Menschen mit Mundschutzmasken auf einer Einkaufsstraße in Köln
Reuters/Wolfgang Rattay
Steigende Zahlen in Europa

Ringen um Strategien gegen die vierte Welle

Nicht nur in Österreich werden täglich neue Höchstwerte bei den Coronavirus-Neuinfektionen gemeldet: In vielen Ländern Europas hat man längst die Spitzenwerte der dritten Welle übertroffen. Doch auch dort, wo die Zahlen derzeit noch nicht eskalieren, wird 3-G zur Regel und über das Wiedereinführen von strengeren Maßnahmen zumindest diskutiert. Einen Lockdown will man überall vermeiden.

Bei durchwegs zu niedrigen Impfquoten trotz in der EU ausreichend verfügbaren Impfstoffs verbreitet sich die Delta-Variante nahezu ungebremst. Schon vor zwei Wochen meldeten mit Estland und Lettland die ersten europäischen Länder ein Allzeithoch an Neuinfektionen. Erst mit einem kompletten Lockdown in Lettland und einer umfangreichen 2-G-Pflicht sowie einer Sperrstunde von 23.00 Uhr in Estland gelang den Ländern die Trendumkehr – seit Anfang November sinken die Zahlen wieder.

Österreich befindet sich hingegen im Bereich der steigenden Zahlen. Mit der Einführung von 3-G am Arbeitsplatz und 2-G in Gastronomie und im Freizeitbereich hofft man, die Welle in den Griff zu bekommen – ob die Maßnahme greift oder zu spät und angesichts der Impfquote von erst rund 64 Prozent zu schwach ist, wird sich erst in den kommenden Tagen zeigen.

Geschlossene Cafes in Riga
APA/AFP/Gints Ivuskans
In Lettland wurde Ende Oktober ein Lockdown verhängt, der noch bis 15. November gilt

Deutschland als regionaler Fleckerlteppich

In Deutschland hat man vorige Woche ebenfalls das Allzeithoch der Neuinfektionen erreicht, auch wenn die bundesweite Inzidenz von 232,1 deutlich hinter der Österreichs (710,8) liegt. Neben einer diskutierten Impfpflicht für bestimmte Gruppen – etwa Gesundheits- und Lehrpersonal – wird dort auch der Ruf nach einer bundesweit einheitlichen 3-G- bzw. 2-G-Regelung lauter.

Aktuell sind die Einschränkungen Ländersache, entsprechend unübersichtlich ist der Fleckerlteppich der Regelungen. Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach sich ebenso wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für einen baldigen Bund-Länder-Gipfel aus, um sich mit den Ländern zumindest auf einen bundesweit einheitlichen Schwellenwert für den Hospitalisierungsindex zu verständigen, bei dessen Überschreiten regionale Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie getroffen werden müssen.

2-G-Diskussion auch in Italien

Italien, wo die CoV-Situation aktuell unter Kontrolle ist, die Zahlen langsam aber wieder steigen, war das erste Land Europas, das eine 3-G-Regel am Arbeitsplatz eingeführt hat. Seit dem 15. Oktober darf nur zur Arbeit erscheinen, wer eine CoV-Impfung, -Genesung oder einen negativen Test (auf eigene Kosten) nachweisen kann. Italienische Politiker und Virologen diskutieren heiß über die Möglichkeit, 2-G im Freizeitbereich einzuführen.

Der Präsident der norditalienischen Region Venetien, Luca Zaia, hält die 2-G-Regel allerdings in Italien für nicht umsetzbar. „Es gibt eine Diskussion über die österreichischen Einschränkungen für nicht geimpfte Personen. Aufgrund unserer Verfassung scheint mir diese Maßnahme in Italien jedoch nicht umsetzbar zu sein“, sagte der Politiker der rechten Lega.

Südtirol will autonomer sein

Südtirol will künftig eigenmächtiger Pandemieregeln bestimmen können. Man habe die Regierung ersucht zu prüfen, inwieweit es 2-G-Regelungen so wie in anderen europäischen Staaten geben solle, sagte der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher, am Dienstag auf einer Pressekonferenz in Bozen. Südtirol habe Rom außerdem gebeten, die Regionen in die Lage zu versetzen, für bestimmte Situationen strengere Regeln erlassen zu können.

Grafik zu CoV-Zugangsregeln
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Tschechien kämpft mit niedriger Impfquote

Auch Tschechien meldet die höchsten Fallzahlen seit rund acht Monaten. Wie aus Daten des Gesundheitsministeriums hervorgeht, wurden in 14.539 neuen Fällen Menschen positiv auf das Virus getestet. Das ist das höchste Niveau seit Mitte März. Die scheidende Regierung von Ministerpräsident Andrej Babis hat Forderungen nach einem Lockdown oder ähnlichen Beschränkungen zurückgewiesen. Sie setzt auf die Impfungen und seit erstem November auf eine 3-G-Regel.

Von den 10,7 Millionen Einwohnern des Landes waren zuletzt nach offiziellen Angaben aber erst 58,7 Prozent geimpft. Die Quote liegt unter dem von europäischen Behörden ermittelten EU-Durchschnitt von 64,6 Prozent.

3-G in Belgien, den Niederlanden und Dänemark

Belgien und die Niederlande setzen weiter auf eine 3-G-Regelung in der Freizeit und einen Aufruf zum Homeoffice (wo möglich). Auch eine Rückkehr zur Maskenpflicht sowie zum Mindestabstand von 1,5 Metern soll helfen, die steigenden Zahlen in den Griff zu kriegen. „Wir steuern geradewegs auf eine Katastrophe im Gesundheitswesen zu, und das ganze System gerät ins Stocken“, heißt es in einem Brief der niederländischen Ärzte an Ministerpräsident Mark Rutte. Die Infektionszahlen in den Niederlanden nähern sich wieder ihren Höchstwerten des vorigen Winters, obwohl bereits etwa 85 Prozent der Erwachsenen geimpft sind.

Menschen auf einer Einkaufsstarße in Amsterdam
APA/AFP/Ramon van Flymen
In den Niederlanden setzt man noch auf 3-G und Masken – die Spitalskapazitäten kämen langsam aber wieder an ihre Grenzen, warnen Mediziner

Noch nicht so dramatisch ist die Situation in Dänemark, wo vor zwei Monaten sämtliche CoV-Beschränkungen abgeschafft wurden. Wegen der steigenden Fallzahlen werde in vielen Bereichen wieder die 3-G-Regel eingeführt, sagte die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen Montagabend. Seit Mitte Oktober waren die Infektionszahlen wieder angestiegen.

„Die Gesundheitsbehörden gehen davon aus, dass die Infektionen weiter zunehmen werden“, sagte Frederiksen. „Dadurch wird die Belastung der Krankenhäuser erhöht.“ Obwohl die Impfbereitschaft im Land relativ groß ist – 88 Prozent sind geimpft. Der Anstieg der Infektionen sei auf eine „kleine Gruppe“ zurückzuführen, die sich nicht an die Regeln halte, so Frederiksen.

Frankreich hält Zahlen mit strenger Politik in Schach

Ähnlich wie Dänemark hat auch Frankreich eine sehr hohe Impfquote. War es ursprünglich eines der Länder mit besonders vielen Impfskeptikern, erhöhte Präsident Emmanuel Macron bereits im Sommer den Druck, seit Mitte September gibt es eine Impfpflicht in bestimmten Berufsgruppen. Bei Missachtung droht eine Suspendierung ohne Fortzahlung des Lohns. Betroffen sind Beschäftigte in Krankenhäusern und der Pflege, aber auch Feuerwehrleute, Beschäftigte des Zivilschutzes sowie die Beamten der Gendarmerie. Derzeit liegt die Impfquote der über Zwölfjährigen bei 89 Prozent. Es gilt nahezu überall eine 3-G-Nachweis-Pflicht, Tests sind – so nicht behördlich angeordnet – kostenpflichtig.

Aktuell steigen dennoch die Zahlen – wenn auch viel langsamer als in Österreich oder Deutschland. Im Vergleich zu anderen Ländern sei die Lage in Frankreich besser, betonte Macron am Dienstag. „Aber der Anstieg der Inzidenz um 40 Prozent innerhalb einer Woche und der Anstieg der Krankenhauspatienten sind Alarmzeichen“, so der Präsident. Er rief dazu auf, die Abstandsregeln wieder besser zu beachten. Auch die Maskenpflicht an Schulen werde vorerst weiter nötig sein. Wie in Österreich wird auch in Frankreich eine Auffrischungsimpfung vorgeschrieben, damit die Gesundheitszertifikate ihre Gültigkeit behalten.