Tennisstar Peng Shuai
APA/AFP
Vorwurf gegen Ex-Spitzenpolitiker

„#MeToo“ erreicht Chinas höchste Kreise

In China hat „#MeToo“ sehr plötzlich die höchsten politischen Kreise erreicht. Ein Tennisstar beschuldigt einen früheren Spitzenpolitiker des sexuellen Missbrauchs. Ein Posting dazu im Twitter-Pendant Weibo sei beispiellos rasch wieder verschwunden, hieß es am Donnerstag in internationalen Medien, derart „explosive“ Anschuldigungen habe es bisher in China noch nicht gegeben.

Diese waren am Mittwoch publik geworden. Die Tennisspielerin Peng Shuai mit Siegen 2013/2014 in Wimbledon und bei den French Open, beschuldigte Zhang Gaoli, früher stellvertretender Regierungschef und Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei (KP) Chinas, sie vor Jahren zum Sex gezwungen zu haben.

Es sei das erste Mal gewesen, dass in China derartige Vorwürfe offiziell gegen eine Person der politischen Führung erhoben würden, hieß es von der BBC, im US-TV-Sender CNN war die Rede von einem politisch äußerst heiklen Skandal.

„Ich werde die Wahrheit über Sie sagen“

Laut beiden Sendern reagierte der Beschuldigte bis Donnerstag nicht. Das Posting sei aus dem Internet verschwunden, praktisch ausradiert, berichtete die BBC, die Suchmöglichkeiten nach „Peng“ eingeschränkt worden. CNN schrieb von eiliger Zensur, um den Skandal möglichst wieder aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden zu lassen. Zuvor habe er allerdings einigen Widerhall gefunden. Es kursierten Screenshots des Postings.

Der chinesische Ex-Vizepremier Zhang Gaoli
Reuters
Der frühere stellvertretende Ministerpräsident ist mit schweren Vorwürfen konfrontiert

Die BBC hatte erstmals Mittwochabend daraus zitiert. Sie wisse, schrieb die 35-Jährige laut dem britischen Sender auf Weibo, dass jemand, der ein derart hohes Ansehen genieße wie der frühere Vizepremier, sagen werde, er habe keine Angst. Und selbst, wenn es für sie Selbstzerstörung bedeute, „ich werde die Wahrheit über Sie sagen“.

Nur die „sehr reale“ Erinnerung

Nach den Worten der Doppel-Siegerin bei den French Open 2013 und in Wimbledon 2014 habe der heute 75-Jährige frühere hohe KP-Funktionär sie erstmals zum Sex gezwungen, nachdem sie zu ihm nach Hause gekommen war, um Tennis zu spielen. Sie habe nicht aufhören können zu weinen, schrieb die 35-Jährige. Später habe sie einer außerehelichen Affäre mit dem früheren Spitzenpolitiker zugestimmt.

Beweisen könne sie ihre Vorwürfe nicht, räumte Peng ein. „Ich habe keine Beweise“, zitierte die BBC. Es sei auch unmöglich gewesen, solche zu sammeln. Zhang habe ständig Angst gehabt, sie würde Dinge wie ein Aufnahmegerät mitbringen, um solche Beweise zu sammeln. Aber: Es gebe kein Tonband, keine Videoaufzeichnung, nur ihre „sehr reale“ Erfahrung bzw. Erinnerung.

„Wie ein offener Brief“

Auch CNN zitierte aus dem Posting des Tennisstars, das sich lese „wie ein offener Brief“ an Zhang, der von 2007 bis 2017 Mitglied des Politbüros der KP und zwischen 2013 und 2018 Vizeregierungschef war und als Vertrauter von Präsident Xi Jinping gegolten habe.

Auf Anfragen dazu an offizielle chinesischen Stellen habe es keine Antwort gegeben, berichtete der US-Sender am Donnerstag und fügte hinzu: Persönlichkeiten wie Zhang für eine Stellungnahme zu erreichen, sei „praktisch unmöglich“.

Blitzartig wieder verschwunden

Laut CNN reagierten die chinesischen Behörden mit einem bis dato in „#MeToo“-Fällen noch nicht dagewesenen Tempo und einer immensen Gründlichkeit auf das Posting, als dieses begonnen habe, Wellen zu schlagen. Veröffentlicht gegen 22.00 Uhr am Dienstag, sei es nicht einmal 30 Minuten lang online gewesen.

Der offizielle Account des Tennisstars mit rund einer halben Million Followern und Followerinnen sei zwar offen geblieben, allerdings seien Suchfunktionen und Diskussionsseiten, selbst eine über Tennis, blockiert worden. Nicht einmal mehr vage Hinweise auf den Fall seien zu finden gewesen.

Bisher einzigartiger Fall

„Die Behörden haben bereits früher Regierungsbeamte wegen sexuellen Fehlverhaltens angeklagt, oft in Verbindung mit Korruptionsermittlungen. Nie zuvor wurde jedoch öffentlich ein Vorwurf des sexuellen Fehlverhaltens gegen einen so hochrangigen politischen Führer wie Herrn Zhang erhoben“, hatte am Mittwoch die „New York Times“ geschrieben.

In den letzten Jahren hatte es in China mehrere prominente „#MeToo-Fälle“ gegeben. Die beliebte TV-Moderatorin Zhou Xiaoxuan („Xianzi“) beschuldigte 2018 den Moderator und Schauspieler Zhu Jun, sie vergewaltigt zu haben, und ging auch zur Polizei. Ein Verfahren wurde später fallen gelassen, laut BBC wurde das mutmaßliche Opfer beschuldigt, vom Ausland für eine Schmutzkampagne gegen China instrumentalisiert worden zu sein. Zhu habe alle Vorwürfe zurückgewiesen, Chinas Gerichte kümmerten sich nur spärlich um ähnliche Fälle.