Bundespräsident Alexander Van der Bellen
APA/Herbert Neubauer
„Pandemielage sehr ernst“

Van der Bellen appelliert an Länder und Bund

In Österreich steigen die Infektionszahlen weiter stark an – am Samstag sind mehr als 13.000 neue Fälle gemeldet worden. Nun steht ein Lockdown für Ungeimpfte in ganz Österreich vor der Tür. Bundespräsident Alexander Van der Bellen rief im Vorfeld der Beratungen zwischen Bund und Ländern dazu auf, die Lage nicht zu unterschätzen: „Es muss gehandelt werden.“

Am Sonntag beraten dazu Regierung und Landeshauptleute weitere Verschärfungen, die schon am Montag gelten sollen. Zuletzt war viel Kritik an der Politik laut geworden, man handle zu zögerlich und nehme die Ratschläge von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nicht ernst genug. Van der Bellen rief am Samstag Bund und Länder in einer Aussendung dazu auf, Maßnahmen zu setzen und diese auch klar zu kommunizieren.

„Hören Sie auf den Rat unserer Expertinnen und Experten!“, „Nehmen Sie deren Vorschläge ernst!“, „Bitte handeln Sie jetzt rasch!“ und „Bitte handeln Sie klar und kommunizieren Sie nachvollziehbar!“, so die Aufrufe des Bundespräsidenten, der auch von einer „besorgniserregenden Pandemielage“ sprach. Diese sei „ernst. Sehr ernst“.

Die Situation in den Krankenhäusern sei „teilweise bereits unerträglich“. Das Gesundheitspersonal sei an seiner Belastungsgrenze. Es drohe die Überlastung, und die Prognosen für die nächsten Wochen verhießen nichts Gutes, warnte der Bundespräsident. „Es muss gehandelt werden.“

„Keinen Streit“

Er habe bereits am Freitag mit Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) sowie einigen Landeshauptleuten gesprochen, so Van der Bellen. Auch da habe er seine Sorge angesichts der bedrohlichen Lage deutlich zum Ausdruck gebracht. Österreich brauche jetzt sowohl Klarheit als auch eine gemeinsame Vorgangsweise, „keinen Streit und keine neuen Gräben“, appellierte er nachdrücklich. „Rasches, konsequentes, verfassungskonformes Handeln und klare Entscheidungen – auch wenn diese unbequem sind“, seien nun notwendig.

Statistiker Erich Neuwirth zur CoV-Lage

„Die Impfung wirkt“, glaubt Statistiker Erich Neuwirth

Die Stimmung in der Bevölkerung reiche angesichts extrem steigender Zahlen „von Depression und Sorge um das wirtschaftliche Fortkommen bis zu wechselseitigem Unverständnis und Aggression“. Führende Expertinnen und Experten seien sich über das notwendige Ziel aber einig. So müssten Maßnahmen gesetzt werden, die sehr kurzfristig wirken, so Van der Bellen. Kontakte müssten um 30 Prozent reduziert werden.

Fachleute geben Richtung vor

Der Bundespräsident zitierte dabei ein Schreiben namhafter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich am Freitagabend per Brief an die Öffentlichkeit gewandt hatten. Das unter anderem von den Virologen Dorothee von Laer, Andreas Bergthaler und Florian Krammer gezeichnete Papier fordert „konsequente Maßnahmen zur Kontaktreduktion“, die Erhöhung der Impfquote und verpflichtende PCR-Tests auch für Geimpfte. Von der Politik forderten die Expertinnen und Experten, Partikularinteressen hintanzustellen.

„Wir wollen möglichst viel von unserem alten Leben zurück! Und wir schaffen das, wenn wir uns gemeinsam anstrengen“, heißt es in dem „unabhängigen Statement der Wissenschaft“ unter dem Titel „Zurück zur Normalität“. Die vierte Infektionswelle sei wegen der niedrigen Impfrate von zahlreichen Expertinnen und Experten erwartet worden. Daher brauche es nun konsequente und „sehr kurzfristig“ wirkende Maßnahmen zur Kontaktreduktion, um die fehlende Immunisierung auszugleichen.

Aus 2-G soll 2-G Plus werden

Konkret schlugen die Fachleute eine FFP2-Maskenpflicht in Innenräumen sowie PCR-Testpflicht in Lokalen auch für Geimpfte und Genesene vor: „Aus 2-G muss ein 2-G Plus werden; das muss konsequent umgesetzt und auch kontrolliert werden.“ Auch flächendeckende PCR-Tests an den Schulen sollen verwendet werden, um infizierte Schülerinnen und Schüler sowie ihre Haushaltsmitglieder zu isolieren und die Infektionsketten damit zu durchbrechen. Am Arbeitsplatz sollten Ungeimpfte ebenfalls PCR-Tests vorlegen müssen, anstatt die weniger verlässlichen Antigen-Tests.

Lockdown für Ungeimpfte ab Montag

In Oberösterreich und Salzburg wird bereits ab kommendem Montag ein Lockdown für jene Menschen gelten, die nicht gegen eine Infektion geschützt sind. Noch am Wochenende aber soll entschieden werden, ob diese Maßnahme auf ganz Österreich ausgedehnt wird.

Die Experten verwiesen darauf, dass ein Erkrankter aktuell bis zu 1,4 weitere Menschen anstecke. „Bei einem momentanen Reproduktionsfaktor von 1,2 bis 1,4 müssen wir Kontakte um 30 Prozent reduzieren“, hieß es in dem Papier. „Dazu sind nur durchgreifende und unmittelbare Maßnahmen geeignet. Die bisher im Stufenplan vorgesehenen Maßnahmen haben kaum dämpfende Wirkung gezeigt.“

Weiters forderten sie eine „Impfoffensive“ – sowohl bei den noch Ungeimpften als auch zur Forcierung der Auffrischungsimpfungen. Diese würden zwar nur längerfristig wirksam, seien aber essenziell. Die Bedeutung, Wirksamkeit und Sicherheit der Impfung müsse transparent, konsequent und wiederholt kommuniziert werden.

Reaktion auf Haslauer-Sager

Das „unabhängige Statement der Wissenschaft“ gilt auch als Reaktion auf abschätzige Bemerkungen des Salzburger Landeshauptmanns Wilfried Haslauer (ÖVP). Er hatte am Mittwoch gemeint, „dass es Virologen am liebsten wäre, jeden Österreicher in ein Zimmer zu sperren“. Wissenschaftler und Ärzte kritisierten ihn daraufhin scharf und warfen ihm vor, von politischem Versagen abzulenken und „Fake News“ zu verbreiten.

Im Expertenpapier heißt es in Richtung Politik: „Die Kommunikation in der Öffentlichkeit muss konsequent, faktenbasiert, ehrlich und transparent sein. Das Ziel der Pandemiekontrolle im Wohle und im Interesse der gesamten Gesellschaft muss vor (politischen) Partikularinteressen stehen.“

Haslauer über „Empörungskultur“

Haslauer reagierte am Freitag auf die Kritik an ihm. Es sei gar keine Frage, dass es Aufgabe der Virologen sei, auf ihre Sicht der Dinge hinzuweisen. „Aber wir haben auch die langfristigen Auswirkungen miteinzubeziehen. Ich habe das pointiert zum Ausdruck gebracht, die Reaktion darauf war genauso pointiert, indem man mir Wissenschaftsfeindlichkeit vorgeworfen hat.“ Das sei keineswegs der Fall. „In der Empörungskultur, die in Österreich zurzeit herrscht, kann man keine pointiert formulierte Aussage treffen“, so der Landeshauptmann.

Am Mittwoch hatten Haslauer und Stelzer einen Lockdown für Ungeimpfte in ihren Bundesländern noch abgelehnt. Am Donnerstag kündigte Stelzer diesen schließlich doch für Oberösterreich an. Am Freitag zog dann auch Haslauer für Salzburg nach, der ankündigte, die Verordnung mittragen zu wollen. Entscheiden muss das aber zuvor der Hauptausschuss des Nationalrats am Sonntag. Dieser wird voraussichtlich um 18.00 Uhr im Plenarsaal zusammentreten. Weil die FPÖ die im Parlament eigentlich übliche einstimmige Terminfindung verweigert hat, will Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) den Termin in einer Präsidialsitzung am Samstagabend besprechen. Formal könnte Sobotka den Hauptausschuss auch im Alleingang einberufen, was FPÖ-Chef Herbert Kickl in einer Aussendung als „autoritär“ bezeichnete.

Noch offene Fragen

Ein Lockdown für Ungeimpfte ist die höchste Eskalationsstufe im Stufenplan der Bundesregierung. Sie sah ursprünglich vor, dass bei einer Intensivstationsauslastung von über 600 Betten „Ausgangsbeschränkungen“ für Ungeimpfte kommen. Damit soll für all jene, die weder eine Impfung noch einen aufrechten Genesungsstatus vorweisen können, das Verlassen des eigenen privaten Wohnbereichs nur noch in Ausnahmefällen gestattet sein. Erlaubt ist etwa noch die Grundversorgung (wie Einkäufe) oder der Weg zur Arbeit. Das Szenario wird nun wohl vorgezogen. Am Freitag lagen 436 CoV-Patienten auf Intensivstationen.

Wie genau der Lockdown für Ungeimpfte ausgestaltet sein wird und wie das kontrolliert werden soll, ist noch nicht bekannt. Die Kontrollen sollen „stichprobenartig“ vorgenommen werden, meinte Schallenberg. Die Wohnung verlassen könne man dann, wenn man der Arbeit nachgehen, notwendige Besorgungen machen müsse und sich „die Füße vertreten“ wolle. Engmaschige Kontrollen könne es aber nicht geben, erklärte der Bundeskanzler: „Wir leben ja nicht in einem Polizeistaat und können und wollen nicht an jeder Straßenecke kontrollieren.“

FPÖ will demonstrieren

Die FPÖ ging am Samstag erneut in Totalopposition gegen die Maßnahmen der Regierung. Sowohl einen Lockdown für Ungeimpfte als auch die angekündigte Impfpflicht im Gesundheitswesen bezeichnete Kickl als „totalitäre Maßnahmen“. Für kommenden Samstag kündigte die FPÖ eine Demonstration in der Wiener Innenstadt an.

Auch dass sich Genesene nach spätestens sechs Monaten impfen lassen sollen, um weiterhin unter die 2-G-Regel zu fallen, missfällt der FPÖ. Der selbst nach einer Coronavirus-Erkrankung genesene oberösterreichische FPÖ-Chef Manfred Haimbuchner will das vom Verfassungsgerichtshof überprüfen lassen, wie „Kronen Zeitung“ und „Oberösterreichischen Nachrichten“ berichteten. Haimbuchner regiert in Oberösterreich gemeinsam mit der ÖVP.