Hochspannungsleitungen
Reuters/Pavel Mikheyev
COP26

Düstere Bilanz mit Hoffnungsschimmer

Nachdem die UNO-Klimakonferenz COP26 am Wochenende zu Ende gegangen ist, stellt sich die Frage der Bewertung der Ergebnisse. Welche künftigen nachhaltigen Entwicklungen hat die COP26 tatsächlich angestoßen, und wie sehr ist dennoch Skepsis und Enttäuschung von NGOs, aber auch Experten und Expertinnen angebracht? Der Gipfel galt als letzte Chance, die Klimakrise noch rechtzeitig abzufedern.

Bei der UNO-Klimakonferenz in Schottland hatten sich die etwa 200 beteiligten Länder auf einen Ausstieg aus der Kohle in Schritten verständigt. Die Formulierung wurde auf Druck von China und Indien jedoch in letzter Minute abgeschwächt. Außerdem wurde festgehalten, dass der Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase weltweit in diesem Jahrzehnt um 45 Prozent sinken muss, wenn das 1,5-Grad-Limit erreicht werden soll.

Der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg ist das zu wenig, und sie hatte für das Ergebnis der Weltklimakonferenz in Glasgow nur wenig gute Worte übrig. „Wir sind immer noch auf dem Weg in Richtung 2,7 Grad Erderwärmung“, sagte Thunberg im schwedischen Fernsehen SVT. „Wir sind weit von dem entfernt, was nötig ist.“ Kleine Fortschritte seien wie eine Niederlage.

LKW’s beim Transport von Kohle in Dhanbad, Indien.
APA/AFP/Gautam Dey
LKWs beim Transport von Kohle in Dhanbad, Indien

Von der Leyen: Unter Erwartungen

Thunberg räumte ein, dass die Einigung ein guter Anfang sei. „Aber wir müssen verstehen, dass es bei der Klimakrise um Zeit geht. Natürlich können wir kleine Fortschritte machen und langsam gewinnen. Aber das ist genau das Gleiche wie zu verlieren.“

Auch nach Ansicht von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sind die Ergebnisse „unter den Erwartungen geblieben“. Sie seien „gerade mal ein Zwischenschritt, um die Weltgemeinschaft auf dem Weg zum 1,5-Grad-Ziel an Bord zu halten“, sagte von der Leyen der „Süddeutschen Zeitung“. Sie sprach von „Licht und Schatten“.

„Zu den Enttäuschungen zählt, dass der Kohleausstieg nur zu einem Kohleabbau verwässert worden ist, und zwar das in allerletzter Minute“, sagte von der Leyen. Zudem gebe es „zu wenig klare Verpflichtungen, Ziele und Schritte von der Weltgemeinschaft“. Auch würden ärmere Länder von den Industriestaaten weiterhin nicht ausreichend finanziell unterstützt. Positiv sei aber unter anderem, dass der Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase weltweit noch in diesem Jahrzehnt um 45 Prozent reduziert werden solle.

Übersichtbild des „Action Hub“ auf der COP26 in Glasgow.
APA/AFP/Paul Ellis
Der „Action Hub“ auf der COP26 in Glasgow, bei dem viel vorgestellt und diskutiert wurde

Klimaexperte „zutiefst besorgt“

Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sehen ebenfalls ein sehr zwiespältiges Ergebnis. Joeri Rogelj, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprogramm Energie am Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg und am Grantham Institute for Climate Change am Imperial College London sieht einerseits „eine historische Leistung erbracht“, aber gleichzeitig sei die COP26 „hinter den Hoffnungen und Erwartungen vieler zurückgeblieben“, wie es am Montag in einer Aussendung hieß.

Er sei stolz, weil die Wissenschaft noch nie so stark in die COP-Entscheidungen eingeflossen sei. Er sei auch hoffnungsvoll, „weil viele Beschlüsse einen entscheidenden Schritt nach vorne bedeuten“. Die Regeln für die Umsetzung des Pariser Abkommens seien nun beschlossen, und das sei eine enorme Leistung, „aber noch nicht ausreichend für das 1,5-Grad-Ziel. Zudem müssen die Zusagen noch in Pläne und Maßnahmen umgesetzt werden“, so Rogelj.

Von Dürre betroffenes Gebiet in New South Wales, Australien.
retuers/David Gray
Die Erderwärmung sorgt unter anderem für Dürren, hier ein Bild aus New South Wales in Australien

„Und schließlich bin ich zutiefst besorgt, denn der Klimawandel schreitet voran und verschlimmert sich mit jedem Jahr, das wir warten“, so der belgische Wissenschaftler. „Wir schauen in die richtige Richtung, aber wir müssen anfangen, uns zu bewegen. Die globalen Emissionen müssen zurückgehen, und zwar sofort, schnell und äußerst dringend“, so sein Fazit.

Mehr als nur „warme Worte“?

Ob Glasgow ein Erfolg sein wird, hänge entscheidend davon ab, ob das mehr als nur „warme Worte" sind, so auch Carl-Friedrich Schleussner von der Berliner Humboldt-Universität. „Glasgow war der erste große Test des Pariser Abkommens. Der wurde bestanden. Sicherlich nicht mit Bestnote, auch nicht ‚Gut‘, aber – je nach Perspektive – vielleicht ‚Befriedigend‘.“

Farmer mit Schafen auf der Weide, im Hintergrund ein Kohlekraftwerk.
APA/AFP/Nikolay Doychinov
Kohlekraftwerke haben bisher fast nur auf dem Papier ausgedient

„Die Länder, die über 90 Prozent der globalen Emissionen auf sich vereinen, haben sich Nullemissionsziele für um die Mitte des Jahrhunderts gesetzt. Das ist ein Erfolg“, so Schleussner. Gleichzeitig sei es nicht gelungen, die Ambitionslücke für 2030 zu schließen, zudem „klafft zwischen den Versprechungen von Nullemissionen bis 2050 und den konkreten Handlungen im Hier und Jetzt eine große Glaubwürdigkeitslücke. Die muss dringend geschlossen werden“, so Schleussner.

Kritik mit Aber an Kompromiss

Lambert Schneider, Forschungskoordinator für internationale Klimapolitik, sieht die Politik weiter in der Verantwortung. Die Ergebnisse zum internationalen Emissionshandel seien gemischt zu bewerten. „Ein sehr wichtiges Ziel konnte erreicht werden: Alle Länder müssen ohne Ausnahme eine Doppelzählung von Emissionsminderungen vermeiden“, so Schneider. "Andererseits wurde dieser Kompromiss damit erkauft, dass alte Klimaschutzprojekte und Zertifikate aus dem Kyoto-Protokoll in das Pariser Übereinkommen überführt würden.

„Nach Berechnungen des NewClimate Institute und des Öko-Instituts könnte die Nutzung dieser alten Klimaschutzprojekte im schlimmsten Fall die Bemühungen zum Klimaschutz um mehrere Milliarden Tonnen CO2 untergraben. Allerdings ist sehr fraglich, ob sich angesichts der Reputationsrisiken überhaupt Käufer für diese Zertifikate finden werden“, so das Fazit Schneiders.

Eine Solar-Farm in Marcoussis, Frankreich.
APA/AFP/Eric Piermont
Erneuerbare Energie ist ein wichtiger Faktor zum Erreichen des Klimaziels

„Grundlegende Transformation“ gefordert

Probleme bei der Umsetzung der Klimaziele erwartet auch Lukas Hermwille, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie in Deutschland. „Die Umsetzung von ambitioniertem Klimaschutz muss letztlich immer auf sektoraler Ebene erfolgen; es müssen Energie-, Industrie-, Verkehrs- und Landwirtschaftssysteme grundlegend transformiert werden“, so Herwille über die Praxis eines gelebten Klimaabkommens. Die britische Regierung habe deshalb bewusst darauf gesetzt, parallel zu dem Verhandlungsprozess sektorale Abkommen und Initiativen voranzutreiben, und sei damit sehr erfolgreich gewesen, lobte Hermwille.

Kommissar für Klimaschutz Frans Timmermans bei einer Rede auf der COP26.
AP/Alberto Pezzali
Druck auf Entscheidungsträger, wie etwa die bei der COP anwesenden Politiker, gilt als Möglichkeit, um auf ein klimafreundliches Umdenken hinzuarbeiten

Ähnlich sieht den künftigen Prozess Sonja Peterson, Professorin am Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel. Der Teufel stecke immer im Detail. Es sei daher sehr viel schwieriger, sich auf kleinteiligere Definitionen und konkrete nächste Schritte zu einigen als auf einen großen Rahmen und ein langfristiges Ziel wie 2015 in Paris. „Positiv ist, dass die COP26 trotz der Abschwächungen im Abschlussdokument ein Signal für den Ausstieg aus fossiler Energie setzt“, so Peterson.

1,5-Grad-Ziel „immer noch auf der Intensivstation“

Niklas Höhne vom New Climate Institute in Köln und Professor für Klimaschutz an der Wageningen-Universität in den Niederlanden blickt skeptischer in die Zukunft. „Lebt das 1,5-Grad-Ziel noch? Glasgow hat das 1,5-Grad-Limit wiederbelebt, es befindet sich jedoch immer noch auf der Intensivstation“, so Höhne. Neue nationale Klimaziele und Initiativen hätten uns einen kleinen Schritt vorangebracht. „Aber mit diesem Tempo ist das 1,5-Grad-Ziel verloren“, so Höhne.

Wolfgang Obergassel, Koleiter des Forschungsbereichs Internationale Klimapolitik in Wuppertal in Deutschland, sieht einen Auftrag an die Politik. „Die Konferenz in Glasgow hatte unter anderem die wesentliche Aufgabe, politischen Druck zu erzeugen und eine Plattform zu bieten, damit die Staaten ihre Klimaschutzbeiträge erhöhen“, so Obergassel. Das sei zum Teil gelungen.

Es sei ein wichtiger Fortschritt, dass damit erstmals auf einer Klimakonferenz auf höchster Ebene über konkrete Klimaschutzmaßnahmen diskutiert worden sei und nicht nur über abstrakte Emissionsreduktionsziele. „Aber nach ersten Schätzungen werden die globalen Emissionen 2030 auch mit den neuen Zusagen immer noch rund doppelt so hoch liegen, wie es für das Erreichen der Pariser Ziele eigentlich erforderlich wäre“, sieht Obergassel die Aussichten düster.

„Guardian“: Druck muss erhöht werden

Auch ein Kommentar in der französischen „Liberation“ sieht die Erwartungen an die COP26 in keinster Weise umgesetzt. „Den in Massen mobilisierten jungen Menschen, die zu retten versuchen, was noch zu retten ist, gibt man zu verstehen: Wir steuern auf eine Katastrophe zu, aber lasst uns bis dahin noch den größtmöglichen Profit daraus schlagen.“

Der britische „Guardian“ sieht die Politik mehr denn je gefordert „Nächstes Jahr, auf der COP27 in Ägypten, haben die Regierungen eine weitere Chance. Wenn sie diese nutzen wollen, muss der Druck auf sie sowie auf die Zentralbanken und die privaten Finanzinstitute massiv erhöht werden, die ihre Verantwortung für die Schließung umweltzerstörender fossiler Brennstoffindustrien längst hätten wahrnehmen müssen, anstatt sie weiter zu stützen.“