Belavia-Flugzeug in Minsk
Reuters/Vasily Fedosenko
EU-Drohung greift

Türkei verbietet Flüchtlingsflüge nach Belarus

Auf Druck der EU lässt die Türkei Staatsbürger und Staatsbürgerinnen mehrerer arabischer Staaten nicht mehr von ihrem Staatsgebiet aus nach Belarus fliegen. Menschen mit syrischen, irakischen und jemenitischen Pässen dürften bis auf Weiteres keine Tickets mehr kaufen und nicht mehr an Bord gehen, teilte die zivile Luftfahrtbehörde der Türkei am Freitag mit. Betroffen davon sind die staatliche belarussische Fluglinie Belavia und offenbar auch Turkish Airlines.

Die EU hatte zuvor Sanktionen gegen Fluggesellschaften angedroht, die Migranten mit der Absicht der illegalen Einreise in die EU nach Belarus befördern. Nach Angaben eines EU-Beamten sollen auch keine One-Way-Tickets mehr für Flüge aus der Türkei nach Minsk verkauft werden.

Belavia werde zudem nicht mehr das Nahost-Netzwerk von Turkish Airlines nutzen können, um Reisende über Istanbul nach Minsk zu fliegen, hieß es weiter. Die jetzt getroffenen Maßnahmen seien von den türkischen Behörden mit einem Team von EU-Ratspräsident Charles Michel vereinbart worden, hieß es in Brüssel. „Ein Danke an die türkischen Behörden und die türkische Zivilluftfahrtbehörde für ihre Unterstützung und Kooperation“, schrieb Michel am Freitag auf Twitter.

Menschen in Schlafsäcken an der polnisch-belarussischen Grenze
AP/BelTA/Leonid Shcheglov
Die Situation der Flüchtlinge ist erbärmlich

Die Lage an der polnisch-belarussischen Grenze hatte sich seit Wochenbeginn dramatisch verschlechtert, als sich Tausende Menschen von belarussischer Seite aus auf den Weg in Richtung EU machten. Bereits mehrfach versuchten größere Gruppen vergeblich, die Zaunanlage zu durchbrechen, mit der Polen sie von einem Grenzübertritt abhalten will.

Vorwurf: Flüchtlinge gezielt nach Belarus geflogen

Der polnische Grenzschutz twitterte indes am Freitagvormittag, es habe zuletzt 223 Versuche des illegalen Grenzübertritts gegeben. Das wäre im Vergleich zu den Vortagen eine eher geringe Zahl. Die EU hat neue Sanktionen gegen Belarus auf den Weg gebracht, die Anfang nächster Woche formell beschlossen werden könnten.

Die Regierung in Warschau und die EU werfen dem autoritär regierenden belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, gezielt Menschen aus Krisenregionen einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen. Die Fluggesellschaft war in die Kritik geraten, nachdem Medien berichtet hatten, dass die Türkei mit Hilfe von Turkish Airlines Migranten und Migrantinnen gezielt nach Belarus einfliege.

Belarussischer Präsident Alexander Lukashenko
Reuters/Belta
Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko verwendet Flüchtlinge als Druckmittel

Turkish Airlines hatte die Vorwürfe zurückgewiesen. Der Fluggesellschaft hätten allerdings EU-Sanktionen gedroht, wenn sie sich nicht am Vorgehen gegen illegale Migration beteiligt hätte. So hätten ihr beispielsweise Flüge in die EU verboten werden können.

Belavia informiert auf Website

Laut einem vertraulichen EU-Dokument transportierte die belarussische Belavia eben in Zusammenarbeit mit Turkish Airlines auf vier bis sieben Flügen pro Woche Menschen von Istanbul nach Minsk, berichtete die deutsche Tageszeitung „Welt“. Dabei fänden jeweils 180 Passagiere Platz. Auch die Zahlen irakischer und syrischer Bürger, die über Dubai nach Minsk fliegen, steige, hatte es geheißen.

Belavia informierte auf ihrer Website ebenfalls darüber, dass Staatsbürger und -bürgerinnen aus den drei Ländern gemäß einer Entscheidung der türkischen Behörden nicht mehr an Bord ihrer Maschinen dürften. Passagiere und Passagierinnen, die von dem Verbot betroffen seien, könnten ihre Tickets an der Verkaufsstelle zurückgeben und das Geld erstattet bekommen.

Irak: 8.000 Flüchtlinge aus Kurdengebiet sitzen fest

An der Grenze zwischen Belarus und Polen sitzen nach Angaben aus dem Irak fast 8.000 Flüchtlinge aus den dortigen Kurdengebieten fest. Die kurdische Regionalregierung bemühe sich darum, ihnen humanitäre Hilfe zukommen zu lassen, sagte ein Regierungssprecher Donnerstagabend dem kurdischen TV-Sender Rudaw. Er warf der Regierung in Minsk vor, die Menschen als „politische Trumpfkarte gegen die Europäische Union“ zu benutzen.

Die irakische Zentralregierung will nach eigenen Angaben Flüchtlinge aus Belarus zurück in die Heimat bringen. Die irakische Botschaft in Moskau rief die Menschen dazu auf, sich für Rückflüge registrieren zu lassen. Ein Sprecher des irakischen Ministeriums für Migration sagte jedoch der dpa, ein Großteil von ihnen wolle nicht zurück. Die Menschen seien Opfer von Schleusernetzwerken geworden.

Bagdad stoppte Flüge bereits im August

Die irakische Regierung in Bagdad hatte bereits im August die Flüge nach Belarus gestoppt, um die Zahl der Flüchtlinge zu begrenzen. Die Menschen kommen aber über andere Flughäfen nach Minsk und von dort weiter an die Grenze.

Polnische Soldaten sicher bei Grenzssicherung
APA/AFP/Ramil Nasibulin
Tausende Menschen harren bei Eiseskälte aus, in der Hoffnung, in die EU zu kommen

Die Kurdengebiete im Norden des Irak besitzen eine weitgehende Autonomie. Sie leiden aber wie das gesamte Land unter einer Wirtschaftskrise, die sich durch den Ölpreisverfall während der Coronavirus-Krise verschärft hat. Im Nordirak greift die türkische Armee zudem immer wieder Ziele der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) an, die in den dortigen Kandil-Bergen ihr Hauptquartier hat.

Polen: Drahtzieher sitzt in Moskau

Die Präsidenten Litauens, Lettlands und Estlands wollen sich nach Angaben Litauens am Montag in Vilnius treffen, um über die Krise zu sprechen. Dabei soll auch Polens Präsident Andrzej Duda zugeschaltet werden. Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki hatte gesagt, der Drahtzieher des Vorgehens sitze in Moskau. Die russische Regierung hat das dementiert. Die russische Fluggesellschaft Aeroflot wies Vorwürfe zurück, sie sei daran beteiligt, dass Flüchtlinge nach Belarus gebracht würden.

Polens Premierminister Mateusz Morawiecki
Reuters/Bernadett Szabo
Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki beschuldigt Moskau, hinter den Flüchtlingsflügen zu stehen

Belarus und Russland gaben indes gemeinsame Militärübungen nahe der polnischen Grenze bekannt. Das belarussische Verteidigungsministerium begründete am Freitag auf Telegram die Übungen mit Fallschirmjägern beider Länder mit der „Zunahme militärischer Aktivität“ nahe der belarussischen Grenze. Moskau zufolge handelt es sich um einen Überraschungseinsatz zur „Überprüfung der Gefechtsbereitschaft“.

Schallenberg: Schwächste zynisch ausgenutzt

Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) rief unterdessen die EU zu entschlossenem Eingreifen in der Flüchtlingskrise an der Grenze zwischen Polen und Belarus auf. „Wir müssen entschlossen reagieren. Wenn ein Drittland daran denkt, die EU zu erpressen, indem es die Schwächsten zynisch ausnutzt, müssen wir deutlich machen, dass dies inakzeptabel ist“, so der Kanzler in einem Interview mit „La Repubblica“ (Freitag-Ausgabe).

„Wir haben bereits Direktflüge zwischen Bagdad und Minsk gestrichen. Aber Menschenhändler sind genauso einfallsreich wie Drogenhändler. Sie finden immer einen Weg, um ihr Geschäft zu erledigen“, so Schallenberg. „Ich bin überzeugt, dass wir als EU zeigen müssen, dass wir geeint sind und Polen und Litauen nicht allein lassen können“, fügte der Kanzler hinzu.

Rechtsstaatlichkeit: Schelte für Polen

„Wir müssen gegenüber Weißrussland (Belarus) hart sein, vor allem durch neue Sanktionen gegen Minsk und insbesondere gegen die Politiker, die für diese zynische Ausbeutung und diesen ‚hybriden Krieg‘ verantwortlich sind. Die Devise muss lauten: Wir lassen uns nicht erpressen“, so der Kanzler weiter. „Die Länder an den Außengrenzen der EU müssen sich auf unsere Solidarität verlassen können. Und zwar nicht nur durch (die EU-Grenzschutzbehörde, Anm.) Frontex und die Bereitstellung von Grenzpersonal, sondern auch durch finanzielle Unterstützung zur Sicherung der Grenzen“, so Schallenberg.

Im Hinblick auf die Beziehungen zwischen Polen und der EU, auf die Verletzung der Rechtsstaatlichkeit und die Infragestellung des Vorrangs der europäischen Verträge vor den nationalen Gesetzen „muss Polen die finanziellen Konsequenzen seiner Entscheidungen sehr ernst nehmen“. „Der Kern des Problems mit Polen ist meiner Meinung nach die Frage der Unabhängigkeit des Justizsystems“, so der Kanzler.