Europäische und Bosnische Fahne auf einem vom Krieg zerstörten Gebäude
Reuters/Danilo Krstanovic
Stabilität bedroht

Dodik spielt in Bosnien mit dem Feuer

Nationalistische Töne stehen in Bosnien und Herzegowina auf der Tagesordnung. Doch die derzeitigen Drohungen und Aktivitäten von Milorad Dodik, dem serbischen Mitglied im dreiköpfigen Staatspräsidium, sind gefährlicher als sonst, warnen Experten. Die scheinbar innenpolitische Krise Bosniens zieht weit über die Grenzen hinaus ihre Kreise.

Der frühere Sozialdemokrat Dodik entwickelte sich in den vergangenen Jahren zu einem harten Nationalisten. Seit Längerem macht er aus seinem Wunsch, den serbischen Teil Bosniens, die Republika Srpska, aus dem Gesamtstaat herauszulösen, keinen Hehl. Nun verschärft er die Gangart. Er kündigte in den vergangenen Wochen über hundert Gesetze an, mit denen die Republika Srpska aus der bosnischen Zentralregierung ausgegliedert und parallele Institutionen geschaffen werden sollen.

Er drohte etwa mit einem Rückzug aus der bosnischen Armee, dem Steuer- und Justizsystem. Aus der bosnischen Arzneimittelbehörde trat die Republika Srpska bereits aus. Immer wieder gab und gibt es von Dodik Angriffe auf das Verfassungsgericht, an dem – noch – internationale Richter tätig sind.

Der serbische Nationalist Milorad Dodik
APA/AFP/Elvis Barukcic
Dodik zündelt in Bosnien und Herzegowina und bedroht die Stabilität der gesamten Region

Blockaden als Normalzustand

In den Medien ist die Kriegsrhetorik wieder auf dem Vormarsch. Die Bevölkerung sei verunsichert, bei vielen herrsche Panik, sagt der Bosnien-Experte des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (OIIP), Vedran Dzihic, im ORF.at-Interview. Denn Dodik treibe es nun weiter als bisher: „Die ethnopolitischen Gefäße schaffen es, sich gegenseitig zu provozieren. Dodik hat das seit mehr als zehn Jahren perfektioniert.“

Nun greift Dodik direkt den Hohen Repräsentanten an, der die Umsetzung des Friedensabkommens von Dayton überwachen soll. Dieses Amt wird seit August von dem Deutschen Christian Schmidt ausgeübt. Den USA und der EU droht Dodik mit dem Zerfall Bosniens. Dzihic: „Dodik ist ein Pyromane. Wenn er ein kleines Feuer sieht, nutzt er die Gelegenheit und treibt das Feuer voran.“

Politisch zusätzlich herausfordernd ist, dass mit dem Friedensvertrag von Dayton auferlegten politischen System Dauerblockaden gefördert werden. Denn die beiden Entitäten – die serbische Republika Srpska und die mehrheitlich von Bosniaken und bosnischen Kroaten bewohnte Föderation von Bosnien und Herzegowina – behindern einander häufig. Auch die bosnischen Kroaten fordern einen eigenen, weitgehend autonomen Landesteil. Zudem gibt es mehrere selbstständige Kantone und das von beiden Entitäten regierte Kondominium Brcko.

Günstige Konstellation, um Grenzen auszuloten

Dzihic sieht derzeit eine für Dodik günstige Konstellation, die Grenzen weiter auszureizen. Das liegt auch an der Rolle der internationalen Gemeinschaft. „Vor zehn bis 15 Jahren war klar, dass der Westen, also die EU und die USA, das Heft in der Hand hält – politisch wie sicherheitspolitisch. Es gab einen intakten Erweiterungsprozess der EU“, sagt Dzihic. Die Aussicht auf einen EU-Beitritt sei in Bosnien nun nicht mehr wirksam, durch den Ex-US-Präsidenten Donald Trump sei auch viel erodiert.

Ähnlich argumentierte der Bosnien-Experte Robert Bruce Hitchner in einer Analyse für die Plattform Balkan Insight: In der EU gebe es eine „kognitive Dissonanz zwischen ihrer lautstarken Unterstützung der Erweiterung und dem mangelnden Appetit, die Politiker (in Bosnien, Anm.) zu drängen, die schwierigen Reformen durchzuführen“. In den USA wiederum sei das Interesse an einem starken Engagement in Bosnien „schon lange vorbei“. Der Amerikaner Hitchner war selbst Mitglied des Verhandlungsteams, das die bosnischen Parteien bei der Aushandlung der Verfassungsreformen 2006 begleitete.

Rückendeckung aus Moskau und Belgrad

Auch die regionalen Entwicklungen begünstigten die stärker aufflammende nationalistische Rhetorik, so Dzihic. Serbien werde etwa von Präsident Aleksandar Vucic autokratisch regiert, der wieder die großserbische Karte ins Spiel bringe. Entsprechend groß ist auch die Unterstützung für Dodiks Anliegen. Rückenstärkung bekommt Dodik auch aus Moskau.

Für Russland wäre eine Demontage der bosnischen Institutionen durch Dodik ein „perfektes Ergebnis“, analysiert etwa das US-Magazin „Foreign Policy“. Dieses wäre „ein zerbrochenes außenpolitisches Erbe der USA, Chaos in der Nachbarschaft der EU oder (…) die Entwicklung Bosniens zu einer Konföderation, die für immer unfähig bleibt, außenpolitische Entscheidungen zu treffen, die für Russland ungünstig sind (…)“.

„Zahnloser Tiger“

Dazu kommt die Schwäche des Hohen Repräsentanten, der eigentlich mit umfassenden Vollmachten ausgestattet ist. Er kann Gesetze erlassen und Politiker absetzen. „Dieses Amt war aber schon unter dem langjährigen Hohen Repräsentanten Valentin Inzko eine schwache Institution, weil der grundlegende Konsens in der Staatengemeinschaft nicht vorhanden ist. Das ist ein zahnloser Tiger“, so Dzihic.

Inzko habe kaum Schritte gemacht, so Dzihic. An seinem letzten Tag im Amt habe er aber ein Verbot der Genozidleugnung erlassen. Es bezieht sich vor allem auf den Völkermord von Srebrenica. In der ehemaligen muslimischen Enklave in Ostbosnien ermordeten bosnisch-serbische Truppen im Juli 1995 rund 8.000 Männer und Buben. Die Republika Srpska und auch Serbien lehnen es ab, das Massaker als Völkermord zu bezeichnen. Dzihic: „Das Verbot war ein schwerer Schlag für Dodik.“ Auf Genozidleugnung sind Haftstrafen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren vorgesehen.

Der Hohe Repräsentant der EU, Christian Schmidt
AP
Der neue Hohe Repräsentant Schmidt wird vom Westen „im Stich gelassen“

Nun muss sich Inzkos Nachfolger Schmidt damit auseinandersetzen. Strukturell gebe es aber keine Voraussetzung, dass man Macht in diesem Amt ausüben könne: „Schmidt wird von den westlichen Partnern im Stich gelassen.“ Von der EU wird dieses Amt zum Teil auch als Konkurrenz empfunden. Es sei „ein Beweis dafür, dass die sogenannte Europäisierung Bosniens nicht geklappt hat, der Erweiterungsprozess nicht die Anreize geschaffen hat, übergreifend über ethnische Grenzen Politik zu machen“, sagte Toby Vogel vom Democratization Policy Council bereits vor einigen Monaten gegenüber dem „Standard“.

EU setzt auf Beschwichtigung

Die EU setze in ihrer Strategie darauf, mit den Machthabern zu sprechen – auch wenn sie Autokraten sind, so Dzihic. Um eine Eskalation zu vermeiden, werde mit einer Mischung aus Druck, Zugeständnissen und Besänftigung versucht, Dodik von seinen Vorhaben abzubringen und zugleich Russland zu beschwichtigen. Als ein Zeichen des Kompromisses ist auch die Sitzung des UNO-Sicherheitsrats vom Mittwoch zu sehen.

Dort hatte Russland gedroht, die jährlich notwendige Verlängerung der EUFOR-Militärmission (Operation Althea) zu blockieren, wenn der Hohe Repräsentant Schmidt dort auftritt. Russland erkennt dieses Amt genauso wenig an wie China. Auch Dodik ist die internationale Aufsicht durch das Amt des Hohen Repräsentanten und damit der Schutz der gemeinsamen staatlichen Institutionen ein Dorn im Auge.

Ursprünglich sollte Schmidt vor dem UNO-Sicherheitsrat seinen Bericht über die Lage in Bosnien präsentieren, die er der UNO vorgelegt hatte. Darin sprach er die ernsthafteste Warnung vor einer Bedrohung Bosniens aus, die seit dem Ende des Bosnien-Krieges von einem Hohen Repräsentanten genannt worden war. Moskau konnte sich mit seiner Forderung aber durchsetzen. Schmidt erschien nicht persönlich vor dem Sicherheitsrat, die EUFOR-Mission wurde verlängert.

Sitzung des Sicherheitsrates zur Friedenssicherung in Bosnien
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Auf Druck Russlands blieb der Hohe Repräsentant der UNO-Sicherheitsratssitzung am Mittwoch fern

Rote Linie gefordert

Die EU müsse nun eine deutliche rote Linie gegen Dodik und seine Agenda ziehen und die wachsende Zivilgesellschaft in Bosnien mehr einbinden, fordern Dzihic und auch andere Beobachter. Grundsätzlich gebe es einen rechtlichen Rahmen für Sanktionen gegen diejenigen, die das Dayton-Abkommen gefährden. Schon zu Beginn der 90er Jahre habe es Versuche gegeben, den damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic zu stoppen, erinnerte Dzihic. Funktioniert habe es nicht.

Auch heute wackelt die regionale Stabilität. „Eine Folge sind kleine Autokraten in europäischer Nachbarschaft und mit den Autokraten in der EU entsteht eine illiberale Front gemeinsam mit Russland und China“, sagt Dzihic. So könne ein kleines Problem in Bosnien im Großen Konsequenzen nach sich ziehen.