssen immer erreichbar sein.“

Viele Telefonate für einen weißen Sack

An der Notwendigkeit der Tests und der damit verbundenen Maßnahmen zweifeln die Schulleiterinnen keineswegs, nur: Das administrative Unterstützungspersonal dafür fehle. Trotz mehrmaliger Ankündigungen in den letzten Jahren haben die allermeisten Volks- und Mittelschulen immer noch keine Sekretariate. Während Bundesschulen wie AHS und BMHS zumindest stundenweise administrative Unterstützung bekommen, bleibt an den Pflichtschulen von der Organisation für mehrere hundert Schülerinnen und Schüler und Dutzende Lehrende bis zur Gebäudeverwaltung alles an einer Person hängen: der Schulleiterin.

Der administrative Aufwand sei seit der Pandemie „sicher um 50 Prozent“ gestiegen, so die Direktorin der oberösterreichischen Mittelschule. „Es sind unglaublich viele Daten, die genau dokumentiert und hin- und hergeschickt werden müssen.“ An den Testtagen müsse bis halb neun alles fertig sein, denn die Tests werden zwischen halb neun und drei abgeholt. Am nächsten Tag um sechs Uhr früh erhält die Schulleiterin die Ergebnisse der PCR-Tests. „Bei positiven Fällen versuche ich, die Eltern sofort zu erreichen, damit sie die Kinder nicht in die Schule schicken.“

Neben Organisation und Durchführung der Tests gebe es oft auch ganz banale Dinge, die viel Zeit rauben: „Die PCR-Tests werden in große, weiße Transportsäcke verpackt. Wenn der Fahrer sie abholt, lässt er leere Säcke da. Manchmal vergisst er aber oder lässt zu wenige da. Und so einen weißen Sack aufzutreiben kostet dann sehr viele Telefonate.“

Einigung von Gewerkschaft und Ministerium

Noch nie sei ein Schulbeginn so fordernd gewesen wie dieser, sagte auch Paul Kimberger, Vorsitzender der Bundesleitung der Gewerkschaft Pflichtschullehrerinnen und Pflichtschullehrer, kurz vor den Herbstferien. Die Lehrergewerkschaft kritisiert seit Jahren eine Überlastung der Schulleitungen mit Verwaltung, die Zusatzaufgaben durch das Coronavirus-Management hätten die Situation auf die Spitze getrieben. Und auch weitere Eltern- und Lehrervertreter machten in den vergangenen Wochen darauf aufmerksam, dass durch die Verwaltungsarbeit rund um die Pandemie die pädagogische und inhaltliche Arbeit auf der Strecke bliebe.

Bildungsministerium und Gewerkschaft einigten sich nun auf eine Entlastung der Schulen. Die Bekämpfung der Pandemie habe den Schulen viel Bürokratie und Verwaltungsarbeit zugemutet, in dieser Situation brauche es nicht noch zusätzliche bürokratische Anforderungen, wurde ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann in einer Stellungnahme zitiert. Für Kimberger ist die Gewerkschaft damit ihrem Ziel nach spürbarer Entlastung „einen wesentlichen Schritt nähergekommen“.

E-Mails nur noch am Montag

Konkret wird laut Bildungsressort etwa das für Jänner 2022 vorgesehene neue Qualitätsmanagementsystem um ein Jahr verschoben. Damit sollen im laufenden Schuljahr weniger Lehrerkonferenzen und Dienstbesprechungen mit den Bildungsdirektionen anfallen. Außerdem werden Zusatzerhebungen reduziert. So wird etwa die statistische Erhebung zu Deutschförderklassen und -kursen ersatzlos gestrichen und erst mit der Schulstatistik Anfang 2022 durchgeführt.

Schulklasse
ORF.at/Zita Klimek
Die Pandemie bestimmt noch immer den Schulalltag

Rundschreiben und Erlässe sollen bis auf Weiteres nur noch montags an die Schulen geschickt werden, damit Bildungsdirektionen, Ministerium und Regionalleitungen sich besser abstimmen und Mehrfachinformationen zum selben Thema verhindert werden.

Projekt mit Langzeitarbeitslosen verlängert

Außerdem verwies das Ministerium auf eine Beschäftigungsinitiative, um die Schulleitungen für ihre pädagogischen Aufgaben freizuspielen. Schon im Sommer des Vorjahres hatte die Regierung angekündigt, bis 2022 über ein Projekt für Langzeitarbeitslose und Wiedereinsteiger insgesamt tausend Sekretariatskräfte an Pflichtschulen zu bringen.

Im vorigen Schuljahr wurden davon 400 Stellen abgerufen, 600 stehen nun für die zweite Tranche zur Verfügung. Die Laufzeit des Projekts soll nun um ein Jahr bis Sommer 2023 verlängert werden. Kimberger appellierte in diesem Zusammenhang an die Länder und Gemeinden. Er habe den Eindruck, dass diese als Dienstgeber, die bei dem Projekt ein Drittel der Kosten übernehmen müssen, unverständlicherweise auf der Bremse stünden. „Diese Bremse muss sofort gelöst werden“, so der oberste Lehrervertreter.

„Ressourcen, Ressourcen, Ressourcen“

Dass die Kommunikation kanalisiert wird, sei vernünftig, so die Direktorin der Mittelschule in Oberösterreich. Denn im Moment gehe es „drunter und drüber“. Dieselbe Information käme in drei Mails zu unterschiedlichen Zeitpunkten: einmal vom Ministerium, einmal von der Bildungsdirektion und einmal vom eigenen Schulqualitätsmanager. Die Beschäftigungsinitiative sieht sie aber skeptisch: „Alleine in Oberösterreich gibt es über 800 Pflichtschulen.“ Es brauche nicht nur mehr, sondern auch langfristige administrative Unterstützung, nicht nur für die Dauer eines Projekts. „Pflichtschulleitungen klagen das schon lange an, das hat mit Covid nichts zu tun. Es ist einfach ein Unverhältnis zwischen AHS und Pflichtschulen.“

Das Wichtigste sei aber, dass Ressourcen „nicht wieder gekürzt oder gestrichen werden“. Denn die Fördermaßnahmen, die es jetzt gebe, seien notwendig. „Kindern mit Förderbedarf ist das Distance-Learning ohnehin schon schwerer gefallen. Es braucht einfach Ressourcen, Ressourcen, Ressourcen.“ Ein Problem sei, dass Politikerinnen und Politiker den Schulalltag nicht kennen, zum Beispiel wie viel Zeit es brauche, wenn Kinder Sorgen haben oder belastet sind. „Diese Zeit haben wir derzeit überhaupt nicht. Und da stellt sich die Frage, ob man Ziele und Pläne erfüllen muss, nur weil es in Programmen steht.“ Zumindest teilweise gebe es in diesem Punkt aber schon Schritte in die richtige Richtung, so die Schulleiterin, und hebt die vom Bildungsministerium angekündigte Verschiebung des neuen Qualitätsmanagementsystems positiv hervor.

„Noch nie so ferienreif“

Ihre bisherige Meinung, dass Herbstferien nicht notwendig seien, habe sie nach den letzten Wochen jedenfalls geändert: „In meinen zehn Jahren als Schulleiterin war ich nie so ferienreif wie nach diesem September und Oktober.“ Dennoch sieht sie nicht nur Negatives: Die Situation habe alle gezwungen, einen „Quantensprung in der Entwicklung“ zu machen, etwa in der Digitalisierung. „In unserer Schule gibt es außerdem wirklichen Zusammenhalt. Wir haben das Gefühl, dass wir das gemeinsam schaffen.“ Und auch von den Eltern komme sehr viel Verständnis. „Wenn man gut im Austausch mit den Eltern ist und sie gut informiert, kann man gemeinsam viel erreichen.“

Auch die Wiener Volksschuldirektorin versucht die Situation positiv zu sehen: Sie sei dankbar, ein Kollegium zu haben, das „unglaublich lösungsorientiert“ arbeitet und sich als Team versteht. „Dennoch bin ich erschöpft, weil ich den Aufgaben gerecht werden will und diese in der Fülle sehr zeitintensiv sind.“ Normalerweise freue sie sich über neue Herausforderungen – im Moment laute die größte Herausforderung allerdings „Abarbeiten“.