Der nicaraguanische Präsident Daniel Ortega
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Nicaragua „wählt“

Vom Revolutionär zum tattrigen Despoten

Am Sonntag wird in Nicaragua ein neues Parlament und der Präsident gewählt. Das Ergebnis steht aber im Wesentlichen schon fest: Präsident Daniel Ortega steht vor seiner vierten Amtszeit in Folge. Er und seine Frau Rosario Murillo haben das Land fest im Griff: Die 2018 begonnene Protestwelle wurde mit harter Hand niedergeschlagen. Der ehemalige Revolutionär ließ zuletzt nicht nur Oppositionelle, sondern auch ehemalige Weggefährten wegsperren. Dabei ist unklar, wie amtsfit Ortega noch ist.

Rund 15 Jahre ist Ortega ununterbrochen an der Macht. Von 1979 bis 1990 stand er ebenfalls schon an der Spitze des Landes: Nach der sandinistischen Revolution zunächst als Kopf einer Regierungsjunta und dann als Präsident. 1990 wurde er abgewählt. Und als er 2006 wieder zum Präsidenten gewählt wurde, stellte er sicher, dass ihm dieses Schicksal nicht so leicht ein zweites Mal ereilt.

Schon die Wahlen 2016 wurden von Beobachtern als Farce beschrieben: Der Chef einer Oppositionspartei wurde kurzerhand vom obersten Wahlgremium abgesetzt und durch einen Verbündeten Ortegas ersetzt. Von den linken Idealen der Revolutionstage haben sich Ortega und seine Frente Sandinista de Liberacion Nacional (FSLN) schon lange verabschiedet, sind sich Politikwissenschaftler einig: Er habe einen neoliberalen Regierungskurs eingeschlagen. Und Ortega und seine Frau haben mittlerweile ein eigenes Medienimperium aufgebaut – mit ihren Kindern an den Schalthebeln der Macht.

Eine Frau mit Schutzmaske geht in Managua (Nicaragua) an einem Plakat des nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega und seiner Frau Vizepräsidentin Rosario Murillo vorbei
Reuters/Oswaldo Rivas
Ortega und Murillo

Aufschwung – trotz nicht wegen Ortega

In die Hände gespielt hat Ortega die Wirtschaftsentwicklung seiner Präsidentenzeit: Die Wirtschaft wuchs konstant, das Pro-Kopf-Einkommen stieg von 2007 bis 2017 laut Weltbank um mehr als 60 Prozent und die Armutsrate halbierte sich auf 25 Prozent. Die Entwicklung habe aber recht wenig mit der Politik Ortegas zu tun, meinen Wirtschaftsexperten. Sie seien eher auf die Strukturreformen vor seiner Amtszeit zurückzuführen, auf ein Entschuldungsprogramm des Internationalen Währungsfonds (IWF) und auf eine Steigerung des Anteils der arbeitenden Bevölkerung im Land.

Proteste blutig niedergeschlagen

Als Ortega dann im Frühjahr 2018 ein Belastungspaket auf den Weg bringen wollte, kippte die Stimmung vollends: Die umstrittene Reform sah vor, dass die Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern für die Pensionsversicherung um bis zu 22,5 Prozent steigen, zugleich aber die Pensionen um fünf Prozent gekürzt werden. Die Reform wurde schnell zurückgenommen, die Proteste blieben – auch als die Regierung nach den Sicherheitskräften auch Schlägertrupps auf die Demonstranten hetzte.

Tausende demonstrieren 2018 in Nicaragua
AP/Esteban Felix
Massenproteste gegen Ortega und Murillo im Jahr 2018

Bis 2020 blieb die Lage explosiv. Ortega und Murillo machten auch die katholische Kirche für die Aufstände, den „Putschversuch“, wie sie meinen, verantwortlich, Bischöfe nannten sie „Terroristen“. Mehr als 350 Menschen starben insgesamt, Tausende Regimekritiker wurden verhaftet, Zehntausende verließen das Land.

Murillo als starke Frau im Staat

Unklar ist, wer mittlerweile das Zepter in der Hand hat: Mittlerweile kursieren Spekulationen, Ortega sei mit seinen 76 Jahren schon längst dement und unfähig zu regieren: Bei seinen seltenen Auftritten erscheint er oft verwirrt und tattrig, zuletzt wurden mehrere Termine abgesagt, berichtete unter anderem „The New York Review“. Zudem soll er ebenfalls seit Jahren an der Autoimmunerkrankung Lupus leiden. Das sei auch der Grund gewesen, wieso er bei der Wahl 2016 seine Ehefrau, ehemals Dichterin, ins Boot geholt hat.

Nicaraguas Vizepräsidentin Rosaria Murillo
APA/AFP/Inti Ocon
Murillo bei einem Auftritt 2018

Seit Jahren schon führte Ortegas Ehefrau im Hintergrund die Regierungsgeschäfte, leitete die Kabinettssitzungen und vertrat die Politik ihres Ehemanns auch nach außen. Murillo stampfte ein Programm aus dem Boden, dass als Nachbarschaftsinitiative getarnt de facto ein Bespitzelungsprogramm sei, so Kritiker. Und auch bei der Jugendorganisation der Sandinisten zieht sie die Fäden – und dabei habe sie, so Berichte, Teile davon in Milizen umgewandelt.

Repressive Gesetze im Vorfeld der Wahl

Im Herbst des Vorjahrs wurden die Repressalien mit Hinblick auf die Wahl heuer verschärft: Im Oktober verabschiedete das Parlament ein viel kritisiertes Gesetz über die „Regulierung ausländischer Agenten“. Laut diesem müssen sich, ähnlich wie bei einem fast identen Gesetz in Russland, künftig Personen und Organisationen, die Geld aus dem Ausland erhalten und in Nicaragua tätig sind, als ausländische Agenten registrieren. Damit soll nach Angaben der FSLN ausländische Einmischung in Nicaragua bekämpft werden.

Im Dezember wurde ein Gesetz beschlossen, das den Ausschluss von Oppositionskandidaten von den Wahlen im kommenden Jahr ermöglicht. Die Regelung sieht vor, dass all jene, die einen Staatsstreich oder „terroristische“ Akte planen, nicht kandidieren dürfen. Auch soll all jenen, die zu ausländischer Einmischung in die nicaraguanische Politik und Sanktionen gegen das Land aufrufen, die Kandidatur verboten werden.

Verhaftungswelle im Juni

Und mit genau diesem Gesetz startete das Regime heuer im Juni eine beispiellose Verhaftungswelle. Mehr als Dutzende Oppositionelle wurden festgenommen oder unter Hausarrest gesetzt, darunter sieben potenzielle Präsidentschaftskandidaten. Zu den prominentesten zählt die Oppositionspolitikerin Cristiana Chamorro, die Tochter der Ex-Präsidentin Violeta Barrios de Chamorro. Auch ihr Cousin wurde verhaftet. Ihr Bruder Carlos Fernando Chamorro, Gründer des Nachrichtenportals Confidencial, floh ins Ausland.

Musiker spielen während einer Wahlkampfveranstaltung
Reuters
Musiker spielen für die ALN – eine der wenigen zugelassenen Parteien bei der Wahl

Auch andere kritische Medien gerieten ins Visier der Regierung: Der Journalist und Regierungskritiker Miguel Mora Barberena, der den Fernsehsender 100% Noticias betreibt, wurde verhaftet. Im August musste die regierungskritische Zeitung „La Prensa“ ihre gedruckte Ausgabe einstellen: Eine dringend benötigte Papierlieferung wurde im Zoll festgehalten.

Ehemaliger Weggefährte verhaftet

Selbst vor der Verhaftung von früheren Mitstreitern macht Ortega nicht halt: Die Parteichefin der UNAMOS, Suyen Barahona Cuan, und weitere drei führende Köpfe ihrer Partei wurden ebenfalls festgenommen – darunter auch Hugo Torres. Der ehemalige sandinistische Guerillero hatte 1974 jene Kommandoaktion gegen das Regime des rechten Diktators Anastasio Somoza geleitet, mit der der damals junge Ortega aus dem Gefängnis freigepresst wurde. Lange Zeit kämpften Torres und Ortega dann Seite an Seite, ehe er sich der Sandinistischen Erneuerungsbewegung (MRS), heute UNAMOS, anschloss. Die besteht größtenteils aus Dissidenten, die sich von der FSLN Ortegas lossagten.

Hugo Torres
AP/Arnulfo Franco
Hugo Torres – vom Mitkämpfer zum Feind Ortegas

Konkurrenz chancenlos

International werden die Vorgänge in Nicaragua einhellig verurteilt: der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bezeichnete den Urnengang in dem mittelamerikanischen Land als „Fake“. Der Wahlprozess diene einzig dazu, „den Diktator“ Ortega an der Macht zu halten, sagte Borrell. Amnesty International bezeichnete die Menschenrechtslage dort als dramatisch und einen „Alptraum“. Auch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) verurteilte die Vorgänge in Resolutionen immer wieder und forderte freie Wahlen.

Doch die wird es am Sonntag nicht geben. bei der Parlamentswahl sind neben der FSLN sechs Kleinparteien zugelassen. Für die Präsidentschaft kandidieren fünf aussichtslose Mitbewerber. Sieben Kandidatinnen und Kandidaten, die eigentlich antreten wollten, sind in Arrest, einer ist im Exil, und einer zog seine Kandidatur zurück.