Erntefahrzeug aus der Vogelperspektive
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Klimaschutz und Wirtschaft

Auch kurzfristig hoher „Gesamtnutzen“

Klimaschutz kostet jetzt und bringt erst viel später einen Nutzen – oft gilt das als Argument, warum Maßnahmen so schwer in Angriff zu nehmen sind. Eine Studie entkräftet diese Ansicht. Laut dieser wurde „der in Geld übersetzte Gesamtnutzen“ bisher schlichtweg unterschätzt.

Klimaschutzmaßnahmen können vielmehr schon in den kommenden Jahren einen Nutzen für die Volkswirtschaft haben – durch eine Verringerung der Luftverschmutzung, wie eine von Drew Shindell, Professor für Klimawissenschaften an der Duke University in Durham (US-Bundesstaat North Carolina), angeführte Forschungsgruppe im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ („PNAS“) nahelegt.

Durch Maßnahmen, die zur Einhaltung des Zweigradziels führen, könnten allein die Vereinigten Staaten 163 Billionen US-Dollar (rund 141 Billionen Euro) bis zum Jahr 2050 einsparen, unter anderem durch gesündere Menschen und höhere Ernteerträge.

IPCC-Bericht als Grundlage

„Studien haben gezeigt, dass die langfristigen Schäden durch den ungebremsten Klimawandel die weltweiten Klimaschutzkosten übersteigen, aber dass die Kosten den kurzfristigen Nutzen für das Klima bei Weitem übersteigen, was sofortige Maßnahmen untergräbt.“ Wenn für den Klimaschutz Verbrennungsmotoren durch Elektromotoren ersetzt werden und zur Energiegewinnung zunehmend weniger fossile Brennstoffe verwendet werden, dann gibt es auch weniger Abgase und die Luft wird sauberer. Shindell und Kollegen plädieren dafür, diese Vorteile unbedingt in die Kosten-Nutzen-Bilanz einzukalkulieren.

Für ihre Berechnungen nutzten die Wissenschaftler die neuesten Szenarien aus dem sechsten Sachstandsbericht des IPCC (Weltklimarat), dessen erster Teil am 9. August 2021 veröffentlicht wurde: die gemeinsam genutzten sozioökonomischen Pfade (Shared Socioeconomic Pathways, SSP). Sie zeigen verschiedene soziale und wirtschaftliche Entwicklungswege bis zum Jahr 2100 auf und werden im Coupled Model Intercomparison Project Phase 6 (CMIP6) genutzt, für das die wichtigsten Klimamodelle weltweit ausgewertet wurden. Auf dieser Basis berechneten die Forscher die Veränderungen bis 2070 für die USA und deren einzelnen US-Bundesstaaten.

Millionen vorzeitige Todesfälle verhindert

Auf nationaler Ebene vergleicht das Team um Shindell das Szenario mit dem zweitehrgeizigsten Ziel (die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen) mit dem zweiungünstigsten Szenario (Erwärmung um 3,6 Grad bis 2100). Obwohl nicht die Entwicklungswege, die am weitesten auseinanderliegen, miteinander in Beziehung gesetzt wurden, sind die Unterschiede enorm: Durch die Maßnahmen für das Zweigradziel würden in den USA 4,5 Millionen vorzeitige Todesfälle verhindert, außerdem 1,4 Millionen Krankenhausaufenthalte, 300 Millionen Tage Arbeitsausfall, 1,7 Millionen Fälle von Demenz und der Verlust von 440 Millionen Tonnen Feldfrüchten.

„Der in Geld übersetzte Gesamtnutzen in diesem Jahrhundert wird von der Gesundheit dominiert und ist aufgrund des besseren Verständnisses der Auswirkungen von Hitze und Luftverschmutzung auf die menschliche Gesundheit viel größer als in früheren Analysen“, betonen die Forscher. Bereits bis 2030 könnte der volkswirtschaftliche Gewinn der sauberen Luft das Fünf- bis 25-Fache der Klimaschutzkosten betragen. Die vermiedenen Schäden durch Hitze übersteigen den Berechnungen zufolge zwischen 2040 und 2055 die Kosten für den Klimaschutz. Schäden durch einen höheren Meeresspiegel, durch Starkwetterereignisse, Dürren und Waldbrände sind da noch gar nicht eingerechnet.

Dringlichkeit mit Chancen untermauern

Für Sebastian Helgenberger vom Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam ist es sehr wichtig, dass solche wirtschaftlichen Berechnungen durchgeführt werden: „Sie machen deutlich, dass sich Klimaschutzmaßnahmen auch kurzfristig lohnen.“ Indem die Dringlichkeit zu handeln durch Chancen untermauert würde, könnten mehr Menschen zum aktiven Klimaschutz motiviert werden.

Helgenberger verweist auf ähnliche Studien des deutschen Umweltbundesamtes (UBA). Schon 2014 ermittelte eine UBA-Studie, dass allein durch einen ambitionierten ⁠Klimaschutz⁠ das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Deutschlands im Jahr 2030 um rund 30 Milliarden Euro höher liegen könnte.

Auch Karsten Haustein vom Helmholtz-Zentrum Hereon in Geesthacht findet laut dpa die Studie sehr gut und sehr bedeutsam. Er sieht als ihren Hauptaspekt an, dass die hohen Anfangskosten der Klimaschutzmaßnahmen mehr als kompensiert werden, wenn die vermiedenen Gesundheitskosten infolge der verringerten Luftverschmutzung eingerechnet werden. „Dadurch fällt das immer wieder vorgebrachte Argument einer unzumutbaren Kostenbelastung in sich zusammen“, so Haustein. Nach seinen Kenntnissen dürfte das für Europa nicht anders aussehen als für die USA.