Passanten gehen im Gegenlicht in einer Salzburg Einkaufsstraße.
APA/Barbara Gindl
Lockdown für Ungeimpfte

„Es ist ein Kommunikationsdesaster“

Mit ihren Ankündigungen zum Lockdown für Ungeimpfte haben die Bundesregierung – allen voran Kanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) – und Landeshauptleute für große Verwirrung gesorgt. Denn hatte Schallenberg am Freitag eine bundesweite Maßnahme angekündigt, so war bei Mückstein kurz später nur von Oberösterreich und Salzburg die Rede. „Es ist ein Kommunikationsdesaster“, fasste es der Politologe Peter Filzmaier gegenüber ORF.at zusammen. Auch die Opposition übt Kritik.

Vier Pressekonferenzen wurden am Freitag zum Thema Lockdown für Ungeimpfte abgehalten. Erst sprach Kanzler Schallenberg in Tirol, dann – fast zeitgleich, aber nicht gemeinsam – Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) in Linz und Gesundheitsminister Mückstein in Wien, gefolgt von Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) in Salzburg. Abgestimmt, so schien es, war am Freitag aber wenig.

„Das Ziel ist ganz klar, dass wir diesen Sonntag grünes Licht geben für einen bundesweiten Lockdown für Ungeimpfte“, sagte Schallenberg kurz vor 13.00 Uhr. Mückstein schien davon bei einem Statement im Anschluss an eine Videokonferenz mit den Landeshauptleuten der am stärksten von der Pandemie betroffenen Bundesländer Oberösterreich und Salzburg wenig später nichts zu wissen: „In einer Videokonferenz mit den Landeshauptleuten haben wir uns soeben darauf geeinigt, dass in diesen beiden Bundesländern die Stufe fünf vorgezogen wird. Das wird ab Montag in Kraft treten, also ein Lockdown für Ungeimpfte.“

Schallenberg für bundesweite Lösung

Die aktuellen CoV-Zahlen bereiten weiter Grund zur Sorge, 40 CoV-Tote und fast 11.800 neue Infektionen seit gestern zwingen zu neuen Maßnahmen. Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) hat dem von ihm bereits am Donnerstag ventilierten Lockdown für Ungeimpfte nun einen konkreten Zeitplan verpasst.

Verwirrung bei Journalisten

Die divergierenden Aussagen von Mückstein und Schallenberg sorgten auch für Rätselraten bei den bei der Pressekonferenz anwesenden Journalistinnen und Journalisten: Gleich mehrmals fragten diese bei Mückstein nach, ob der Lockdown für Ungeimpfte nun am Montag in Salzburg und Oberösterreich oder aber in allen neun Bundesländern gelten solle.

„In der Bundesregierung sind wir in enger Abstimmung“, sagte Mückstein darauf paradoxerweise. „Die nächsten Schritte sind am Sonntag eine Videokonferenz mit den Landeshauptleuten, mit der Bundesregierung, und am Abend wird der Hauptausschuss des Nationalrates tagen.“ Insgesamt neunmal wiederholte der Minister jene Worte, wenn auch leicht abgewandelt. Eine eindeutige Antwort blieb Mückstein aber schuldig. Offene Fragen gibt es überdies zur Umsetzung bzw. Kontrolle eines solchen Lockdowns.

Mückstein (Grüne): Impfpflicht für Gesundheitsberufe

Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) spricht über die aktuellen Entwicklungen der CoV-Krise und erläutert die neuen Maßnahmen. Unter anderem gehört eine Impfpflicht für Gesundheitsberufe zu den neuen Regelungen.

Filzmaier: Kommunikationsschaden ist „massiv“

„Es ist ein Kommunikationsdesaster“, sagte Filzmaier. „Das Zauberwort der Krisenkommunikation lautet ja – auf Englisch – One-Voice-Policy. Das heißt, mit einer Stimme zu sprechen“, so Filzmaier weiter. Perfekt geklappt habe das nie: „Aber im Vergleich zu so einem Widerspruch war natürlich der Streit über die Bundesgärten in Wien zwischen Land und Bund noch eine Petitesse.“ Nun gebe es grundlegende Widersprüche, „und das, obwohl die Glaubwürdigkeit und Vertrauen das höchste Gut ist“.

Naheliegend mag – angesichts der Regierungskrise, in der sich ÖVP und Grüne noch ob der ÖVP-Affäre vor wenigen Wochen wiederfanden – auch die Annahme sein, dass der türkise Kanzler, der seinem Vorgänger und ÖVP-Obmann Sebastian Kurz die Stange hält, den Grünen Minister habe auflaufen lassen. „Die Spekulationen sind aus meiner Sicht müßig, denn der Kommunikationsschaden ist so oder so massiv“, sagte der Politologe dazu.

Es gebe ja nur zwei Möglichkeiten, so der Experte: „Erstens: Die Koordination der Regierungskommunikation funktioniert ungewollt nicht, man schafft es nicht. Oder zweitens: Es funktioniert gewollt nicht, man spielt politische Strategiespielchen mitten am Höhenpunkt der Pandemie“, führte Filzmaier aus. „Beides ist gleichermaßen schlimm.“

„Das nächste Problem droht“

Auch das „nächste Problem“ drohe der Regierung dem Politologen zufolge bereits. Sollten die jetzigen Maßnahmen nicht reichen, dann hat die Regierung – sowohl jene unter Schallenberg wie auch schon jene unter Kurz – ihre Kommunikation „in eine Sackgasse manövriert“. Entweder müsse sie dann Maßnahmen setzen, die sie als „wortbrüchig“ oder „gar als Lügner“ dastehen lasse (etwa bei einem Lockdown für alle oder einer generellen Impfpflicht) – „oder sie macht das nicht, hat nichts mehr in der Hand und muss für den Fall, dass die jetzigen Maßnahmen nicht wirken – mehr Tote in Kauf nehmen“.

„Von allen guten Geistern verlassen“

Kritische Worte fand am Freitag auch die Opposition. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch kritisierte abermals das seiner Meinung nach katastrophale CoV-Management der Regierung. Dass Schallenberg und Mückstein sich bei einem so wichtigen Thema wie beim Lockdown offen widersprechen, zeige, dass die Regierung auch nach 20 Monaten Pandemieerfahrung nicht gescheiter geworden und heillos überfordert sei.

„Diese Bundesregierung ist von allen guten Geistern verlassen“, kommentierte FPÖ-Chef Herbert Kickl die Pläne. Mit der Impfpflicht für Mitarbeiter im Gesundheitsbereich breche die Regierung das oftmals abgegebene Versprechen, wonach es zu keiner Impfpflicht in Österreich kommen werde, meinte Kickl, für den die Maßnahme „an Absurdität nicht zu überbieten“ ist. Im Gesundheitsbereich fehlten Hunderte Mitarbeiter, mit der Impfpflicht würden weitere das Handtuch werfen, „weil sie sich nicht in eine Impfung treiben lassen wollen“, befürchtete der FPÖ-Obmann.

NEOS: „Lockdown-Chaos“

Ein „Lockdown-Chaos“ der Regierung ortet NEOS. Schallenberg und Mückstein stünden nun „vor dem Scherbenhaufen, den sie gemeinsam mit ihren Vorgängern zu verantworten haben“, meinte deren stellvertretende Klubchef Gerald Loacker in einer Aussendung und: „Alleine, dass sich heute Kanzler und Gesundheitsminister widersprechen, zeigt das türkis-grüne Chaos deutlich.“

Zum Lockdown für Ungeimpfte meinte Loacker, dass die bereits jetzt geltende 2-G-Regel einem Freizeit-Lockdown für Ungeimpfte gleichkomme. „Ausgangssperren sehen wir aber auch für Ungeimpfte weiterhin sehr kritisch, auch weil sich die Frage stellt, wie die Behörden diese kontrollieren sollen.“

Dannhauser und Mayr (ORF) zur aktuellen CoV-Lage

Claudia Dannhauser und Günter Mayr (ORF) sind zu Gast im Studio und sprechen über die aktuelle CoV-Lage in Österreich.

Auch Länder ohne stringente Kommunikation

Stringent war die Kommunikation aber auch in den Ländern nicht. So hatte etwa Oberösterreichs Landeshauptmann Stelzer noch am Mittwoch einen Lockdown für Ungeimpfte ausgeschlossen, schwenkte am Donnerstag aber um. Auch Salzburgs Landeshauptmann Haslauer schloss einen Lockdown für Ungeimpfte noch bis zur Videokonferenz mit Stelzer und Mückstein am Freitag aus, „akzeptiert“ einen solchen aber nun.

Haslauer zog sich wohlgemerkt zuletzt auch den Unmut von renommierten Fachleuten – Virologen, Komplexitätsforscher und Co. – auf sich, nachdem er diesen angesichts der Vorschläge über einen Lockdown für Ungeimpfte zuvor Realitätsferne vorgeworfen hatte. Mehr Klarheit in Sachen Lockdown und Kontrolle eines solchen sollte es spätestens im Anschluss an die Beratungen zwischen Bund und Ländern und der Sitzung des Hauptausschusses des Nationalrats am Sonntag geben. Was, wo und wann genau gilt, blieb am Freitag aber offen.