Flüchtlinge an der belarussisch-polnischen Grenze.
APA/AFP/Leonid Shcheglov
Flüchtlingsstreit

EU erhöht Druck auf Belarus

Als Reaktion auf die aktuelle Lage an der EU-Ostgrenze setzt die Europäische Union in Teilen ein Abkommen über Visaerleichterungen mit Belarus aus, die Amtsträger des Regimes betreffen. Weitere EU-Sanktionen sind in Vorbereitung, sie sollen den Transfer potenzieller Flüchtlinge nach Belarus reduzieren. Russland gibt unterdessen der EU die Schuld für die Lage an der polnisch-belarussischen Grenze, Polen wiederum Russland.

Nach Angaben von EU-Diplomaten könnten die neuen Sanktionen bereits bei dem EU-Außenministertreffen am Montag offiziell beschlossen werden. Die erörterten Sanktionen sollen es unter anderem ermöglichen, in der EU ansässige Unternehmen zu zwingen, mit sofortiger Wirkung sämtliche Geschäftsbeziehungen zu der belarussischen Fluggesellschaft Belavia einzustellen. Das würde unter anderem zur Folge haben, dass Flugzeugleasinggesellschaften an die Airline ausgeliehene Maschinen zurückfordern müssten.

Zudem könnten auch Reiseveranstalter sowie Fluggesellschaften aus Drittstaaten ins Visier genommen werden. Öffentlich diskutiert wurde etwas über die Rolle der halbstaatlichen, türkischen Fluggesellschaft Turkish Airlines (THY), die Belarus laut Flugplan zehnmal im Monat anfliegt. Von Istanbul aus gehen zurzeit täglich ein bis zwei THY-Direktflüge nach Minsk. Turkish Airlines dementierte am Dienstag Medienberichte und widersprach der Darstellung, dass die Fluggesellschaft gezielt Migranten von der Türkei aus nach Belarus bringe.

Menschen an der polnisch-belarussischen Grenze
AP/BelTA/Leonid Shcheglov
Menschen versuchen am Montag die polnisch-belarussische Grenze zu überqueren

Auch Aeroflot könnte betroffen sein

Abgesehen von Belavia und Turkish Airlines war in Presseberichten aber auch über eine mögliche Rolle der russischen Fluglinien Aeroflot bei Flüchtlingsflügen nach Belarus spekuliert worden. Brüssel „untersuche Flüge von Russland und die mögliche Beteiligung Russlands im Allgemeinen“, kommentierte diese Berichte ein Sprecher der EU-Kommission. Auch aus Polen kamen Vorwürfe Richtung Moskau: Ministerpräsident Mateusz Morawiecki beschuldigte Russland am Dienstag, die Fäden zu ziehen. „Lukaschenko ist der Ausführende des jüngsten Angriffs, aber der Auftraggeber dieses Angriffs ist in Moskau, und dieser Auftraggeber ist Präsident Putin“, sagte Morawiecki auf einer Dringlichkeitssitzung des polnischen Parlaments.

Angespannte Lage an Grenze zu Belarus

Tausende Menschen harren bei Kälte an der Grenze von Belarus zu den EU-Staaten Polen und Litauen aus, um in die EU einreisen zu können. Die Lage ist angespannt: Polen macht die Grenze dicht und die EU denkt über Sanktionen gegen Belarus nach. Es wird vermutet, dass die Migrantinnen und Migranten vom dortigen Regime gesteuert werden, als Druckmittel wider Willen.

In der EU hofft man, mit Druck auf sowie der Sanktionierung von Fluggesellschaften die Anzahl der Personen reduzieren zu können, die aus armen oder konfliktreichen Ländern nach Belarus kommen. Der Führung in dem Land wird vorgeworfen, gezielt Migranten ins Land zu holen, um sie dann zur Weiterreise in die EU an die Grenze zu Polen zu bringen. Die Vermutung ist, dass sich Machthaber Alexander Lukaschenko damit für Sanktionen rächen will, die die EU wegen der Unterdrückung der Zivilgesellschaft und der demokratischen Opposition erlassen hat.

Litauen verhängt Ausnahmezustand

Polen, Lettland und Litauen meldeten in den vergangenen Monaten Tausende illegale Grenzübertritte aus Belarus. Litauen verhängte nun zunächst für einen Monat den Ausnahmezustand. Das Parlament des baltischen EU- und NATO-Landes billigte am Dienstag eine entsprechende Entscheidung der Regierung in Vilnius.

Das belarussische Regierung wies am Dienstag internationale Anschuldigungen gegen das Land zurück. „Wir möchten die polnische Seite im Voraus davor warnen, beliebige gegen die Republik Belarus gerichtete Provokationen zu nutzen, um mögliche illegale Militäraktionen gegen benachteiligte unbewaffnete Menschen (…) zu rechtfertigen“, heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Mitteilung des Außenministeriums in Minsk.

Machthaber Lukaschenko machte international organisierte Schleusernetzwerke für die Tausenden Migranten an der Grenze zu Polen verantwortlich. Die Flüchtlinge nutzten diese Strukturen und bezahlten viel Geld, um ein besseres Leben im Westen zu finden, sagte Lukaschenko am Dienstag in einem von Staatsmedien in Minsk ausgestrahlten Interview und schob damit jede Verantwortung für die Situation von sich.

Belarus: EU plant weitere Sanktionen

An der Grenze von Belarus zu den EU-Staaten Polen und Litauen versuchen Tausende Menschen in die Union einzureisen. Nun macht Polen die Grenze dicht, die EU denkt über Sanktionen gegen Belarus nach. In Litauen wurde unterdessen der Ausnahmezustand verhängt.

Linhart spricht von „Erpressung“

Österreichs Außenminister Michael Linhart (ÖVP) bezeichnete in einer Aussendung am Dienstag das Vorgehen von Belarus, Menschen zu importieren und an eine Grenze zu stellen, als „Menschenrechtsverletzung und Erpressung“. Österreichs volle Solidarität gelte Polen und Litauen als leidtragende Staaten, erklärte er.

„Wir müssen als Europäische Union zusammenstehen und uns entschlossen zur Wehr setzen. Das wird auch gezielte Maßnahmen gegen die Verantwortlichen in Minsk beinhalten“, betonte er.

Linhart begrüßte gleichzeitig die Reise von EU-Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas in Herkunftsländer und Transitländer der Flüchtlinge. „Wir müssen die Menschen, die sich hier freiwillig in Geiselhaft eines totalitären Regimes begeben, warnen, sich auf den Weg zu machen. Sie werden als namenlose Masse in einem zynischen Spiel missbraucht“, so der österreichische Außenminister, der sich derzeit auf Reisen in Zentralasien befindet.

Menschen an der polnisch-belarussischen Grenze
Reuters/BelTA
Die Flüchtlinge sind auch mit Kindern unterwegs – teils müssen diese getragen werden

Polen bat bisher nicht um Hilfe

„Die EU-Kommission muss Polen bei der Sicherung der EU-Außengrenze unterstützen und die nötigen Mittel für die Errichtung eines robusten Grenzzaunes bereitstellen“, sagte am Dienstag Innenminister Karl Nehammer (ÖVP). Hilfe bei der Registrierung von Migranten anzubieten sei hingegen das völlig falsche Signal, kommentierte Nehammer. Polen hat bisher jede Hilfe der EU, etwa durch die Grenzschutzorganisation Frontex, abgelehnt. Warschau muss aktiv um Hilfe ansuchen, damit Brüssel tätig werden kann.

Analyse zum Machtkampf Belarus – EU

Doppelschaltung mit den ORF-Korrespondenten Paul Krisai in Moskau und Raffaela Schaidreiter in Brüssel über den Machtkampf zwischen Belarus und der EU.

Das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) und die UNO-Organisation für Migration (IOM) waren am Dienstag über die Zustände im Grenzgebiet alarmiert. Sie forderten beide Regierungen auf, humanitären Helfern ungehinderten Zugang zu den Gestrandeten zu gewähren. Es müsse geprüft werden, wer Schutz brauche, und es müsse denen geholfen werden, die Asyl beantragen wollten.

„Die Instrumentalisierung von Migranten und Flüchtlingen, um politische Ziele zu erreichen, ist bedauerlich und muss aufhören“, teilten sie mit. Es sei inakzeptabel, die Verzweiflung von Migranten und Flüchtlingen auszunutzen und ihnen unrealistische und irreführende Versprechen zu machen.