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ORF.at/Roland Winkler
Neue Maßnahmen

Fachleute erwarten „kaum Effekt“

Die Reaktionen auf den Lockdown für Ungeimpfte sind am Sonntag gemischt ausgefallen: Expertinnen und Experten äußerten Zweifel, dass die Maßnahmen die gewünschte Wirkung zeigen. In einem internen Protokoll der Ampelkommission heißt es etwa, dass im Hinblick auf die derzeitige Situation „kaum merkliche Effekte“ erzielt werden könnten. Kritik kam von der Opposition. In vielen Ländern zeigte man Verständnis für die Regeln.

Die Aussagen über die Auswirkungen der Maßnahmen stammen laut dem Protokoll, das der APA vorliegt, von einem Vertreter der Gesundheit Österreich GmbH. Dieser sagte auch, dass die Maßnahmen wohl schwer umsetzbar sind. Ein großräumiges, allgemeines Regime von Kontaktreduktionen sei vermutlich alternativlos.

Skeptisch äußerte sich diesbezüglich auch der Vertreter des Innenressorts. Die Kontrollierbarkeit eines etwaigen Lockdowns für Ungeimpfte sei sehr schwierig und nur mit großem (Verwaltungs-)Aufwand möglich.

Die Vertreterin aus Tirol kritisierte, dass ein Setzen nur auf 2-G ein zu hoher Zeitverlust sei. Der Lockdown für Ungeimpfte sei „wenig sinnvoll“. Der Vertreter der Medizin-Unis betonte, dass ein Lockdown für Ungeimpfte aus fachlicher Sicht nur einen geringen Effekt haben werde.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP)  Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne)
APA/Georg Hochmuth
Die verschärften Maßnahmen wurden am Sonntag gemeinsam mit den Ländern beschlossen

Konsens zu dritter Impfung

In die Gegenrichtung argumentierte vor allem der Vertreter des Bundeskanzleramts. Dieser gab zu bedenken, dass eine Empfehlung in Richtung weiterer Maßnahmen für Geimpfte kontraproduktiv sein und Menschen davon abhalten könnte, die Drittimpfung in Anspruch zu nehmen.

Konsens war, dass der dritte Stich forciert werden sollte. Laut der Vertreterin der AGES gibt es mehr Impfdurchbrüche als erwartet, primär in jener Altersgruppe, die zwischen Jänner und März 2021 erstmals geimpft wurde. Eine Impfeffektivitätsanalyse zeigt, dass Personen nach dem vierten Monat nach abgeschlossener erster Impfserie einen Nachteil im Ausmaß eines 1,4- bis 1,5-fach höheren Infektionsrisikos haben.

Auch Ärztekammer fordert mehr Kontaktbeschränkungen

Die Ärztekammer plädiert über den Lockdown für Ungeimpfte hinaus für weitere Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung. Eine „gescheite Maßnahme“ wäre aus Sicht von Präsident Thomas Szekeres mehr Arbeit im Homeoffice. „Das Allerwichtigste im Moment ist die Impfung“, sagte Szekeres in der ORF-„Pressestunde“ am Sonntag und plädierte auch für eine Impfpflicht des Gesundheitspersonals und der niedergelassenen Ärzte. Und: „Bei Pädagogen würde das auch Sinn machen.“

„Ein ungeimpftes Gesundheitspersonal, das sich bei diesen hohen Zahlen leicht anstecken kann, stellt natürlich eine Gefährdung der Patienten dar“, so Szekeres. Er wolle aber auch nicht, dass ungeimpfte Lehrerinnen und Lehrer Schüler unterrichten, die sich noch nicht impfen lassen können. Ein Fragezeichen sei aber noch die Kontrolle und Umsetzung. Was für ungeimpfte Hausärzte gelten werde, hänge von der Regierung ab, aber: „Ich gehe davon aus, dass sie nicht ordinieren werden.“

Szekeres für generelle Impfpflicht

Medizinisch wäre aus seiner Sicht auch eine Impfpflicht für die gesamte Bevölkerung sinnvoll. Das sei aber eine Entscheidung der Politik. Möglich könnte es beispielsweise sein, ungeimpfte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ohne Gehalt nach Hause zu schicken, weil sie andere gefährden könnten. „Das Allerwichtigste im Moment ist die Impfung“, so Szekeres. Gegen eine generelle Impfpflicht sprach sich die Regierung am Sonntag aus.

„Pressestunde“ mit Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres

Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, stellte sich den Fragen von Christian Rainer („profil“) und Gaby Konrad (ORF).

Szekeres geht nicht davon aus, dass der Lockdown für Ungeimpfte ausreichen werde, um die hohen Infektionszahlen einzudämmen. „Was man sicher zusätzlich braucht, sind Kontaktbeschränkungen“, so der Ärztekammer-Präsident. „So wie es im Moment ausschaut, laufen wir Gefahr, dass es zu Triagen kommt.“ Dann werde man in den Intensivstationen nur noch jene Menschen behandeln können, die die besten Überlebenschancen hätten. Ein Ausbau der Intensivkapazitäten sei nicht ohne Weiteres möglich: „Die Wahrheit ist, dass die Intensivstationen auch ohne Pandemie voll sind.“

Schon am Freitag meldeten sich namhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem offenen Brief zu Wort – und forderten weitergehende Maßnahmen. Das unter anderem von den Virologen Dorothee von Laer, Andreas Bergthaler und Florian Krammer gezeichnete Papier fordert „konsequente Maßnahmen zur Kontaktreduktion“, die Erhöhung der Impfquote und verpflichtende PCR-Tests auch für Geimpfte.

Kritik von Opposition

Im Zuge der Ankündigungen gab es aus der Opposition Kritik. NEOS forderte am Sonntag vor dem Hauptausschuss Änderungen an der Verordnung – vor allem für Kinder: Denn erst ab 14 könne man sich aus eigenen Stücken für oder gegen die Impfung entscheiden, so Wiens Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr. Daher dürften erst ab diesem Alter, und nicht schon ab zwölf Jahren die Einschränkungen gelten. Zustimmen wolle NEOS dem Lockdown nicht.

FPÖ-Obmann Herbert Kickl bezeichnete am Sonntag die Maßnahme in einer Aussendung als „völligen Irrwitz“. Kickl will gegen die Verordnung „mit allen parlamentarischen und juristischen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, ankämpfen“, wie er abermals sagte. Zwei Millionen Menschen würden durch den Lockdown „quasi inhaftiert, ohne etwas Unrechtes getan zu haben“. Aus Oberösterreich hieß es schon zuvor von Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner (FPÖ), man werde die Maßnahmen rechtlich prüfen lassen – mehr dazu in ooe.ORF.at.

Der stellvertretende SPÖ-Klubvorsitzende Jörg Leichtfried sagte wiederum: „Die österreichische Bundesregierung hat es zustande gebracht, den nächsten Sommer wieder zu verschlafen.“ Das Ergebnis sei eine dramatische Situation, für die die Regierung verantwortlich zeichne. „Heute präsentiert sie eine Verordnung, die mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet. Es ist unklar, ob sie verfassungsrechtlich hält, es ist unklar, ob sie kontrollierbar ist und wer sie wo kontrollieren soll. Es ist unklar, ob die Maßnahme wirkt.“

Länder mit gemischten Reaktionen

Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) sagte am Sonntag, der Lockdown für Ungeimpfte sei „unumgänglich“. Der „dritte Stich“ sei jetzt das Allerwichtigste, um aus der Pandemie herauszukommen – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at. Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP), derzeit auch Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz, nannte die bundesweiten Ausgangsbeschränkungen für Ungeimpfte die „richtige Maßnahme“ – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) will dagegen am Montag über regionale Verschärfungen beraten – mehr dazu in kaernten.ORF.at. Die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sagte unterdessen, dass der Lockdown für Ungeimpfte ein „notwendiger“ Schritt sei – mehr dazu in noe.ORF.at. Auch der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) bezeichnete den Lockdown als „wichtig und richtig“ – mehr dazu in steiermark.ORF.at. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) sagte, man werde in Wien den „konsequenten Weg der Sicherheit zum Schutz der Bevölkerung weiter fortsetzen“ – mehr dazu in wien.ORF.at.

Wirtschaft ruft nach rascher Verlängerung von Hilfen

Noch während der Pressekonferenz forderte die Wirtschaftskammer (WKÖ) eine rasche Verlängerung der Förderungen und Erleichterungen. „Jetzt braucht es rasch eine Verlängerung der Wirtschaftshilfen für die besonders betroffenen Branchen und eine schnelle Umsetzung der schon seit Langem geforderten positiven Anreize für die Impfung“, so WKÖ-Chef Harald Mahrer. Vor hohen Einbußen warnte Handelssprecher Rainer Trefelik: „Mit dieser Maßnahme müssen Fachgeschäfte rund 35 Prozent an potenziellen Kunden aussperren, hohe Umsatzverluste sind damit vorprogrammiert.“

Der Handelsverband wies zum wiederholten Male darauf hin, dass er einen Umsatzverlust von bis zu 350 Mio. Euro pro Woche erwartet. Der Verband fordert einen Umsatzersatz „neu“ für alle betroffenen Händler. Denn nun würden die Weihnachtsgehälter anstehen, das beginnende Weihnachtsgeschäft sei „in Schwebe“. Schallenberg verwies auf diverse Hilfsprogramme wie den Verlustersatz oder die Mehrwertsteuersenkung in der Gastronomie, die bis Jahresende weitergehen würden.