Migranten sitzen an einem Lagerfeuer in der Nähe der polnisch-belarussischen Grenze.
Reuters
Belarus

Menschen als Spielball internationaler Politik

Tausende Menschen harren derzeit im belarussischen Grenzwald zu Polen in Kälte und Nässe aus. Sie kommen vorwiegend aus dem Nahen Osten. Ihr Ziel ist es, in die EU zu gelangen. Unterstützt werden sie – aus Sicht der EU – vom belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko. Er führe Flüchtlinge gezielt dorthin, um politisch Druck aufzubauen. Doch an der Grenze angelangt, erwartet die meisten kein Weiterkommen.

Denn Polen, Lettland und Litauen haben ihre Grenzen abgeriegelt. Nur wenige der laut Polizeiangaben rund 3.500 Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten dürften es überhaupt noch durch die Absperrungen schaffen. Gesicherte, offizielle Informationen aus Belarus sind zurzeit aber rar, da das Land eine Quasi-Nachrichtensperre verhängt hatte. Internationale Medien sind deshalb insbesondere von Berichten etwa via soziale Netzwerke durch Menschen an Ort und Stelle abhängig.

Dass die Menschen am Ende ihrer Kräfte und unterkühlt sind, lässt sich allerdings allein durch die tiefen Temperaturen sagen, knapp über null Grad am Tag und in der Nacht bereits darunter. Als „Unterkunft“ bleiben den Menschen häufig Zelte oder gar nur Decken, wie Agenturbilder zeigen. „In der Nacht ist es hier bitterkalt“, so ein Mann, „die Kinder frieren, wir haben kaum Wasser oder Essen.“ Hilfsorganisationen warnen, die Kälte werde bald Menschenleben fordern.

Polnische Behörden warnen vor „Durchbruch“

Polnische Behörden warnen, ein Versuch, die Grenze zu „durchbrechen“, stehe kurz bevor. Denn nach polnischen Angaben kommen auf der belarussischen Seite des Übergangs Kuznica immer mehr Flüchtlinge zusammen. Weitere Gruppen würden von belarussischen Sicherheitskräften dorthin getrieben, teilte das Verteidigungsministerium in Warschau am Montag auf Twitter mit. Das Zeltlager in der Nähe sei praktisch leer.

Dazu postete das Ministerium mehrere Videos. Sie zeigen eine große Menschenmenge bei den Abfertigungsanlagen des geschlossenen Grenzübergangs auf belarussischer Seite sowie weitere Personen, die auf einem Waldweg gehen. „Momentan haben wir alle Kräfte dorthin geordert, die wir zur Verfügung haben“, so eine Sprecherin des polnischen Außenministeriums. Den Angaben zufolge kommt es auch zu Provokationen durch belarussische Uniformierte.

Doch auch diese Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen, da Polen in der Grenzregion den Ausnahmezustand verhängt hat. Journalistinnen und Journalisten sowie Helferinnen und Helfer dürfen nicht in die Region. Das gilt auch für das Grenzgebiet auf belarussischer Seite.

Polnische Soldaten patroullieren an der polnisch-belarussischen Grenze.
AP/Oksana Manchuk
Kaum jemand schafft es noch über die Grenze zwischen Belarus und Polen

Zuletzt hatte es immer wieder Versuche von Migranten gegeben, die Grenze zu durchbrechen. Auch der belarussische Grenzschutz berichtete am Montag, dass sich eine „große Kolonne“ in Richtung polnischer Grenze bewege. Entgegen der polnischen Darstellung betonten die belarussischen Behörden, die Menschen organisierten sich eigenständig.

Baubeginn für dauerhafte Grenzbefestigung noch heuer

Polens Innenminister Mariusz Kaminski schrieb am Montag auf Twitter, noch in diesem Jahr mit dem Bau einer dauerhaften Befestigung an der Grenze zu Belarus beginnen zu wollen. Die Bauarbeiten sollen an vier Grenzabschnitten gleichzeitig starten, es solle rund um die Uhr gebaut werden.

Polnische Regierungsvertreter reden von einer „Barriere“ oder „Sperre“ – sie vermeiden den Begriff „Mauer“, den die Opposition verwendet. Die Grenzbefestigung soll auf einer Länge von insgesamt 180 Kilometern in der Woiwodschaft Podlachien entstehen. Weiter südlich, in der Woiwodschaft Lublin, bildet der Fluss Bug eine natürliche Barriere zwischen beiden Ländern. Polens Grenze zu Belarus, die auch eine EU-Außengrenze ist, hat insgesamt eine Länge von 418 Kilometern.

Polen will NATO-Intervention

Polen erwägt indes nach Angaben von Brüsseler Diplomaten, Artikel 4 des NATO-Vertrags zu nutzen. Danach müsste die Allianz eine Dringlichkeitssitzung einberufen, wenn ein Mitgliedsland „die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit“ bedroht sieht.

Neue EU-Sanktionen

Lukaschenko wird beschuldigt, in organisierter Form Flüchtlinge aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze zu bringen, um Vergeltung für frühere Sanktionsbeschlüsse zu üben. Die Außenminister der Europäischen Union beschlossen deshalb am Montag neue Sanktionen gegen Belarus. Sie stimmten einem erweiterten Sanktionsregime zu, wie der Rat der 27 Mitgliedsstaaten mitteilte. Damit könne die EU nun auch „die Instrumentalisierung von Migranten für politische Zwecke“ unter Strafe stellen, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell.

EU: Neue Sanktionen gegen Belarus

Die Außenminister der EU beschlossen am Montag neue Sanktionen gegen Belarus.

Der Erklärung zufolge kann die EU erstmals Verantwortliche und Organisationen mit Sanktionen belegen, die Belarus dabei helfen, „das illegale Überschreiten der EU-Außengrenzen zu erleichtern“. Die neuen Strafmaßnahmen sollen nach Borrells Angaben Fluggesellschaften, Reisebüros und andere Verantwortliche treffen, die sich am Schleusen der Menschen beteiligen. Die Sanktionsliste soll laut Diplomatinnen und Diplomaten in den kommenden Wochen ausgearbeitet werden.

Irak kündigt Rückführungsflug an

Was die Ankunft von Menschen angehe, sei man dabei, die Dinge unter Kontrolle zu bekommen, sagte Borrell in Brüssel. Das sei quasi erledigt. Die Bemühungen um einen Stopp von Flügen mit Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten aus verschiedenen Krisenländern nach Belarus zeigen ihm zufolge Wirkung.

Die irakische Regierung kündigte ihrerseits einen ersten Flug zur Rückführung von Geflüchteten an der belarussisch-polnischen Grenze an. Irakische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger könnten am Donnerstag auf „freiwilliger“ Basis in ihre Heimat zurückkehren, sagte Außenamtssprecher Ahmed al-Sahaf im irakischen Fernsehen. Die irakischen Behörden hätten im Grenzgebiet „571 Iraker registriert“, die sich bereiterklärt hätten, freiwillig in ihre Heimat zurückzukehren.

Lukaschenko sagte, man wolle keinen Konflikt. Man bemühe sich, die Geflüchteten „davon zu überzeugen, dass sie bitte nach Hause zurückkehren sollen“. Um gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur Belta gleich hinzuzufügen: „Aber niemand will zurückkehren.“ Ob das stimmt, ist ob der schwierigen Überprüfbarkeit der Nachrichten aus Belarus fraglich.

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat indessen am Montag mit Lukaschenko gesprochen. Regierungssprecher Steffen Seibert teilte am Abend mit, in dem Telefonat sei es um „die schwierige Situation an der Grenze zwischen Belarus und der Europäischen Union“ gegangen. Vor allem sei „über die Notwendigkeit humanitärer Hilfe für die dort befindlichen Flüchtlinge und Migranten“ gesprochen worden.

NATO schickt Warnung in Richtung Russland

Lukaschenko wird häufig als Marionette des russischen Präsidenten Wladimir Putin bezeichnet. Aus britischen und US-Medien ist etwa zu vernehmen, Putin könnte die Krise an der Grenze zwischen Belarus und Polen dazu nutzen, von möglicherweise geplanten Militäroperationen in der Ukraine abzulenken.

Die NATO schickte daher schon eine Warnung in Richtung Russland. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg rief Moskau am Montag in Brüssel auf, „alle weiteren Provokationen oder aggressiven Handlungen“ zu unterlassen. „Die NATO steht an der Seite der Ukraine“, sagte Stoltenberg bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem ukrainischen Außenminister Dmitri Kuleba.

Putin und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron haben sich indessen für eine Deeskalation der Lage an der polnisch-belarussischen Grenze ausgesprochen. In einem langen Telefonat sprachen die beiden am Montag auch über die Rolle, die Russland bei der Lösung des Konflikts spielen könne. Die Migranten müssten respektiert werden. Paris hoffe, dass das Gespräch positive Auswirkungen auf die Situation habe.