Sarajewo im Nebel
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Abspaltungsrhetorik und Kriegsgefahr

Bosnien wird wieder zum Sorgenkind

Die Situation in Bosnien wird immer weniger vorhersehbar. Der serbische Nationalist Milorad Dodik machte in letzter Zeit vermehrt politischen Druck für eine Abspaltung der bosnisch-serbischen Republika Srpska. Er will auch eine eigene Armee schaffen. International beobachtet man die Entwicklung mit großer Sorge, teils ist bereits von einer neuen Kriegsgefahr die Rede.

Der Krieg liegt zwar 25 Jahre zurück, doch angesichts der Abspaltungsbestrebungen warnte der Spitzenvertreter der internationalen Gemeinschaft in der Hauptstadt Sarajevo, der CSU-Politiker Christian Schmidt, vor einer gefährlichen Eskalation. „Bosnien-Herzegowina sieht sich mit seiner schwersten existenziellen Bedrohung der Nachkriegsperiode konfrontiert“, schrieb der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina, Diplomat und frühere deutsche Landwirtschaftsminister in seinem jüngsten Bericht an den Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen (UNO).

Für die Zuspitzung macht der Bericht, der der Nachrichtenagentur dpa vorlag, eben Dodik verantwortlich. Der Nationalist ist derzeit serbisches Mitglied im dreiköpfigen Staatspräsidium. Dodik bereite die Schaffung einer eigenen Armee der Republika Srpska vor und werde damit die Armee des Gesamtstaates faktisch auflösen, heißt es in dem Bericht.

Diplomat Christian Schmidt
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Russland erkennt den Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina, Christian Schmidt, nicht an

Warnung vor Unterlaufen des Friedensvertrages

Darüber hinaus blockiere der bosnisch-serbische Politiker jetzt schon durch seinen Boykott gesamtstaatliche Institutionen wie die Präsidentschaft und das Parlament. Sollte die internationale Gemeinschaft diese Politik weiter hinnehmen, werde sich die Serbenrepublik „aus der verfassungsmäßigen Ordnung Bosniens entfernen“ und den Friedensvertrag von Dayton unterlaufen, schrieb Schmidt in dem Bericht.

Das Abkommen von Dayton beendete 1995 den dreijährigen blutigen Krieg in Bosnien, den die damalige Führung in Serbien vom Zaun gebrochen hatte. Unter anderem sah es die Schaffung zweier halbautonomer Landesteile, der bosnisch-kroatischen Föderation und der Republika Srpska, vor. Außerdem schuf es das Amt des Hohen Repräsentanten, der über die Einhaltung des Friedensvertrages wachen soll. Schmidt bekleidet das Amt seit Anfang August.

Milorad Dodik
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Der serbische Nationalist Milorad Dodik will die Republika Srpska abspalten

Moskau gegen Hohen Repräsentanten

Den – turnusgemäß halbjährlichen – Bericht hätte Schmidt am Mittwoch eigentlich im UNO-Sicherheitsrat vortragen sollen. Die Anhörung wurde jedoch auf Betreiben Russlands abgesagt. Moskau unterstützt – zusammen mit Serbien – Dodik und seine Politik. Der Kreml akzeptiert den Hohen Repräsentanten nicht. Bosnien-Herzegowina droht eine Verschärfung der geopolitischen Auseinandersetzung und der ethnischen Spannungen. Unter politischen Beobachtern in Sarajevo wird daher bereits von einer neuen Kriegsgefahr gewarnt.

Moskau hatte zusammen mit China bereits vor einigen Monaten vergeblich versucht, das Amt des Hohen Repräsentanten abzuschaffen, das Schmidt am 1. August angetreten hatte. Westliche Diplomaten in New York betonten dabei, dass der Sicherheitsrat gar nicht die Autorität besitze, um über die Fortführung der Stelle zu entscheiden. Die Position ging aus dem Friedensabkommen von Dayton mit mehr als 50 Staaten von 1995 hervor.

Zugeständnisse an Moskau

Die Europäische Union darf unterdessen mit ihrer Militärmission EUFOR Althea in Bosnien-Herzegowina präsent bleiben. Der UNO-Sicherheitsrat verlängerte das Mandat für die maßgeblich vom österreichischen Bundesheer getragene Sicherheitsmission am Mittwochnachmittag (Ortszeit) um ein weiteres Jahr.

Möglich wurde das durch Zugeständnisse an die UNO-Vetomacht Russland, die sich gegen eine Erwähnung des Amtes des Bosnien-Beauftragten in der Ratsresolution gestemmt hatte. Moskau verhinderte vor der Missionsverlängerung auch, dass sich der Bosnien-Beauftragte selbst an das mächtigste UNO-Gremium richten konnte.

Kompliziertes Staatsgebilde

Seit dem Ende des Bosnien-Krieges (1992 bis 1995) ist Bosnien in zwei halbautonome Teilrepubliken aufgeteilt, eine serbische und eine kroatisch-bosnische. Jeder Teil hat seine eigene Regierung und sein Parlament. Zugleich gibt es eine gemeinsame serbisch-kroatisch-bosnische Zentralregierung.

Zahlreiche Entscheidungen können nur mit Zustimmung der drei Hauptvolksgruppen gefällt werden. Das komplizierte Staatsgebilde lähmt das Land. Zudem machen sich die Spannungen zwischen den drei Volksgruppen, den (muslimischen) Bosniaken, den (katholischen) Kroaten und den (orthodoxen) Serben, auch im politischen Alltag immer wieder bemerkbar.

Zur Friedenssicherung ist in Bosnien-Herzegowina die EUFOR-Schutztruppe stationiert. Das EU-Mandat und die UNO-Sicherheitsratsresolution für die EUFOR müssen allerdings jährlich verlängert werden. Das Bundesheer ist seit 1996 Mitglied der internationalen Friedenstruppe in Bosnien-Herzegowina.

Dodik verschärfte Ton

Dodik steht seit Jahren an der Spitze der Republika Srpska. Immer wieder drohte er mit einer Abspaltung des serbischen Gebiets. Doch in den vergangenen Monaten scheint sich der Ton des früheren Sozialdemokraten, der sich im Lauf der Jahre zum Ultranationalisten wandelte, verschärft zu haben. Bosnien sei ein „gescheitertes Land“, ein „Experiment des Westens“, das „nicht funktioniert“, so Dodik.

Im September verkündete Dodik gar Pläne zur Bildung einer eigenen Armee. Die gemeinsamen staatlichen Institutionen, insbesondere Justiz, Polizei und Geheimdienste, will er verlassen. Auch das zentrale Steuersystem lehnt er ab. „Wir werden all das infrage stellen“, sagt er. „Es gibt keine Autorität auf dieser Welt, die uns aufhalten kann.“

Österreich für einheitliches und souveränes Bosnien

Österreichs neuer Außenminister Michael Linhart (ÖVP) hatte Mitte Oktober bei einem Besuch in Sarajevo mehr Engagement der EU für die Erweiterung auf dem Westbalkan gefordert und als „Herzensanliegen“ bezeichnet. Linhart hielt dabei aber auch fest, dass dafür auch „alle Kräfte in Bosnien-Herzegowina konstruktiv zusammenarbeiten“ müssten, „um die notwendigen Schritte in Richtung EU zu machen“.

Er habe auch bei seinem Gespräch mit dem ethnisch besetzten dreiköpfigen Staatspräsidium festgehalten, dass Österreich für „ein einheitliches und souveränes Bosnien-Herzegowina“ eintrete, weil das auch ein Beitrag zur Stabilität sei. „Wir haben keine Zeit zu verlieren“, so auch seine Amtskollegin Bisera Turkovic. „Blockaden“ seien für alle Bürger schlecht, „egal, wo sie in Bosnien-Herzegowina zu Hause sind.“ Die beiden spielten damit offensichtlich darauf an, dass Dodik den Gesamtstaat laufend infrage stellt.