Demonstranten bei einer Pro-Regierungs-Demo
Reuters/Tiksa Negeri
„Abiys Zeit läuft ab“

Gefährliche Eskalation in Äthiopien-Konflikt

Äthiopien kommt nicht zur Ruhe: Der Konflikt zwischen der Regierung und Rebellen aus der nördlichen Region Tigray erfasst zunehmend andere Teile des zweitgrößten afrikanischen Landes. Die Konfliktparteien liefern einander immer härtere Gefechte. Hunderttausende sind vor der Gewalt geflohen; etwa 400.000 Menschen sind akut vom Hungertod bedroht. Auch die internationale Sorge wegen des eskalierenden Konflikts ist groß.

Hunderttausende zogen in von der Regierung organisierten Protesten am Sonntag in zahlreichen Städten des Landes friedlich durch die Straßen, um gegen die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) zu protestieren und der Armee ihre Unterstützung zu geloben. Die Regierung hatte vor einigen Tagen den Ausnahmezustand verhängt, der Ministerpräsident Abiy Ahmed eine Reihe von Sondervollmachten gibt.

Abiy Ahmed forderte die Bevölkerung auf, gegen die Rebellen zu den Waffen zu greifen. Demonstranten riefen Slogans wie „Ich bin Schutzherr meines Landes“ und „Die Junta (gemeint ist die TPLF) ist Äthiopiens Feind Nummer eins“.

Äthiopiens Premier Abiy Ahmed
Reuters/Tiksa Negeri
Ministerpräsident Abiy Ahmed

„Wollen schrecklicher Situation ein Ende bereiten“

Der Druck auf Abiy Ahmed wächst. Die TPLF steht nach eigenen Angaben weniger als 350 Kilometer vor der Hauptstadt. Am Freitag unterzeichneten neun äthiopische Oppositionsfraktionen in Washington ein Bündnis gegen Abiy Ahmeds Regierung. Man wolle den Ministerpräsidenten durch „Verhandlungen oder mit Gewalt“ dazu bringen, eine Übergangsregierung zu bilden, hieß es.

„Abiys Zeit läuft ab“, sagte Berhane Gebrekristos, ein TPLF-Anführer und ehemaliger äthiopischer Botschafter in den USA (1992–2002). „Wir wollen dieser schrecklichen Situation in Äthiopien ein Ende bereiten, die im Alleingang von der Regierung Abiys geschaffen wurde.“

Selome Girma bei einer Demo gegen die Regierung Äthiopiens
Reuters/Leah Millis
Proteste gegen Abiy Ahmeds Regierung in Washington

TPLF regierte Äthiopien über 25 Jahre lang

Abiy Ahmed hatte vor einem Jahr eine Militäroffensive gegen die TPLF begonnen, die bis dahin in der nördlichen Region Tigray an der Macht war. Die TPLF dominierte Äthiopien mit seinen rund 115 Millionen Einwohnern gut 25 Jahre lang, bis Abiy Ahmed 2018 an die Macht kam und sie verdrängte. Führende Mitglieder der äthiopischen Armee kamen aus Tigray und liefen zur TPLF über, wodurch die Rebellen sehr schnell große Erfolge erzielen konnten. Die gut ausgebildeten Kämpfer der Rebellengruppe sind praktisch seit Juli auf dem Vormarsch.

Die von der Regierung organisierten Proteste richteten sich auch gegen die internationale Gemeinschaft. Auf Plakaten war zu lesen: „Wir brauchen keine Einmischung aus dem Ausland.“ Der UNO-Sicherheitsrat hatte am Freitag ein Ende der Gewalt gefordert. Am Montag will sich das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen erneut mit dem eskalierenden Konflikt beschäftigen. Das Treffen soll um 15.00 Uhr (Ortszeit/21.00 Uhr MEZ) in New York stattfinden, hieß es aus diplomatischen Kreisen.

Demonstranten bei einer Pro-Regierungs-Demo
Reuters/Tiksa Negeri
Am Sonntag gingen landesweit Hunderttausende Menschen bei von der Regierung organisierten Protesten auf die Straßen

Hunderte von Flüchtlingen aus den Konfliktregionen Tigray, Amhara und Afar trafen am Wochenende in der Hauptstadt Addis Abeba ein. Viele der aus Tigray stammenden Menschen sind in den vergangenen Tagen verhaftet und in Militärfahrzeugen aus der Stadt gefahren worden. Die Polizei bestätigte am Samstag, dass es eine „Aufräumaktion“ gegeben habe.

Rebellen eroberten wichtige Städte

Die Rebellen konnten sich inzwischen Zugang zu einer der wichtigsten Autobahnen im Land verschaffen und haben nach einigen Angaben die strategisch wichtigen Städte Dessie und Kobolcha unter ihre Kontrolle gebracht. Berichten zufolge sollen die Milizen auch versuchen, die wichtige Versorgungsroute vom Hafen im Nachbarland Dschibuti nach Addis Abeba zu kappen.

Die US-Botschaft in Addis Abeba zog US-Regierungsangestellte und ihre Familienangehörigen ab und riet US-Bürgern, das Land schnellstmöglich zu verlassen. Israels Außenministerium bestätigte am Sonntag, man habe angesichts der angespannten Lage mit dem Ausflug von Familien israelischer Diplomaten in Äthiopien begonnen.

Partielle Reisewarnung

Das österreichische Außenministerium warnt mittels partieller Reisewarnung auf seiner Homepage vor Reisen in und durch die Regionalstaaten Somali, Gambella, Tigray, Benishangul-Gumuz, Afar und Amhara. Verwiesen wird auch auf den über das ganze Staatsgebiet verhängten Ausnahmezustand. „Es wird allen AuslandsösterreicherInnen und Reisenden geraten, eine Auslandsregistrierung vorzunehmen.“

Papst Franziskus zeigte sich besorgt über den eskalierenden Konflikt. Beim Mittagsgebet am Sonntag auf dem Petersplatz forderte er laut Kathpress alle Beteiligten zu Dialog und Frieden auf. Die anhaltenden Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Rebellen hätten zu einer „schweren humanitären Krise“ mit vielen Opfern geführt, so das katholische Kirchenoberhaupt.