Die Generaldirektorin für Öffentliche Gesundheit, Katharina Reich
ORF
„Notbremse“

Reich für nächtlichen Lockdown für alle

Die oberste Gesundheitsbeamtin im Gesundheitsministerium, Katharina Reich, plädiert für Ausgangsbeschränkungen in der Nacht – auch für Geimpfte. „Die Situation ist schon eine deutlich andere, und deswegen ist meine Bitte: Wir müssen jetzt in einem gewissen Krisenmodus ankommen.“ Denn: „Es ist keine Pandemie der Ungeimpften, sondern wir sind in einem Stadium angekommen, wo es uns alle betrifft“, so Reich im ORF-„Report“.

Vorgeschlagen hatte einen solchen nächtlichen Lockdown auch für die Geimpften zuletzt am Sonntag Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne). Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) wies das jedoch postwendend und strikt zurück. Für Mittwoch kündigte Mückstein eine Neubewertung der Lage an – zehn Tage nach Inkrafttreten der 2-G-Regel am Montag vor einer Woche.

Reich sagte dazu am Dienstagabend im ORF-„Report“, sie glaube, „dass die maximalsten Maßnahmen, die wir jetzt schaffen, ohne die Geimpften stark zu beschneiden“, die besten wären. Eine „kleine Beschneidung“ auch der Geimpften werde aber notwendig sein. „Ich weiß aber, dass es politisch nicht einfach ist.“

Reich zur CoV-Lage

Die Generaldirektorin für öffentliche Gesundheit, Katharina Reich, zur aktuellen CoV-Lage und zu notwendigen Maßnahmen.

„Kontakte halbieren“ als grobe Regel

Als „grobe Regel“ schlägt Reich vor, von allen sozialen Kontakten „quasi nur noch die Hälfte“ zu bestreiten. „Ich glaube, dass Regeln immer einfach nachzuvollziehen sind, und wir mit einer Bitte wahrscheinlich in dieser jetzigen Lage zu wenig haben“, plädierte sie für weitere Vorgaben.

Gefragt, ob der Alarmzustand im Land zu gering sei, verwies sie auf die sich dramatisch zuspitzende Situation in einigen Bundesländern: „Salzburg hat wirklich ‚Land unter‘ – hier wird offen über die Triage diskutiert, hier wird offen darüber diskutiert, wohin legen wir die nächste Rettung. Deshalb bin ich für eine Notbremse: alles runterfahren, was nicht notwendig ist, uns in einen gewissen Modus begeben, der der Lage da draußen entspricht“ – in einen „Krisenmodus“.

Auf die Frage, ob es einen generellen Lockdown für alle auch tagsüber in besonders stark betroffenen Regionen geben sollte, sagte Reich: „Wir wissen, dass der Lockdown die härteste Maßnahme ist. Er ist aber auch – wenn es ein wirklich guter Lockdown ist – eine gute Maßnahme. Die ist wohlüberlegt und wird keinem einzigen Landeshauptmann leichtfallen.“

Salzburgs Grüne für harten Lockdown

Der Ruf nach einem harten Lockdown kam auch aus Salzburg, dem Bundesland mit der derzeit höchsten 7-Tage-Inzidenz (1.595,1). Er sei für einen kurzen, aber harten zweiwöchigen Lockdown, so Landeshauptmann-Stellvertreter Heinrich Schellhorn (Grüne) am Mittwoch im Ö1-Morgenjournal. Alle Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen würden das empfehlen, so Schellhorn. Für diese Maßnahme brauche es aber noch Überzeugung in der Salzburger Landesregierung, wo man offenbar „die ÖVP-Linie verfolgt“ – das halte er, Schellhorn, aber angesichts der Dramatik in Salzburg für falsch.

Wenn man den Lockdown nicht jetzt beginne, dann drohe einer zu Weihnachten, zu einem „sehr ungünstigen Zeitpunkt“. Er sieht die Verantwortung für die niedrige Durchimpfungsrate in der Bevölkerung auch bei den örtlichen Bürgermeistern. Es wäre ihre Aufgabe gewesen, für die Impfung zu werben und den Gegnern klar zu widersprechen. Man sei gerade bei den Impfskeptikern zu nachlässig gewesen. Die Opposition in Salzburg kritisierte die Uneinigkeit in der Landesregierung – mehr dazu in salzburg.ORF.at.

Haslauer trotz kritischer Lage gegen Lockdown

Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) hatte am Dienstag gesagt, er wolle für sein Bundesland jedenfalls einen Lockdown vermeiden – solange es möglich sei. Er legte am Dienstagnachmittag einen fünfstufigen Aktionsplan vor. Dieser sieht unter anderem die Behandlung von Covid-19-Patientinnen und -Patienten zu Hause statt im Spital vor. Er hoffe, dass die Pandemie durch die ergriffenen Maßnahmen einen „Knick“ erfahre und das zu einer Entlastung der Spitäler führen werde.

Haslauer räumte freilich ein, dass man Ergebnisse wohl erst in zwei bis vier Wochen sehen werde. Viele Fachleute fordern einen vollständigen Lockdown, zumindest regional, aber genau deshalb, weil es jetzt und sofort wirksame Maßnahmen braucht, um die vierte CoV-Welle zu brechen. Sie betonen seit Tagen, dass die zusätzlichen Impfungen ungeheuer wichtig sind, sich in der Statistik aber erst in Wochen niederschlagen werden.

Ludwig: „Kann derzeit gar nichts ausschließen“

Sympathien für die Vorschläge Reichs ließ ebenfalls im „Report“ der Wiener Bürgermeister, Michael Ludwig (SPÖ), erkennen: „Ja, ich gebe Frau Dr. Reich völlig recht“, es gebe eine „sehr ernste Situation, die Zahlen steigen österreichweit in allen Bundesländern“.

Zwar verwies Ludwig auf die im Vergleich mit den anderen Ländern bessere Situation in der Bundeshauptstadt, aber auch hier gebe es eine „steigende Dynamik“ bei der Inzidenz. Konkret nach Ausgangssperren auch für Geimpfte gefragt, sagte Ludwig: „Man kann in der jetzigen Situation gar nichts ausschließen. Die Zahlen steigen dynamisch, in einem Tempo, wie wir das in der ganzen Corona-Pandemie noch nicht erlebt haben.“

Ludwig: Weitere Maßnahmen diese Woche

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) kündigt für Wien eine FFP2-Maskenpflicht in Innenräumen, 2-G Plus in der Nachtgastronomie und bei Veranstaltungen über 25 Personen und Homeoffice auch in der Privatwirtschaft an. Außerdem habe Wien das Verimpfen der dritten Dosis vorgezogen und mit der Kinderimpfung begonnen. Einen Lockdown auch für Geimpfte will Ludwig nicht gänzlich ausschließen, wünscht sich allerdings eine bundeseinheitliche Lösung.

Auf die Frage, ob er es verstehe, dass einzelne Bundesländer trotz dramatischer Lage keinen allgemeinen Lockdown verhängen, sagte Ludwig, er maße sich nicht an, die Situation in anderen Ländern zu bewerten. Sollte der Bund einen Lockdown für ganz Österreich entscheiden, „wird das von allen mitzutragen sein“, betonte er.

Er wolle aber „den Kollegen, den Landeshauptleuten“ über die Medien nichts ausrichten. Und es sei auch sehr wohl eine Krise der Geimpften, verwies Ludwig darauf, dass etwa auch Intensivbetten für Patienten abseits von CoV wegen der vielen Covid-19-Patienten knapp werden könnten. „Die Ankündigung, die Pandemie sei gemeistert, die Pandemie sei für die Geimpften gemeistert, das war immer schon falsch“, nahm er Bezug auf die von der ÖVP im Sommer und bis in den Herbst hinein propagierte Linie.

Stelzer: Experten vertrauen

Auch in Oberösterreich ist die Lage weiter dramatisch. Allein seit letzten Freitag starben 59 Menschen in dem Bundesland an Covid-19. Es findet nur noch ein Bruchteil der geplanten Operationen statt. ÖVP-Landeshauptmann Thomas Stelzer, der das Thema Pandemie bis zur Landtagswahl Ende September weitgehend gemieden hatte, appellierte am Dienstag nun an die Bevölkerung, man möge der Wissenschaft und den Experten mehr vertrauen.

Und das wenige Tage nachdem sein Kollege Haslauer öffentlich über diese gewitzelt und gesagt hatte, Virologen würden am liebsten alle einzeln einsperren. Stelzer appellierte an die Verantwortung jeder und jedes Einzelnen für die Gesellschaft und den Staat – mehr dazu in ooe.ORF.at.