„Es hat sich natürlich das alte Diktum als treffend erwiesen, dass Deutschland und Österreich durch die gemeinsame Sprache getrennt sind“: So bilanzierte der deutsche Botschafter Ralf Beste, selbst einst Journalist und immer noch schreibender Kommentator des Zeitgeschehens, eines der Hauptergebnisse einer von ihm beauftragen Studie beim Meinungsforschungsinstitut Integral unter repräsentativ 1.000 Befragten.
Er habe gerade nach den Erfahrungen einer Pandemie in beiden Ländern ein Stimmungsbild unter den Österreichern gegenüber den Deutschen erheben wollen, sagte Beste. „Anekdotische Evidenz haben wir ohnedies ausreichend“, so der Botschafter, der natürlich weiß, dass auch eine Meinungsumfrage tief in den Heuhaufen wohlerworbener Klischees greift.
Wer sind „die“ Deutschen und „die“ Österreicher?
Die Deutschen gelten etwa als gründlich – und wer in die Kulturgeschichte blickt, weiß, dass damit weniger „die“ Deutschen als die Preußen des 19. Jahrhunderts gemeint waren. Hier der protestantisch-strenge Norden, da der nicht nur im Beichtstuhl situationselastische Süden, wo man Wirklichkeit und Ideal schon mehr aus einer Erzählperspektive aneinanderführen konnte. So sagen auch in der Gegenwart gerade einmal 39 Prozent, die Bayern würden anders ticken als „wir“, finden aber zu 78 Prozent, dass das „die“ Deutschen ganz bestimmt täten.

„Als häufigstes Unterscheidungsmerkmal“, so Beste, „wurde eben die Sprache bzw. der Akzent“ genannt. Deutsche, so sagt die Studie mit einer Trefferquote von 96 Prozent, „werden vor allem an der Sprache erkannt“. Und nicht etwa an weißen Tennissocken in Sandalen. 59 Prozent der repräsentativ ausgewählten Befragten finden auch, dass man Deutsche „am Auftreten“ erkenne.
Nur eine absolute Minderheit von sechs Prozent will nirgendwo im Land auch Deutsche getroffen haben. Was eine Leistung ist, denn mit gut 300.000 Menschen (Erst- und Zweitwohnsitze), die einen regelmäßigen Aufenthalt im Land haben, sind die Deutschen nicht nur die größte Migrationsgruppe – sondern: Sie sind statistisch gesehen auch überall.

Die Deutschen sind anders, aber wir mögen sie
78 Prozent finden, dass „die Deutschen anders ticken“ als die Österreicher. Aber satte 78 Prozent nehmen auch an, dass sich das Verhältnis zwischen Österreichern und Deutschen in den letzten Jahren verbessert habe. Immer noch konstatiert man im deutlich kleineren Österreich zu 50 Prozent, dass Deutsche die Österreicher von oben herab behandeln würden. Generell überwiegt aber in der Stimmung auch ein als freundlich eingestuftes Bild.
Wenngleich: Die positive Stimmung, so sagte man es auch bei der Präsentation der Studie in der Residenz des deutschen Botschafters am Mittwoch, sei im Osten deutlich größer als im Westen des Landes. Befragt, woran das liegen mag, vermutete man am ehesten die starke Exposition des Westens gegenüber den Deutschen durch enge touristische Kontakte. Populärkulturell wurde das ja mit Formaten wie der „Piefkesaga“ aufgearbeitet – die freilich auch die West-Ost-Differenz Österreichs zum Thema hatte.
Deutsche Tugenden
Als bedrohlich starker Nachbar (nur elf Prozent in der Befragung) wird Deutschland nicht wahrgenommen. Eher dominieren Zuschreibungen wie „erfolgreich“ (69 Prozent Zustimmung), „tonangebend“ (58 Prozent Zustimmung), „fortschrittlich“ (63 Prozent Zustimmung) und wohlhabend (56 Prozent Zustimmung). Die überwiegende Mehrheit der Befragten (88 Prozent) war schon einmal in Deutschland, was ja angesichts des großen und kleinen deutschen Ecks auch nicht überraschen kann.
Deutschland ist mehrheitlich betrachtet für die Österreicher „Nachbar“ (95 Prozent Zustimmung), aber auch „Partner“ und „Freund“ (je 68 Prozent Zustimmung). Das Gros der Österreicher sieht das Verhältnis zu Deutschland als „freundlich“ (81 Prozent Zustimmung) und auch „locker“ (75 Prozent) an. Eine Diskriminierung der Deutschen am Arbeitsplatz etwa können die Österreicher nicht ausmachen – hier sehen das nur 30 Prozent als möglich (aber hier könnte die Gegenantwort der Deutschen spannend sein).
Auffällig ist, dass die Befragten Potenzial sehen, dass man aus dem Verhältnis zwischen Österreich und Deutschland mehr machen könnte: Sieben von zehn Befragten wünschen sich mehr Initiative von beiden Ländern. Von Deutschland wünscht sich eine überwiegende Mehrheit zugleich mehr Rücksicht (77 Prozent) auf kleinere Länder.

Je älter, desto positiver eingestellt
Auffällig an der Studie ist auch, dass die Älteren ein deutlich positiveres Bild von den Deutschen haben als die Jüngeren. Die Akzeptanz, so scheint es, ist offenbar auch eine Alters- und Kenntnisfrage. 75 Prozent der Befragten können sich „eine Partnerschaft mit einem Deutschen bzw. einer Deutschen“ vorstellen, erfährt man aus der Studie. Was zur Gegenfrage veranlasst, ob manche Differenz zwischen Österreich und Deutschland nicht auch etwas von einer künstlichen aufgebauten Abgrenzung habe.
Offenkundig bleibt ja die kultur- und literarhistorisch verbriefte enge Verbindung zwischen den Österreichern und Deutschen, wie man schon bei Hugo von Hofmannsthal und auch Robert Musil in Ausführlichkeit lesen konnte. Die enge Verbindung braucht, das macht auch diese Studie deutlich, eine gewisse Abgrenzung und Unterscheidbarkeit zwischen den Nachbarn.
„Es schien den geistig vornehmsten Kakaniern“, liest man etwa in Musils „Mann ohne Eigenschaften“, „die sich als Erben und Träger der vornehmsten kakanischen Kultur fühlten, als ganz natürlich, dass man mit den Reichsdeutschen verbündet und verbrüdert war und sie nicht ausstehen konnte.“ Vergessen werden darf auch nicht, dass die Bestimmung der österreichischen Identität immer relational ist: Zwar kann man nicht festlegen, was genau man ist, ist sich aber gewiss in der Bestimmung, alles zu sein, was der Deutsche eben nicht ist. Auch davon erzählt die Literatur seit mehr als hundert Jahren.