Menschen mit Maske in der Wiener Innenstadt
AP/Florian Schroetter
Vor Verschärfung

Fachleute für „durchgreifende Maßnahmen“

Ein Lockdown für Ungeimpfte steht in ganz Österreich vor der Tür. Am Sonntag beraten dazu Regierung und Landeshauptleute weitere Verschärfungen, die schon am Montag gelten sollen. Zuvor appellieren namhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für konsequente Maßnahmen: „Wir wollen möglichst viel vom alten Leben zurück!“

So wie von Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) am Freitag angekündigt, dürfte es bald in ganz Österreich einen Lockdown für jene geben, die weder gegen Coronavirus geimpft noch davon genesen sind. Die Infektionszahlen schossen zuletzt durch die Decke, besonders in Salzburg und Oberösterreich – ein Szenario, vor dem Fachleute wochenlang gewarnt hatten. Nun will die Regierung die Notbremse ziehen. Schallenberg und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) wollen am Sonntag per Videokonferenz mit den Landeshauptleuten beraten.

„Wir schaffen das, wenn …“

Am Freitagabend veröffentlichte eine Gruppe aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einen schriftlichen Appell. Das unter anderem von den Virologen Dorothee von Laer, Andreas Bergthaler und Florian Krammer gezeichnete Papier fordert „konsequente Maßnahmen zur Kontaktreduktion“, die Erhöhung der Impfquote und verpflichtende PCR-Tests auch für Geimpfte. Von der Politik fordern die Expertinnen und Experten, Partikularinteressen hintanzustellen.

„Wir wollen möglichst viel von unserem alten Leben zurück! Und wir schaffen das, wenn wir uns gemeinsam anstrengen“, heißt es in dem „unabhängigen Statement der Wissenschaft“ unter dem Titel „Zurück zur Normalität“. Die vierte Infektionswelle sei wegen der niedrigen Impfrate von zahlreichen Expertinnen und Experten erwartet worden. Daher brauche es nun konsequente und „sehr kurzfristig“ wirkende Maßnahmen zur Kontaktreduktion, um die fehlende Immunisierung auszugleichen.

Aus 2-G soll 2-G Plus werden

Konkret schlugen die Fachleute eine FFP2-Maskenpflicht in Innenräumen sowie PCR-Testpflicht in Lokalen auch für Geimpfte und Genesene vor: „Aus 2-G muss ein 2-G Plus werden; das muss konsequent umgesetzt und auch kontrolliert werden.“ Auch flächendeckende PCR-Tests an den Schulen sollen verwendet werden, um infizierte Schülerinnen und Schüler sowie ihre Haushaltsmitglieder zu isolieren und die Infektionsketten damit zu durchbrechen. Am Arbeitsplatz sollten Ungeimpfte ebenfalls PCR-Tests vorlegen müssen, anstatt die weniger verlässlichen Antigen-Tests.

Lockdown für Ungeimpfte ab Montag

In Oberösterreich und Salzburg wird bereits ab kommendem Montag ein Lockdown für jene Menschen gelten, die nicht gegen eine Infektion geschützt sind. Noch am Wochenende aber soll entschieden werden, ob diese Maßnahme auf ganz Österreich ausgedehnt wird.

Die Experten verwiesen darauf, dass ein Erkrankter aktuell bis zu 1,4 weitere Menschen anstecke. „Bei einem momentanen Reproduktionsfaktor von 1,2 bis 1,4 müssen wir Kontakte um 30 Prozent reduzieren“, hieß es in dem Papier. „Dazu sind nur durchgreifende und unmittelbare Maßnahmen geeignet. Die bisher im Stufenplan vorgesehenen Maßnahmen haben kaum dämpfende Wirkung gezeigt.“

Weiters forderten sie eine „Impfoffensive“ – sowohl bei den noch Ungeimpften als auch zur Forcierung der Auffrischungsimpfungen. Diese würden zwar nur längerfristig wirksam, seien aber essenziell. Die Bedeutung, Wirksamkeit und Sicherheit der Impfung müsse transparent, konsequent und wiederholt kommuniziert werden.

Reaktion auf Haslauer-Sager

Das „unabhängige Statement der Wissenschaft“ gilt auch als Reaktion auf abschätzige Bemerkungen des Salzburger Landeshauptmanns Wilfried Haslauer (ÖVP). Er hatte am Mittwoch gemeint, „dass es Virologen am liebsten wäre, jeden Österreicher in ein Zimmer zu sperren“. Wissenschaftler und Ärzte kritisierten ihn daraufhin scharf und warfen ihm vor, von politischem Versagen abzulenken und „Fake News“ zu verbreiten.

Im Expertenpapier heißt es in Richtung Politik: „Die Kommunikation in der Öffentlichkeit muss konsequent, faktenbasiert, ehrlich und transparent sein. Das Ziel der Pandemiekontrolle im Wohle und im Interesse der gesamten Gesellschaft muss vor (politischen) Partikularinteressen stehen.“

Haslauer über „Empörungskultur“

Haslauer reagierte am Freitag auf die Kritik an ihm. Es sei gar keine Frage, dass es Aufgabe der Virologen sei, auf ihre Sicht der Dinge hinzuweisen. „Aber wir haben auch die langfristigen Auswirkungen miteinzubeziehen. Ich habe das pointiert zum Ausdruck gebracht, die Reaktion darauf war genauso pointiert, indem man mir Wissenschaftsfeindlichkeit vorgeworfen hat.“ Das sei keineswegs der Fall. „In der Empörungskultur, die in Österreich zurzeit herrscht, kann man keine pointiert formulierte Aussage treffen“, so der Landeshauptmann.

Am Mittwoch hatten Haslauer und Stelzer einen Lockdown für Ungeimpfte in ihren Bundesländern noch abgelehnt. Am Donnerstag kündigte Stelzer diesen schließlich doch für Oberösterreich an. Am Freitag zog dann auch Haslauer für Salzburg nach, der ankündigte, die Verordnung mittragen zu wollen. Entscheiden müsse das aber zuvor der Hauptausschuss des Nationalrats am Sonntag.

Noch offene Fragen

Ein Lockdown für Ungeimpfte ist die höchste Eskalationsstufe im Stufenplan der Bundesregierung. Sie sah ursprünglich vor, dass bei einer Intensivstationsauslastung von über 600 Betten „Ausgangsbeschränkungen“ für Ungeimpfte kommen. Damit soll für all jene, die weder eine Impfung noch einen aufrechten Genesungsstatus vorweisen können, das Verlassen des eigenen privaten Wohnbereichs nur noch in Ausnahmefällen gestattet sein. Erlaubt ist etwa noch die Grundversorgung (wie Einkäufe) oder der Weg zur Arbeit. Das Szenario wird nun wohl vorgezogen. Am Freitag lagen 436 CoV-Patienten auf Intensivstationen.

Wie genau der Lockdown für Ungeimpfte ausgestaltet sein wird und wie das kontrolliert werden soll, ist noch nicht bekannt. Die Kontrollen sollen „stichprobenartig“ vorgenommen werden, meinte Schallenberg. Die Wohnung verlassen könne man dann, wenn man der Arbeit nachgehen, notwendige Besorgungen machen müsse und sich „die Füße vertreten“ wolle. Engmaschige Kontrollen könne es aber nicht geben, erklärte der Bundeskanzler: „Wir leben ja nicht in einem Polizeistaat und können und wollen nicht an jeder Straßenecke kontrollieren.“

Klarheit erbeten

Vonseiten der meisten Bundesländer wird der bundesweite Vorstoß in Richtung eines Lockdowns für Ungeimpfte unterstützt – es müsse nur klar sein, „was gemeint ist unter einem Lockdown für Ungeimpfte“, so etwa Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) zeigte sich dagegen „skeptisch“, was die Sinnhaftigkeit und praktische Umsetzbarkeit betrifft, so Doskozil, der erneut auf die hohe Impfquote in seinem Bundesland verwies.

Lockdown: Schwierige Umsetzung

Der Lockdown für Ungeimpfte wirft viele Fragen auf – vor allem verfassungsrechtlicher Natur. Schließlich ist eine Verordnung nur etwas wert, wenn sie auch eingehalten und durchgesetzt wird. Was also sagen Verfassungsexperten dazu? Die ZIB hat einen um seine Einschätzung gebeten.

Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sprach sich am Freitag ganz allgemein für eine österreichweite Regelung aus: „Die noch zu geringe Impfquote führt zu Überlastungen in den Spitälern. Daher ist es vernünftig, bundeseinheitlich diesen Schritt zu setzen – und nicht über einen Lockdown für alle zu spekulieren. Denn die mangelnde Impfbereitschaft einiger darf nicht zu Einschränkungen aller führen.“