Punxsutawney Phil am Groundhog Day
Reuters/Alan Freed
Pandemie

Und täglich grüßt das Murmeltier

Nach rund 21 Monaten der Pandemie in Österreich kommen manche Dinge daher wie schon einmal erlebt. War der Anstieg der Zahlen im Herbst vorhersehbar? Gab es nicht schon einmal die Angst vor einer Triage und erst Dementis, dann einen winterlichen Lockdown? In der Krisenkommunikation hat man von Anfang an einen Kardinalfehler gemacht, sagen Fachleute.

Ob Zeitschleifen tatsächlich möglich sind, darüber streiten die Physikerinnen und Physiker. Wohl gibt es aber seit Ausbruch der Pandemie mitunter das Gefühl, in einer zu leben. Die Krisenkommunikation der Politik orientiert sich an den Infektionswellen. Dauert die Pandemie lange genug, so ist die Wahrscheinlichkeit von Deja-vus groß. Und obwohl sich mit der Möglichkeit der Impfung ein wesentlicher Faktor geändert hat, sind die Pandemiegeplagten weiterhin – wie im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ – der Wiederholung ausgesetzt.

„Die Regierung hat den Sommer verschlafen.“ Dieses Zitat etwa fiel im September 2020 – und im September 2021. In beiden Pandemiejahren warf die Opposition den Verantwortlichen vor, nicht früh genug für die drohende Herbstwelle vorgesorgt zu haben. Der Höhepunkt der ersten Welle war bereits Anfang April 2020 überschritten, es folgte die Verheißung eines „Sommers wie damals“.

In beiden Jahren gingen die Infektionszahlen im Frühjahr zurück. 2020 sah der damalige Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) schon ein „Licht am Ende des Tunnels“. Für den Sommer ein Jahr später prognostizierte er eine „coole Zeit“. Was jedoch beide Male folgte, war ein Anstieg von zuvor nicht geahnter Höhe.

Appelle, Dementis, Lockdown

Die Politik habe selbstverständlich gewusst, dass sich die Welle so aufbaue, all das sei vorhersehbar gewesen, so der Komplexitätsforscher Peter Klimek neulich in der ZIB2. Auch diese Einschätzung gab es bereits im vorigen Jahr. In beiden Herbstsaisonen sahen sich Wissenschafterinnen und Wissenschafter gezwungen, Appelle für strengere Maßnahmen zu veröffentlichen.

Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP)
APA/Helmut Fohringer
Das Personal wechselte, das Thema nicht: 2020 standen Sebastian Kurz und Rudolf Anschober neben Karl Nehammer …

Und beide Male folgten im November Ausgangsbeschränkungen: 2020 gab es den „Lockdown light“, der fliegend in einen harten überging. Was folgte, war gleich noch ein Lockdown. Ein Jahr später gab es zunächst erneut für ganz Österreich eine Vorstufe zu einem generellen Lockdown – jenen für Ungeimpfte und Nichtgenesene. Am Freitag folgte schließlich – wieder – ein allgemeiner Lockdown für das ganze Land.

Gleiches Thema, anderes Personal

Voriges Jahr war es noch der damalige Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), der sich noch im Oktober einen Lockdown „überhaupt nicht“ vorstellen konnte. Heuer war es Kanzler Alexander Schallenberg (ÖVP), der einen Lockdown für alle auf jeden Fall ausschloss (Stand Mitte November).

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne)
APA/Georg Hochmuth
… ein Jahr später sind es Alexander Schallenberg und Wolfgang Mückstein

Kontrolliert werden die Ausgangsbeschränkungen freilich von der Polizei – „engmaschig“, wie Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) wortgleich 2020 und 2021 betonte. Und erneut muss öffentlich die Frage diskutiert werden, wie die Polizei kontrollieren darf und kann, ob sie an private Türen klopfen wird. Eines hat laut Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) auch heuer wieder oberste Priorität: In den Skigebieten setze man auf auf „maximale Sicherheit für Gäste“, damit die Wintersaison gerettet werde.

Taktik versus Strategie

„Der Gedanke an ein Deja-vu drängt sich schon auf“, so der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier zu ORF.at. „Der sich wiederholende Fehler war die Ad-hoc-Kommunikation, die mal besser, mal schlechter, zuletzt widersprüchlicher war.“ Es habe jedoch keine langfristige Krisenkommunikation gegeben. „Die Politik müsste im Moment niedriger Infektionszahlen der Verlockung des Augenblicks widerstehen und bei der Kommunikation langfristig planen. So wie die Epidemiologen jetzt schon überlegen, wie man auf eine etwaige fünfte Welle reagieren würde, müsste auch die Politik ihre Kommunikation strategisch ausrichten, und nicht taktisch“, so Filzmaier.

Das habe „schon mit dem falschem Bild begonnen, es gebe irgendwann an einem bestimmten Tag das Ende der Pandemie. Und dann wurden Botschaften ausgesendet, man habe ein Ziel erreicht. Das holt einen später dann ein.“ Die Folgen seien bedeutsam: "Bei den Menschen löst das einen laufenden Desillusionierungsprozess aus. „Eine Enttäuschung reiht sich an die nächste.“

„Frustriert, macht ärgerlich und verzweifelt“

Zu einem ähnlichen Befund kommt Marion Kronberger, Vizepräsidentin des Berufsverbands heimischer Psychologinnen und Psychologen (BOEP): „Wir wissen aus der Stressforschung, dass wir Belastungen sehr gut meistern können, wenn drei Punkte zutreffen. Wir müssen verstehen, warum, wir müssen das Gefühl haben, dass unser Handeln etwas ausrichten kann, und wenn wir das Problem als bewältigbar einschätzen.“ Zu Beginn der Pandemie habe es noch ein gemeinsames gesellschaftliches Ziel gegeben, und zwar gegen das Virus gemeinsam eine Lösung zu finden. Jetzt hätten sich Überzeugungen, wie das zu erreichen sei, unterschiedlich entwickelt.

„Die Menschen überlegen selbst, was für sie jeweils der Weg zum Ziel ist. Manche sind geimpft, manche genesen, manche warten auf einen anderen Impfstoff oder auf ein wirksames Medikament. Die Meinungen haben sich stark aufgespalten. Dieser Anspruch, sich gemeinsam anzustrengen, und dann sind wir am Ziel – das hat sich nicht bestätigt. Und das frustriert, macht ärgerlich und verzweifelt“.

Die Liste an Deja-vus ließe sich freilich noch fortsetzen. Möglich, dass Österreich erneut vor einer „Weihnachtsruhe“, einem „Ostererlass“ oder einer „Wiederauferstehung nach Ostern“ steht. Dieses Mal fehlt allerdings der Satz, dass „die nächsten Wochen entscheidend sein werden“.

„Eine eiserne Regel“

Auch ist schon viel über den Föderalismus als Vor- oder Nachteil in einer Pandemie diskutiert worden, Stichwort „Fleckerlteppich“. Der Konflikt, wer in puncto Coronavirus das Sagen hat, konnte jedenfalls auch nach 21 Monaten nicht ausgeräumt werden. Ein anschauliches Beispiel dafür war im Februar der Zwist zwischen Anschober und dem Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) um strengere Maßnahmen während der Beta-Variante (damals: „südafrikanische Variante“). Damals stemmte sich Tirol gegen den Wunsch Anschobers, Ausreisetests zu akzeptieren. Platter lenkte Tage später ein.

Ganz ähnlich war die Situation kürzlich mit Oberösterreich und Salzburg, nur der Gesundheitsminister ist ein anderer. Wolfgang Mückstein (Grüne), Anschobers Nachfolger, drängte die beiden Bundesländer, ob der hohen Infektionsraten härtere Maßnahmen zu verhängen. Nach dem „Njet“ kam ein bzw. zwei Tage später die Umkehr der Landeshauptmänner Thomas Stelzer und Wilfried Haslauer (beide ÖVP).

„In der Krisenkommunkation gibt es eine eiserne Regel“, so Filzmaier: „mit einer Stimme zu sprechen“. Das sei auch heuer wieder nicht geschehen – ein Umstand, der der Politik selbst auf den Kopf fallen könnte: „Am Ende steht tatsächlich ein Vertrauensverlust als Einstellung gegenüber der Politik, also auch von längerer Dauer“, so Filzmaier. Um diese Entwicklung umzukehren, brauche es auch wieder lange Zeit.