Karte zum Risikoniveau der Regionen (ECDC)
Grafik: ORF.at; Quelle: ECDC
Westen grün, Osten rot

Europas Trennlinie bei der CoV-Lage

Die CoV-Situation hat sich hierzulande in den vergangenen Tagen zugespitzt, mit Fallzahlen wie zuletzt im Herbst 2020. Durch Europa lässt sich derzeit eine Trennlinie ziehen – denn nicht in allen Ländern ist die Lage dermaßen angespannt. In Spanien etwa ist nicht nur die Inzidenz niedrig, auch in den Spitälern sind CoV-Infizierte kaum Thema. Anders sieht es dagegen im Osten aus: In Rumänien kommt man mit der Notlage kaum zurecht.

Ein Blick auf die aktuelle Überblickskarte der EU-Seuchenbehörde ECDC zeigt beim Infektionsgeschehen derzeit ein zweigeteiltes Europa: Auf der einen Seite dominieren Gelb und Grün, also 14-Tage-Inzidenzen unter 75 bzw. 200 pro 100.000 Einwohner. Die andere Seite ist großteils rot und sogar dunkelrot, mit Inzidenzwerten zwischen 200 und 500 und über 500.

Diese Trennlinie verläuft auch entlang der österreichischen Grenze: In Norditalien ist das Infektionsgeschehen verhältnismäßig entspannt. Bei allen Unterschieden bei der Zahlenlage, die verschiedene Testregimes und andere Faktoren mit sich bringen: Besonders Spanien und Portugal stechen auf der Landkarte hervor – nämlich nicht nur bei der Inzidenz. Vor allem bei der Impfrate ist die iberische Halbinsel auch ganz vorne dabei in Europa.

Impffortschritt (Anteil der Gesamtbevölkerung mit ausreichendem Impfschutz, Stand 3.11.) und 14-Tage-Inzidenz (Stand 24.10.)

Situation seit dem Sommer komplett gedreht

Dabei war die Situation noch im August praktisch umgekehrt: In Westeuropa schoss die Inzidenz in die Höhe, während der Rest der EU, auch Österreich, großteils verschont blieb. Nur zwei Monate später verlagerte sich das Geschehen aber nach Osten, während sich die Lage im Westen beruhigte. Diese „Wellenbewegung“ sei an sich „nicht ungewöhnlich“, so Komplexitätsforscher Peter Klimek gegenüber ORF.at.

Die sprachliche und kulturelle Nähe zu Ländern Südamerikas habe das begünstigt, so Klimek: Die Bewegungen zwischen den Kontinenten machten die iberische Halbinsel zu einem idealen Ausgangspunkt für das Infektionsgeschehen, dass auf der Südhalbkugel während unseres Sommers gerade Winter ist, ist ein weiterer Faktor. Das würde man nicht nur am Coronavirus beobachten, so Klimek.

Maßnahmen griffen noch vor Impfung

Doch die Länder West- und auch Südeuropas seien damals rechtzeitig „abgebogen“, so Klimek. Die Impfung habe dabei zuerst noch keine so große Rolle gespielt: Die Höhepunkte bei den dortigen Infektionen gab es bei „deutlich niedrigerer Impfrate“. Der rasante Anstieg, der wohl vor allem durch die Delta-Variante verursacht wurde, wurde aber durch teils strenge Maßnahmen abgefangen.

Klimek nennt hier etwa Schulschließungen, Bewegungseinschränkungen und Ausgangssperren. Vor allem auch Einschränkungen bei der Nachtgastronomie hatten nicht nur das Ziel, die Infektionen zu bremsen – sondern auch die für diese Länder so wichtige Sommertourismussaison zu retten.

Hohe Impfrate, wenige belegte Intensivbetten

Mit zunehmender Verfügbarkeit des Impfstoffs haben die Länder dann aber auch bei der Impfung rasant aufgeholt: Lag etwa Spanien laut ECDC-Daten im Juli nur relativ knapp über dem EU-Durchschnitt bei den Impfungen, war man Mitte September schon zehn Prozentpunkte über dem Schnitt. Portugal ist momentan überhaupt an der europäischen Spitze, was die Impfung anbelangt, auch Spanien ist bei der Impfrate recht weit vorne.

Das spiegelt sich auch in der Belegung der Krankenhäuser in dem 47-Millionen-Einwohner-Land wider: Das spanische Gesundheitsministerium meldete am Dienstag rund 405 Menschen auf Intensivstationen, was einer Belegung von rund vier Prozent der Intensivbetten mit Covid-19-Patientinnen und -Patienten entspricht. In Portugal, mit über zehn Mio. Einwohnern, liegen laut der dortigen Gesundheitsbehörde 59 Menschen auf den Intensivstationen – nur gut ein Sechstel der Belegung in Österreich.

Kaum bewältigbare Notlage in Rumänien

Ein ganz anderes Bild zeigt sich unterdessen im Osten Europas: Schlagzeilen machte zuletzt vor allem Rumänien. Dort ist die Situation auf den Intensivstationen komplett außer Kontrolle – die Inzidenzwerte zählen zu den höchsten Europas. Letzte Woche schickte die EU medizinisches Personal und Ausrüstung in das Land, Patientinnen und Patienten wurden ins Ausland gebracht, um dort behandelt zu werden.

In Rumänien ist nur rund ein Drittel der Bevölkerung geimpft – noch weniger Menschen sind nur in Bulgarien geimpft, wo laut ECDC überhaupt nur knapp 22 Prozent als grundimmunisiert gelten. Immerhin: In beiden Ländern gingen die Fallzahlen in den letzten Tagen leicht zurück, die Situation auf den Intensivstationen entspannt sich dadurch aber vorerst nicht.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnte am Donnerstag vor einem starken Anstieg der Zahlen in ganz Europa. „Das derzeitige Tempo der Übertragung in den 53 Ländern der Europäischen Region ist äußerst besorgniserregend“, sagte WHO-Europachef Hans Kluge am Donnerstag. Er fügte hinzu, dass sich die Zahlen der neuen Fälle einem Rekordniveau näherten.

Litauen und Österreich mit Gemeinsamkeiten

Klimek verweist im Gespräch unterdessen auch auf das Baltikum – Lettland ist bei der Inzidenz überhaupt an Europas Spitze. Doch der Forscher erwähnt insbesondere Litauen: Das Land weist nämlich eine ähnliche Impfrate wie Österreich auf – die 14-Tage-Inzidenz liegt laut Regierung jedoch bei fast 1.400, also deutlich höher als in Österreich.

Zwar ist unklar, ob sich die Situation in Österreich ähnlich entwickeln könnte – für Klimek ist aber zumindest die Ausreizung des Stufenplans durchaus ein Szenario. „Dass es Potenzial gibt, wenn wir nichts ändern, das steht außer Frage“, so der Forscher. 400 belegte Intensivbetten hierzulande seien „nur noch eine Frage von Tagen“.

An der Grenze zwischen Ost- und West, grün und rot auf der ECDC-Karte, stellt sich die Frage, was Österreich aus dem Verhalten anderer Staaten mitnehmen könnte. „Holzhammer-Methoden“, wie sie in West- und Südeuropa im Sommer zur Eindämmung genutzt wurden, brauche es jedenfalls nicht mehr, so Klimek. Er verweist auf Wien: Lag die Hauptstadt Mitte September bei den Infektionszahlen noch ganz vorne, ist Wien nun das Bundesland mit der niedrigsten Inzidenz – ohne „besonders strenge“ Maßnahmen gesetzt zu haben. Hier würden schon kleine Änderungen einen spürbaren Unterschied machen, so der Komplexitätsforscher.