Bücherstapel auf Geschenkpapier
ORF.at/Zita Klimek
Empfehlungen

Die Sachbücher fürs Weihnachtsfest

Es weihnachtet bald – und die Redaktion von ORF.at hat wieder eine Liste der packendsten, berührendsten und lustigsten Lektüren der vergangenen Monate zusammengestellt. Den Beginn machen die Sachbücher, die mit Undercover-Recherchen zu rechten Männerbünden, historischen Promibeziehungen und der Suche nach einem anderen Natur-Mensch-Verhältnis an- und aufregende Lesestunden versprechen. In den nächsten Tagen folgen die Krimis, Romane, Kinderbücher und Gedichtbände.

Die Weisheit der Pflanzen

Bereits 2013 in den USA erschienen, hält sich das Buch seit 2020 auf der „New York Times“-Bestsellerliste und spricht sich seit seiner Übersetzung auch hierzulande herum: In „Geflochtenes Süßgras“ entwirft die Umweltbiologieprofessorin Robin Wall Kimmerer ein herzerwärmendes Plädoyer für einen partnerschaftlichen Umgang mit der Natur. Gesättigt von ihrer Lebensgeschichte, ökologischen und kulturanthropologischen Überlegungen und indigenem Wissen – Kimmerer ist selbst Mitglied des indigenen Volks Potawatomi – spendet das Buch Zuversicht, „dass es Hoffnung gibt für diesen Planeten“, so Nature-Writing-Koryphäe Helen Macdonald. Und das ganz frei von Romantisierungen. (Paula Pfoser, ORF.at)

Robin Wall Kimmerer: Geflochtenes Süßgras. Die Weisheit der Pflanzen. Aus dem Englischen von Elsbeth Ranke. Aufbau, 461 Seiten, 24,70 Euro.

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Einsam oder nur allein?

Lange Zeit wurde nur selten offen über das Alleinsein mit all seinen gewollten und ungewollten Facetten gesprochen – durch die Pandemie hat sich das glücklicherweise geändert. Zwei neue Bücher nähern sich dem schmalen Grat zwischen Selbstbestimmtheit und Einsamkeit auf höchst unterschiedliche Weise: In „Einzeln sein“ lädt Rüdiger Safranski zu einer philosophischen Reise von Luther bis zu Hannah Arendt. Und Daniel Schreiber stellt sich in „Allein“ auf kluge und sehr persönliche Weise der großen Frage, wie wir eigentlich leben wollen. (Romana Beer, für ORF.at)

Daniel Schreiber: Allein. Hanser Berlin, 160 Seiten, 20,60 Euro.
Rüdiger Safranski: Einzeln sein. Hanser, 288 Seiten, 26,80 Euro.

Wie ein Jahrzehnt liebte

Mit seinem Besteller „1913“ schrieb Florian Illies die großartige Biografie eines Jahres mittels kompilierten Tagebucheinträgen, Briefen und Anekdoten von Geistesgrößen. Sein neues Buch ist der Geschichte von Liebe, Sex und Beziehungen von 1929 bis 1939 gewidmet. Der Montageansatz geht auch hier auf: Illies erzählt von den Affären Henry Millers, dem ersten Rendezvous zwischen Jean Paul Sartre und Simone Beauvoir und von Picassos Bettgeschichten. Die Dramaturgie liefern das umfangreiche Quellenmaterial und die Chronologie. Im Hintergrund verändert sich die Stimmungslage durch den Nationalsozialismus. Eindringlicheres über vergangene Gefühle kann man kaum lesen. (Florian Baranyi, ORF.at)

Florian Illies: Liebe in Zeiten des Hasses. Chronik eines Gefühls 1929-1939. S. Fischer, 432 Seiten, 24,70 Euro.

Trio infernal unterm Weihnachtsbaum

Das 19. Jahrhundert ist bei den historischen Sachbüchern hoch im Kurs. Einübung und Aufbrechen der bürgerlichen Welt und die ästhetischen Entwicklungen haben viele Autoren entzündet. Nach Alex Ross „Wagnerismus“-Buch versucht sich auch Vielschreiber Herfried Münkler an der Trias Karl Marx, Friedrich Nietzsche und Richard Wagner. Münkler liest die drei Figuren als Revolutionäre, die alle daran mitgewirkt hätten, die bürgerliche Welt aus den Angeln zu heben. Am meisten daheim sieht sich Münkler bei Marx, am wenigsten hat er Wagner verstanden – insgesamt aber ein Buch, das einen nicht komplett in den Vanillekipferl-Dusel kippen lässt, sondern das Denken in Wallung hält. (Gerald Heidegger, ORF.at)

Herfried Münkler: Marx, Wagner, Nietzsche. Welt im Umbruch. Rowohlt, 774 Seiten, 35,00 Euro.

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Sexisten, die sich vor dem Aussterben fürchten

Tobias Ginsburg hat es gewagt und sich bei rechten Männerbünden undercover eingeschleust. In „Die letzten Männer des Westens“ gibt er Einblicke in die Treffen der Verteidiger der Männerwelt. Oft reichte schon ein geschmackloses Facebook-Posting in antifeministischen Gruppen und es eröffnete sich ihm die Welt der organisierten misogynen Ewiggestrigen, die Gewalt gegen Frauen verharmlosen, ja sogar fördern. Ginsburg traf sich mit Anführern und geriet nicht zuletzt in brenzlige Situationen. Der Autor beschreibt auf neutrale Weise das Gefühl, das Frauen schon seit jeher kennen: die Gefährlichkeit des Patriarchats. Sein mutiger Einblick ist das Tüpfelchen auf dem i. (Christina Vogler, ORF.at)

Tobias Ginsburg: Die letzten Männer des Westens. Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats. Rowohlt, 336 Seiten, 16,90 Euro.

Feministische Streitschrift für alle

Ann-Kristin Tlusky ist wütend. Weil Frauen stärker unter Altersarmut leiden, weil sie nicht über ihren eigenen Körper bestimmen dürfen und weil sie Angst haben müssen, nachts allein das Haus zu verlassen. Was der deutschen Kulturwissenschaftlerin und Journalistin aber genauso aufstößt, ist die Tatsache, dass Frauen immer noch süß, sanft und zart zu sein haben, um die Balance in einer ausbeuterischen Gesellschaft sicher zu stellen. „Süß“ ist eine erfrischende, lustige und scharfsinnige Streitschrift. Für alle. (Sonia Neufeld, ORF.at)

Ann-Kristin Tlusky: Süß. Eine feministische Kritik. Hanser, 209 Seiten, 18,95 Euro.

Streifzug durch die Frauenliteratur

„Trivial“, „banal“ oder „kitschig“, mit diesen Worten wird die von Frauen verfasste Literatur seit Jahrhunderten immer noch ins Eck, aus dem Kanon und unserem Gedächtnis gedrängt – auch heute noch. Einen höchst spannenden Überblick zum Thema liefert nun Nicole Seifert. Die deutsche Literaturwissenschaftlerin und Blogbetreiberin führt durch die Debatten der letzten Jahre – von „#dichterdran“ bis zur machistischen Kanonbildung – und entlarvt das Klischee sogenannter „Frauenthemen“. Seifert, die seit einigen Jahren zum Ausgleich nur mehr Bücher von Frauen liest, hat zudem jede Menge Tipps parat, die Lust auf eine (Wieder-)Entdeckung machen. (Paula Pfoser, ORF.at)

Nicole Seifert: Frauen Literatur. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt. Kiepenheuer & Witsch, 224 Seiten, 18,50 Euro.

Das große Zerstörungspotenzial des Menschen

Seit wann gestaltet der Mensch seine Umwelt – und was bleibt dabei auf der Strecke? In „Macht euch die Erde untertan“ erzählt der US-Historiker Daniel R. Headrick die Historie der Ausbeutung der Erde. Beginnend bei der Steinzeit zeigt Headrick auf, welchen Eingriff der Mensch in die Ökologie hatte und hat. Vom Einfluss der Jäger und Sammlerinnen über die Umweltsünden der Antike etwa durch den Metallabbau bis hin zum Kolonialismus und schließlich der Bewusstwerdung der Klimakrise der letzten Jahrzehnte reicht Headricks Globalgeschichte. Ein Buch über das Zerstörungspotential des Menschen quer durch die Geschichte und die Kontinente. (Peter Bauer, ORF.at)

Daniel R. Headrick: Macht euch die Erde untertan: Die Umweltgeschichte des Anthropozäns. Aus dem Englischen von Martin Richter. Wbg Theiss, 640 Seiten, 51,95 Euro.

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Himmel voll Diamantenstaub

„Macht euch die Erde untertan“: An dieser Stelle haben die Menschen die Bibel allzu wörtlich ausgelegt, findet die Pulitzerpreisträgerin Elizabeth Kolbert. Wer glaubt, dass Eingriffe in die Umwelt im großen Stil Zukunftsmusik sind, irrt. Die Autorin berichtet von diversen Versuchen, den Pfusch durch frühere Eingriffe in die Natur, von der Umleitung ganzer Flüsse bis hin zur Erderhitzung, nachträglich zu korrigieren. Klug und reflektiert weiß Kolbert von elektrifizierten Fischen, abgehärteten Korallen und Himmeln voll Diamantenstaub zu berichten. Dass dieses Buch nicht deprimierend, sondern vor allem ungeheuer interessant ist, stellt eine wahre Meisterleistung dar. (Johanna Grillmayer, ORF.at)

Elizabeth Kolbert: Wir Klimawandler. Wie der Mensch die Natur der Zukunft erschafft. Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff. Suhrkamp, 239 Seiten, 27,70 Euro.

Lichte und dunkle Jahre der Philosophie

Die Zeit der Ersten Republik war turbulent, von starker Armut durchzogen und in der Literatur und im Denken reich und innovativ. Die Moderne, sie wurde auch in Österreich geschrieben, bis der Nationalsozialismus eine brutale Zäsur brachte. „Die Ermordung des Professor Schlick“ erzählt von der Zwischenkriegszeit aus Perspektive der Wiener-Kreis-Mitglieder Moritz Schlick, Otto Neurath, Kurt Gödel und Rudolf Carnap. Die Grenzen des Denkens wurden rasch Grenzen von Biografien. Schlick wurde ermordet, andere mussten fliehen. Der Brite David Edmonds porträtiert die philosophischen Grenzgänger in einem enger werdenden politischen Raum. Große Empfehlung. (Gerald Heidegger, ORF.at)

David Edmonds: Die Ermordung des Professor Schlick. Der Wiener Kreis und die dunklen Jahre der Philosophie. C.H. Beck, 353 Seiten, 26,80 Euro.

Jüdische Widerstandskämpferinnen

Kaum etwas war bisher bekannt über jüdische Frauen, die im bewaffneten Widerstand gegen die Nazis kämpften. Judy Batalion beleuchtet in „Sag nie, es gäbe nur den Tod für uns“ dieses vergessene Kapitel des Holocausts. Sie erzählt die Geschichten dieser Frauen – die der Polin Renia Kukielka etwa, die Waffen und Nachrichten von Ghetto zu Ghetto schmuggelte – und setzt ihnen damit ein wichtiges und beeindruckendes Denkmal. Durch die (penibel recherchierte und wissenschaftlich fundierte) fiktionale Erzählweise ist das Buch zudem überaus spannend zu lesen. (Romana Beer, für ORF.at)

Judy Batalion: Sag nie, es gäbe nur den Tod für uns. Aus dem Französischen von Maria Zettner. Piper, 624 Seiten, 25,70 Euro.

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Über Rassismus reden

Die These „wer nicht rassistisch sein möchte, muss sich mit Rassismus auseinandersetzen“ zieht sich als Leitfaden durch Aladin El-Mafaalanis Buch „Wozu Rassismus?“. Der deutsche Professor für Erziehung und Bildung in der Migrationsgesellschaft beschreibt die Herausforderungen im öffentlichen Diskurs und erklärt die Notwendigkeit, über Rassismus zu sprechen, um die Überbleibsel von Herrschaftsideologien zu bekämpfen. Wer behauptet, farbenblind zu sein, laufe Gefahr, blind gegenüber Rassismus zu werden. Aktuell und fundiert informiert das Buch über Diskriminierung und soziale Ungleichheit. (Sonia Neufeld, ORF.at)

Aladin El-Mafaalani: Wozu Rassismus? Kiepenheuer & Witsch, 192 Seiten, 12,95 Euro.

Von Fremden und Gästen

Die Philosophie hat darin, Migration zu denken, systematisch versagt, so lässt sich die Ausgangsbeobachtung von Donatella Di Cesare zusammenfassen. Laut der römischen Denkerin geht es darum, aus der Perspektive der Migration den kaum hinterfragten Zuschnitt des Staates anders zu fassen. Geschult etwa an Hannah Arendt legt sie in ihrem luziden Buch die Widersprüche einer politischen Ordnung offen, die auf Besitzdenken und Ein- und Ausschlüssen basiert. Di Cesare plädiert für ein Menschenrecht der Migration und eine Kultur der Gastfreundschaft. (Florian Baranyi, ORF.at)

Donatella Di Cesare: Philosophie der Migration. Aus dem Italienischen von Daniel Creutz. Matthes und Seitz, 343 Seiten, 26,80 Euro.

Gefangen im Optimierungswahn

Immer genauer werden wir überwacht und überwachen uns selbst – mit dem Ziel der effizientesten Optimierung. Das macht Druck – und psychische Probleme. So weit, so klar, aber diese Erkenntnis manifestiert sich nicht, sie ist flüchtig. Damit man von ihr durchdrungen wird und sie fruchtbar machen kann, muss man viel genauer hinschauen: Wo sind die Ursprünge der Optimierung, welche Ideologien stehen und standen dahinter, welche gesellschaftlichen und psychischen Mechanismen laufen ab? Der Sammelband „Lost in Perfection“ liefert einen hervorragenden Überblick. Aber Achtung: wissenschaftliche Sprache. (Simon Hadler, ORF.at)

Vera King, Benigna Gerisch, Hartmut Rosa (Hrsg.): Lost in Perfection. Zur Optimierung von Gesellschaft und Psyche. Suhrkamp, 338 Seiten, 25,95 Euro.

Was ist Moral?

Der Klimawandel; der Umgang mit allen, die anders sind als weiße Menschen in heteronormativen Beziehungen; Gerechtigkeit in globaler Hinsicht: Diese aktuellen Debatten dominieren die Berichterstattung. Und sind von einem Moralbegriff durchdrungen, dessen Konsensualität und Verständnis vorausgesetzt werden – völlig fälschlicherweise. Wir müssen zurück auf die Schulbank: Was ist Moral? „Analytische Moralphilosophie“ versammelt Grundlagentexte zum Thema. Das ist höchst zeitgemäß und höchst spannend – für alle, die keine Angst vor strengem Wissenschaftsjargon haben (im Zweifelsfall hilft die Suchmaschine der Wahl). (Simon Hadler, ORF.at)

Sebastian Muders, Philipp Schwind (Hrsg.): Analytische Moralphilosophie. Grundlagentexte. Suhrkamp, 558 Seiten, 28,80 Euro.