Virologen verspottet

Haslauer erntet Welle der Kritik

Die scharfe Kritik an Salzburgs Landeshauptmanns Wilfried Haslauer (ÖVP), der Virologinnen und Virologen Realitätsferne vorgeworfen hatte, reißt nicht ab. Im Zuge eines gemeinsamen Appells schlossen sich renommierte Fachleute aus der Virologie, Medizin und Komplexitätsforschung am Freitag zusammen, um … .

Konkret dreht sich die Kritik um Haslauers Aussagen vom Mittwoch: Er „übertreibe jetzt ein bisschen“, sagte Haslauer – um dann auszuführen, dass es „den Virologen“, am liebsten wäre, „wenn jeder einzelne Salzburger und Österreicher in ein Zimmer eingesperrt ist, weil da kann er sich nicht anstecken und er kann niemanden infizieren. Er wird halt dann leider aus Depression sterben oder verhungern oder verdursten“, sagte der Salzburger Landeshauptmann Mittwochabend.

Kurz zuvor hatte er in Beratungen mit Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) einem Lockdown in Salzburg eine Absage erteilt hatte. Eine Reaktion auf die verärgerten Expertinnen und Experten gibt es noch nicht.

„Entwicklung absolut vorhersehbar“

Dem Appell gingen bereits zahlreiche kritische Statements von Fachleuten am Mittwoch und Donnerstag voraus: Emotional reagierte der Komplexitätsforscher Peter Klimek am Donnerstagabend im ZIB2-Interview: „Was ich besonders erschütternd fand, dass Virologen der Lächerlichkeit preisgegeben wurden. Da fragt man sich als Wissenschaftler schon, welchen Umgang man mit der Wissenschaft in Österreich pflegt.“ Wenn das wissenschaftsfeindliche Klima weiter voranschreitet, begebe sich das Land einen Schritt weiter zur Bananenrepublik.

„Wir gehen davon aus, dass es in den nächsten Tagen fünfstellig weitergeht“, sagte Klimek zum Anstieg der Infektionszahlen. Ein Wendepunkt sei nicht abzusehen. „Wir gehen nicht davon aus, dass die Spitze erreicht ist.“ Die Frage sei nur, wie steil die Kurve in einzelnen Bezirken ansteigt. „Diese Entwicklung war absolut vorhersehbar.“ Die Politik habe selbstverständlich gewusst, dass sich die Coronavirus-Welle so aufbaue, all das sei vorhersehbar gewesen, sagte Klimek.

Forscher: Weiterer CoV-Anstieg zu erwarten

Komplexitätsforscher Peter Klimek erwartet einen weiteren Anstieg an positiven Testergebnissen. Darauf müsse reagiert werden.

Zustimmung erhielt Klimek auch vom Virologen Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM). „Liebe Politik, seriöse Wissenschaft ist Teil der Lösung, nicht das Problem“, schrieb dieser bei Twitter.

„Entbehrt jeglicher Wahrheit“

Schon Mittwochabend hatte Ulrich Elling vom Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften den Aussagen Haslauers gekontert. Die Unterstellung in Richtung der Virologen und die Absage an Lockdowns sei ein Symptom der Hilflosigkeit, sagte der Molekularbiologe im Puls24-Interview.

Die Kritik sei diffamierend und motivationszerstörend für Wissenschaftler. „Es entbehrt jeglicher Wahrheit. Das sind komplette ‚Fake News‘, die Behauptungen, dass wir Leute einsperren wollen“, sagte Elling. Die Experten hätten die Dynamik der Pandemie sehr wohl vorhergesehen und rechtzeitig intelligente Maßnahmen vorgeschlagen, damit Lockdowns verhindert werden könnten. Nur die Politik hätte nicht gehört.

Molekularbiologe Ulrich Elling
APA/Roland Schlager
Molekularbiologe Elling ortet Hilflosigkeit der Politik

Bereits im August habe das Prognosekonsortium gesagt, dass es in den Spitälern eng werden wird. Dass die Impfeffizienz wegen Delta abnehme und Auffrischungsimpfungen helfen, sei – Beispiel Israel – auch bekannt gewesen. Der Stufenplan sei dann nicht auf die Pandemie zugeschnitten gewesen, sondern auf den Wahlkampf in Oberösterreich, sagte Elling. Jetzt brauche man „Akutmaßnahmen“ und hätte kurzfristig nur noch die Wahl zwischen „einer Vollbremsung oder Augen zu und durch“.

Szekeres ortet Ablenkungsmanöver

Offensichtlich werde hier versucht, von eigenen politischen Versäumnissen abzulenken, heißt es in einer Aussendung von Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres. Das aber sei gefährlich in einer Zeit, in der Verschwörungstheorien und „Fake News“ immer mehr die Runde machten und große Teile der Bevölkerung damit noch mehr verunsichert würden, so Szekeres weiter. „Bereits im Sommer haben alle Virologinnen und Virologen vor der massiven vierten Welle gewarnt. Die Politik aber hat viel zu zögerlich gehandelt, um hier rechtzeitig gegenzusteuern“, kritisiert er.

„Erschreckend“ lautete ebenfalls noch Mittwochabend das Urteil von Marco Pogo, der nicht nur Musiker und Bezirkspolitiker, sondern auch Arzt ist. „Ich bin fassungslos“, kommentierte er in der ORF-Sendung „Talk 1“ die Aussagen Haslauers. „Mich wundert es, dass der Aufschrei noch gar nicht so laut ist. Und dass die Wenisch, von Laer und Nowotnys und wie sie alle heißen nicht sagen: ‚He Kollege, regnet es dir eigentlich rein?‘“

„Danke herzlich für die Wortmeldung. Nicht wundern – die bei den Forschenden wahrgenommene Wertschätzung durch Landespolitiker ist überschaubar…;-(“, schrieb der Simulationsexperte Niki Popper unter einen von Pogo auf Twitter verbreiteten Interviewausschnitt.

Von Laer: Politik am Zug

Ganz so drastisch formulierte es die von Pogo angesprochene Innsbrucker Virologin Dorothee von Laer zwar dann nicht. Kritik übte sie am Tag nach dem Auftritt Haslauers aber sehr wohl. Das „ist natürlich Unsinn“, sagte sie gegenüber dem „Standard“. „Was wir bisher gemacht haben, hat nicht ausgereicht. Wenn die Zahlen nicht wirklich sinken, dann müssen eben weitere Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Dazu gehört auch eine Kontaktbeschränkung“, so die Virologin.

VirologinDorothee von Laer
APA/Helmut Fohringer
Die Virologen legten Tatsachen vor, die Politik müsse entscheiden, sagte die Innsbrucker Virologin von Laer

Die Wissenschaft verkünde nur Tatsachen. Welche Maßnahmen dann tatsächlich getroffen werden, entscheide dann aber die Politik – und die müsse jetzt entscheiden, so von Laer. Die Frage sei, wie viele Tote „will man tolerieren, was ist den Mitarbeitern in den Intensivstationen und im Krankenhaus zuzumuten? Das ist eine gesellschaftliche Entscheidung. Ansonsten soll die Politik klar sagen: Wir wollen die Zahlen nicht senken, es sollen mehr Leute sterben, das haben wir mehrheitlich entschieden.“

„Falsche Botschaft“

„Als völlig überzogen“ bezeichnete die Aussage auch der Epidemiologe Hans-Peter Hutter – sie entbehre „jeglicher Grundlage. Auch die Botschaft, die vermittelt wird, ist sowohl in Richtung Geimpfte als auch in Richtung Ungeimpfte falsch“, sagte der Experte.

Sein Namensvetter und Sprecher der Spitalsärzte in der Salzburger Ärztekammer, Jörg Hutter, kritisierte am Donnerstag zwar Haslauer nicht namentlich – nahm aber ebenfalls die Politik allgemein in die Pflicht. „Der Ist-Zustand in den Krankenhäusern klafft weit von dem auseinander, was gestern auf der Pressekonferenz gesagt worden ist.“ Bisher seien fast alle Prognosen, die von Analytikern erstellt worden seien, letztlich auch eingetroffen.

Auch der Salzburger Ärztevertreter sprach sich für baldige Kontaktrestriktionen aus. „Sämtliche Maßnahmen, die wir jetzt ergreifen, und das ist die Befürchtung vieler Ärzte, werden erst in zwei bis drei Wochen schlagend. Im Krankenhaus laufen dann wieder alle hinterher, darum brauchen wir jetzt kurzfristige Maßnahmen.“