Die Europäische Zentralbank (EZB) habe den Finanzministern der 19 Euro-Staaten die Grundfragen für die Einführung eines „digitalen Euro“ präsentiert, sagte Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) zu Beginn der Woche in Brüssel gegenüber ORF.at.
Derzeit werde evaluiert, „was dieser digitale Euro leisten kann und leisten soll, welche Möglichkeiten es gibt und auch welche Risiken er bietet“. Dass der „digitale Euro“ in den nächsten Jahren tatsächlich zustande kommt, ist für Blümel „eine sehr realistische Möglichkeit“. Die Frage sei allerdings, in welcher Form.
Genau über die „Form“ wird derzeit auch nachgedacht. Denn noch steht nicht fest, wie der „digitale Euro“ konkret aussehen soll. Seitens der EZB heißt es lediglich, dass dieser „leicht zugänglich, robust, sicher und effizient“ sein muss. Zudem soll die Privatsphäre sowie geltendes Recht eingehalten werden.

Einführung frühestens 2026
Im Juli startete die EZB das Projekt für die digitale Version der Gemeinschaftswährung. Geplant ist eine zweijährige Untersuchungsphase, in der die Kerneigenschaften eines „digitalen Euro“ festgelegt werden sollen – nicht nur, was die Gestaltung, sondern etwa auch, was die Verteilung betrifft. Nach dieser Untersuchung würde der EZB-Rat eine Entscheidung treffen, ob zur Umsetzung der Nutzeranforderungen übergegangen werden soll.
Bis die EU-Bürgerinnen und -Bürger wirklich damit zahlen könnten, wird es allerdings noch gut fünf Jahre dauern. In dieser Zeit soll mit der konkreten Entwicklung begonnen werden, wie es seitens der EZB heißt.
In dieser Phase könnte der „digitale Euro“ im Zuge einer Pilotphase möglicherweise bereits in einigen Städten getestet werden. Die Notenbank der Niederlande erklärte, dass sich das Land für einen Testlauf eignen würde. Somit dürfte frühestens im Jahr 2026 eine finale Entscheidung darüber fallen, ob der „digitale Euro“ eingeführt werden soll oder nicht.

„Digitaler Euro“ vs. bargeldloses Zahlen und Kryptogeld
Das Konzept eines „digitalen Euro“ mag für viele irritierend sein – wird doch schon jetzt online, mit Karte oder Smartphone bargeldlos bezahlt. Was ist also der Unterschied? Gregory Claeys vom Brüsseler Thinktank Bruegel erklärte das im Gespräch mit ORF.at folgendermaßen:
Bei Überweisungen oder Kartenzahlungen wird auf ein Guthaben zugegriffen, das auf einem Girokonto bei einem Finanzinstitut liegt – das Giralgeld. „Die Euros auf dem Bankkonto sind private digitale Euros, die von den Banken erzeugt werden. Natürlich kann man auch zu einem Bankomaten gehen und diese digitalen Euros in physisches Bargeld umwandeln“, erklärte der Finanzexperte.
„Das Bargeld selbst, also die Münzen und Scheine, werden indes von der Zentralbank erzeugt. Und auch der ‚digitale Euro‘ soll direkt von der Zentralbank herausgegeben werden“, so Claeys. Darin liegt auch der Unterschied zu Kryptowährungen wie Bitcoin. Dadurch, dass der „digitale Euro“ von der EZB kontrolliert wird, gelte die Digitalwährung als ausfallsicher.
EZB-Ziel: Gleiche Sicherheit wie Bargeld
„Die Idee des ‚digitalen Euro‘ ist, dass er gleich sicher ist wie die Münzen und Scheine“, so Claeys. Geld auf der Bank sei schließlich immer mit einem gewissen Risiko verbunden – etwa, wenn die Bank in Insolvenz geht. Einlagen bis zu 100.000 Euro pro Kunde sind allerdings gesetzlich abgesichert. Somit handelt es sich Claeys zufolge bei der Sicherheit des „digitalen Euros“ um einen Vorteil, den man „außer in Zeiten finanzieller Krisen nicht oft brachen wird“.

Bankensturm als vermeidbares Risiko
Bei Geschäftsbanken zahle man für jede Transaktion eine kleine Gebühr. Zwar ist noch nicht klar, welche Rolle Banken bei der Einführung des „digitalen Euro“ spielen sollen, jedoch könnten Gebühren dadurch möglicherweise ganz wegfallen.
Hier komme auch das Risiko ins Spiel, dass ein „digitaler Euro“ mit sich bringen könnte: „Derzeit haben nur Geschäftsbanken Konten bei der EZB. Wenn also normale Bürger Zugang zu EZB-Konten und damit zu sehr sicheren ‚digitalen Euros‘ erhalten, besteht die Gefahr, dass sie ihr Geld aus den normalen Bankkonten nehmen und in ihr EZB-Konto verlagern“, sagte Claeys und erinnert an die Bankenstürme vergangener Finanzkrisen.
Um die Stabilität der Banken zu schützen, könnte es daher eine Obergrenze von 3.000 Euro geben, wie die EZB bereits ankündigte. So würden die Kunden und Kundinnen den „digitalen Euro“ zwar für Bezahl-, nicht aber für Sparzwecke verwenden, konstatierte Claeys.
Experte: „Digitaler Euro“ wird Alltag nicht groß verändern
Unterm Strich würde sich für die Konsumentinnen und Konsumenten aber wenig ändern. Daher zeigt sich Claeys einer Einführung gegenüber auch skeptisch: „Die Notwendigkeit für einen normalen Bürger, mit ‚digitalen Euros‘ zu bezahlen, ist nicht ersichtlich. Es scheint, als ob es ihr Leben nicht groß verändern würde.“
Für Leute könnte es zudem „ein bisschen schwer“ werden, den Unterschied zu verstehen, zwischen digitalen Euros bei der Privatbank und „digitalen Euros“ von der EZB, die vielleicht dann doch auch auf dem Konto bei der Privatbank auftauchen. Vielen könnte es aber auch einfach egal sein, woher das Geld stammt, meinte Claeys. Bedenken könnte es hingegen hinsichtlich der Auswirkungen auf das Bargeld geben.
„Gleiches Schicksal für Bankomaten wie für Telefonzellen“
Seitens der EZB betont man jedoch eindrücklich, dass die neue Digitalwährung das Bargeld keinesfalls ersetzen, sondern lediglich ergänzen soll. Man werde niemanden zwingen, mit dem „digitalen Euro“ zu zahlen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde sagte dazu: „Falls wir einen digitalen Euro haben, werden wir trotzdem Banknoten haben. Die beiden werden nebeneinander existieren.“
Könnten Münzen und Scheine dennoch eines Tages gänzlich aus der Geldbörse verschwinden? Clayes sagte dazu: „Die EZB und die einzelnen Regierungen würden das Bargeld nie verschwinden lassen, denn sie wissen, dass es die Leute mögen.“ Was aber passieren könnte, sei, dass der Zugang zu Bargeld immer schwieriger werden könnte, etwa durch die Reduzierung von Bankomaten – „ähnlich wie es mit den Telefonzellen passiert ist“. Derzeit sei das von Land zu Land noch unterschiedlich, in Belgien etwa sei es aber schon schwierig, einen Bankomaten zu finden.

Datenschutz laut Umfrage wichtigstes Thema
In Österreich ist Bargeld laut Nationalbank immer noch das beliebte Zahlungsmittel – wohl nicht zuletzt deshalb, weil Zahlungen anonym getätigt werden können. Eine Umfrage der EZB unter Bürgerinnen und Bürgern im Euro-Raum ergab, dass bei der Einführung einer Digitalwährung auch Datenschutz das wichtigste Thema sei.
Dem wolle man Rechnung tragen, so die EZB. Ein „digitaler Euro“ müsse den Bedürfnissen der Europäer entsprechen, so die Währungshüter. Gleichzeitig müssten aber auch illegale Aktivitäten sowie negative Auswirkungen auf die Finanzstabilität und die Geldpolitik ausgeschlossen werden.
Clayes verweist in diesem Zusammenhang auf den Unterschied zwischen Anonymität und Privatsphäre: „Cash garantiert totale Anonymität. Die Leute mögen das, zu wissen, sie können mit dem Geld tun, was immer sie wollen.“ Um kriminellen Aktionen wie Geldwäsche entgegenzuwirken, brauche es zwar Regulierungen, dennoch könnten gesetzliche Richtlinien die Privatsphäre der Konsumenten garantieren, zeigte sich Clayes überzeugt.
Sand Dollar und DCash
Auch international ist die Entwicklung digitaler Zahlungsmittel ein großes Thema. Derzeit beschäftigen sich etwa 90 Prozent aller Notenbanken weltweit mit der Frage, ob sie digitale Versionen ihrer Währungen ausgeben sollen.
Das erste Land der Welt mit Digitalwährung war der Inselstaat Bahamas. 2020 wurde hier der Sand Dollar eingeführt – eine digitale Version der Landeswährung. Die erste digitale Währungsunion stellen mehrere Länder in der Ostkaribik dar. Bezahlt werden kann hier seit wenigen Monaten mit DCash.

China als Vorreiter
Was die großen Länder der Welt betrifft, ist China Pionier. Chinas Notenbank beschäftigt sich bereits seit 2014 mit einem „digitalen Yuan“ und startete bereits umfangreiche Testläufe in mehreren Millionenmetropolen – darunter Shenzhen und Schanghai. Schon nächstes Jahr könnte ein „digitaler Yuan“ Realität sein.
Am Dienstag verkündete auch die russische Notenbank, dass sie nächstes Jahr in einer Pilotphase einen „digitalen Rubel“ testen möchte, um anschließend über eine Einführung zu entscheiden. Die Bank of England kündigte unterdessen für nächstes Jahr Konsultationen zu digitalem Zentralbankgeld an.
Zunehmende Digitalisierung als Beschleuniger
Treibende Kraft hinter den Initiativen der Zentralbanken ist die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs in allen Lebensbereichen – nicht zuletzt wurde bargeldloses Bezahlen durch die Coronavirus-Krise noch einmal befeuert.
Zudem drängen internationale Technologiekonzerne wie Facebook mit eigenen Cyberdevisen auf den Markt. „Die Zentralbanken fürchten von privaten Anbietern von Digitalwährungen ersetzt zu werden – gerade von großen Techkonzernen wie Facebooks“, so Clayes’ Einschätzung.

Forderung nach europäischer Alternative
Auch Blümel konstatierte zu Beginn der Woche: „Wir wissen, dass alternative Währungen immer stärker von Menschen benutzt werden, und da ist es wichtig, dass der Euro hier nicht zurückbleibt.“
EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta betonte bereits Anfang des Jahres, dass es eine europäische Alternative brauche. Man wolle verhindern, dass der Massenzahlungsverkehr von einer Handvoll nicht europäischer Akteure dominiert werde, die gegen die Kontrolle europäischer Behörden relativ immun sein könnten." Denn das könne zu mangelhaftem Wettbewerb und Datenschutz führen.
Auf Nachfrage bei der Kommission meinte ein Sprecher gegenüber ORF.at, man unterstütze die Pläne der EZB für den „digitalen Euro“, da dieser stark zur Digitalisierung der europäischen Wirtschaft beitragen würde. Zudem würde dadurch die internationale Rolle des Euro sowie die Autonomie der Union gestärkt werden.