Kerzen zum Gedenken an jene Menschen, die in Österreich bereits an Corona verstorben
APA/Roland Schlager
Coronavirus

Die vermeidbaren Todesfälle

Der erfolgreiche Kampf gegen die Pandemie hängt davon ab, dass sich so viele Menschen wie möglich impfen lassen. Doch nicht nur die Gesellschaft als Ganzes profitiert von der CoV-Impfung, sondern auch jeder und jede Einzelne. Ein Blick in die ORF.at-Statistik zeigt, dass die derzeit wieder steigende Zahl der CoV-Toten seit der breiten Impfaktion 2021 in Österreich wohl durch eine Impfung vermeidbar gewesen wäre. Die Situation wäre jedenfalls eine völlig andere, gäbe es keine Impfung, so die Virologin Monika Redlberger-Fritz zu ORF.at.

Die Impfquote beträgt in Österreich zurzeit rund 65 Prozent. Das reiche nicht, zeigen sich Expertinnen und Experten überzeugt, um das Virus – insbesondere die hochansteckende Delta-Variante – einzudämmen. „65 Prozent Impfquote ist offenbar zu wenig in der momentanen Situation, um den Dämpfer auf diese Infektionszahlen zu geben, den wir brauchen, um eine stabile Situation zu erreichen“, sagte Infektiologe Herwig Kollaritsch kürzlich zur ZIB.

Das zeigt sich auch in der CoV-Sterbestatistik der AGES, wobei die Agentur CoV-Verstorbene nur dann zählt, wenn der Patient bzw. die Patientin als aktiver Covid-19-Fall verstorben ist und in der Zwischenzeit keine Genesung festgestellt wurde. In absoluten Zahlen starben zuletzt wieder mehr Menschen durch das Coronavirus, wenn die Zahl auch niedriger ist als noch vor einem Jahr.

„Komplett andere Situation“ ohne Impfung

Innerhalb der Woche 9. bis 15. November 2020 etwa lag die Zahl der CoV-Toten bei 551. In der Vergleichswoche heuer (8. bis 14. November 2021) starben 132 Menschen durch das Coronavirus, also viel weniger als noch vor einem Jahr. Ein Grund dafür ist die Impfung, die jetzt für alle impfbaren Personen in Österreich verfügbar ist.

„Wir hätten momentan eine komplett andere Situation, wenn wir keine Impfung hätten“, so Redlberger-Fritz gegenüber ORF.at. „Hätten wir die Impfung und auch die vergangenen Lockdowns nicht gehabt, hätten wir es gerade mit der Delta-Variante noch wesentlich schlechter erwischt.“ Diese hochansteckende Variante habe sich nur deshalb so gut durchsetzen können, weil die Impfquote zu niedrig sei, pflichtet Redlberger-Fritz etwa ihrem Kollegen Kollaritsch bei.

Bestätigend für die Impfung sind auch die Zahlen der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG). Diese schloss aus ihren Berechnungen eine hohe Wirksamkeit der Impfung gegen die Delta-Variante: Im Zeitraum 1. Februar 2021 bis 8. November 2021 konnten demnach durch die CoV-Impfung österreichweit 19.203 Krankenhausaufenthalte, 6.259 Aufenthalte in Intensivstationen und 6.118 Todesfälle vermieden werden.

CoV-Mortalitätsrate steigt wieder

Zur Veranschaulichung der heimischen CoV-Totenzahlen lohnt sich zusätzlich ein Blick auf den prozentualen Anteil der Verstorbenen gemessen an den aktiven Fällen. Unter aktiven Fällen versteht man jene Menschen, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden und weder genesen noch verstorben sind. Hier ist nach einem Rückgang von Mai bis Juni 2021 seit Juli wieder ein Anstieg der CoV-Toten zu erkennen, und das, obwohl im Juli dieses Jahres die CoV-Impfung in Österreich für alle zugänglich gemacht wurde.

Auch die Zahl der aufgrund einer CoV-Erkrankung Hospitalisierten ist in der Vergleichswoche von 8. bis 14. November 2021 mit 12.783 CoV-Infizierten auf der Normalstation und 2.925 auf der Intensivstation zwar weniger hoch als noch vor einem Jahr, aber angesichts der verfügbaren Impfung trotzdem zu hoch. Ein Blick in die ORF.at-Statistik der CoV-Hospitalisiertenzahlen in diesem Jahr zeigt einen erneuten Anstieg nach dem Sommer 2021 – ähnlich wie bei der Mortalität.

Eine mathematische Erklärung als Interpretation der monatlichen Auf- und Abschwünge liefert das Team von Simulationsforscher Niki Popper an der TU Wien auf Anfrage von ORF.at: Der Anteil der Hospitalisierten ist sowohl von der Anzahl der aktiven Fälle als auch der Hospitalisierten beeinflusst. Das heißt: Steigen die aktiven Fälle, während die Zahl der Hospitalisierten noch sinkt, kann das zu einem rapiden Abschwung des Anteils führen. Das sah man etwa im Juli, die Zahl der Hospitalisierten stieg erst mit einer Verzögerung von etwa 20 Tagen wieder. Umgekehrt führt dieser Effekt auch „beim Aufschwingen von hohen Wellen (wie beispielsweise jetzt) zu recht geringen Anteilen“, so das Team von Popper.

Zur Ausgangslage im Sommer sei zudem anzumerken, dass aufgrund des niedrigen Fallgeschehens und daher besserer Ressourcen (etwa für Testungen und Contact-Tracing) von einer niedrigeren Dunkelziffer auszugehen sei. Außerdem „war im Juli und August das Durchschnittsalter der Infizierten deutlich niedriger als in den übrigen Monaten“.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass kurzfristige Ab- und Aufschwünge vor allem technisch zu erklären sind, da die Zahl der Hospitalisierten nicht im gleichen Tempo steigt und sinkt wie die Zahl der aktiven Fälle. Der kurzfristige Rückgang von Juni auf Juli 2021 ließe sich daher nicht direkt auf die Impfung zurückführen, auch weil der Effekt der Impfung nicht so kurzfristig sei, so Popper.

„Delta-Variante um 60 Prozent ansteckender“

Trotzdem wirkt die Impfung langfristig gesehen als Dämpfer im Infektionsgeschehen. Immerhin über fünf Millionen Impfungen wurden zwischen Anfang Juni und Ende August 2021 verabreicht, davon knapp zwei Millionen Erstimpfungen und mehr als drei Millionen Zweitimpfungen. Jene Menschen, die sich impfen ließen, minimierten das Risiko für sich, schwer an Covid-19 zu erkranken – und das wirkt sich auch auf die Zahl der Menschen aus, die wegen einer CoV-Erkrankung intensivmedizinisch betreut werden müssen.

Auch wenn die 65-Prozent-Impfquote immer noch viel zu wenig sei, „haben wir im Moment die Zahlen auf den Intensivstationen vergleichsweise niedrig“, so Redlberger-Fritz. Doch warum sind die Spitäler inklusive Intensivstationen dennoch überlastet? Zuletzt warnte unter anderem Salzburg inständig, eine Triagierung stehe unmittelbar bevor – mehr dazu in salzburg.ORF.at.

Redlberger-Fritz dazu: „Wir haben eine komplett andere Ausgangssituation als letztes Jahr. Das Delta-Virus ist doppelt so ansteckend wie das Virus, das vor einem Jahr zirkuliert ist.“ So sei die Delta-Variante um 60 Prozent infektiöser als die Alpha-Variante. „Aus dem Grund sind wesentlich mehr Leute infiziert.“ Hinzu komme noch, dass letztes Jahr um diese Zeit ein Lockdown für die Gesamtbevölkerung verhängt worden war.

Mehr Menschen in Spitälern – auch durch Verschiebungen

Neben der Auslastung durch CoV-Patientinnen und -Patienten sind die Intensivstationen heuer zusätzlich noch mehr mit Menschen belegt, die sich nicht wegen einer Covid-19-Erkrankung im Spital befinden. „Wir wissen zumindest aus Niederösterreich – und das ist wahrscheinlich in ganz Österreich so –, dass heuer viel mehr Leute ohne Corona in den Spitälern liegen als letztes Jahr“, so Popper. Grund dafür sei vermutlich auch, dass es letztes Jahr stärkere Beschränkungen gab – OPs und andere Krankenhausaufenthalte etwa wurden pandemiebedingt verschoben. „Dadurch ist die (absolut niedrigere) Zahl der Corona-Patienten heuer kritischer als letztes Jahr“, resümiert der Simulationsforscher gegenüber ORF.at.

Von den Impfdurchbrüchen, die derzeit auftreten, sollte man sich jedenfalls nicht in seiner Entscheidung irritieren lassen, zur Impfung zu gehen, sind sich die heimischen Expertinnen und Experten einig. Erstens sei die Möglichkeit einer schweren Erkrankung im Falle einer Impfung viel geringer, zweitens sei so auch die Wahrscheinlichkeit niedriger, dass sich Mutationen des Virus in der Gesellschaft ausbreiten können. Diese könnten im schlimmsten Fall die Wirkung der Impfung reduzieren.